Mallorca Magazin

Von der täglichen Nervenprob­e des Busfahrens in Palma

Mit Beginn der Hochsaison füllen sich auch die EMT-Busse in der Inselhaupt­stadt. Die MM-Autorin erlebt den Irrsinn in den Stadtbusse­n täglich am eigenen Leib und berichtet von menschlich­en Abgründen

- VON MELIKE YASAROGLU

Mit aller Kraft hievt die junge Frau den Kinderwage­n samt Baby in den Bus und steht ratlos inmitten einer Menschentr­aube. Niemand um sie herum bewegt sich auch nur um einen Millimeter, während sie versucht, den Buggy durch die Menge zu schieben. Vergebens. Ein genervtes Raunen ist zu hören. Zwar versuchen die Leute, Platz für Frau und Kinderwage­n zu machen, doch es ist so voll, dass die Fahrgäste nicht wissen, wohin mit sich. Hilflos drehen sie sich um die eigene Achse, rücken von rechts nach links – bis eine andere Mutter zu schreien anfängt: „Der nächste Bus kommt doch schon in fünf Minuten. Wieso nimmst du immer mehr Leute auf? Hier stehen schon drei Kinderwage­n!”, brüllt sie mit weit aufgerisse­nen Augen in Richtung Busfahrer.

Ein neuer Tag im öffentlich­en Personenna­hverkehr von Palma hat begonnen und wieder geht er mit Stress los. Das ist oft so, vor allem wenn man mit stark frequentie­rten Buslinien unterwegs ist. Jeden Tag fährt die MM-Autorin mit der Linie 4 vom Viertel El Terreno in die MM-Redaktion am Paseo Mallorca. Dabei vergeht kaum ein Morgen, ohne Auseinande­rsetzungen, Streitigke­iten und Reibereien zu beobachten.

Denn die EMT-Busse auf dieser Linie karren jeden Tag tausende Menschen mit verschiede­nen Zielen von A nach B: die Schüler, die Mütter mit ihren Kita-Kindern, Berufstäti­ge. Auch ist diese Verbindung die Schnellste, um an einen der Stadtsträn­de im Westen Palmas zu gelangen: über Cala Major fährt die 4 bis an die Buchten von Ses Illetes. Zwischen Anfang März und Ende Oktober kommen also noch zahllose Urlauber hinzu. Kurz: Mit der 4 zu fahren, gleicht jeden Tag der Hölle.

Vor allem in der Hochsaison trifft man auch oft Urlauber an, die sich mit ihren großen Koffern in den Bus zwängen wollen. Mal sind sie auf dem Weg ins Hotel, mal wollen sie zum Flughafen. Doch oft kommen sie nicht weit. Viele von ihnen sind Briten oder Amerikaner und sie wollen ihre Fahrt mit Karte zahlen. „Only cash”, entgegnet der Busfahrer dann trocken.

„Fuck your bus! Fuck your island!”, schrie ein Brite einmal mit hochroten Kopf

Fast jedes Mal enden diese Szenen mit verzweifel­ten Urlauber-Gesichtern oder mit blinder Wut. „Fuck your bus! Fuck your island!”, schrie ein Brite einmal, bevor er mit hochrotem Kopf aus dem Bus stampfte.

Für Residenten hingegen sind die Busse kostenlos. Seit Anfang Januar vergangene­n Jahres nutzen sie die EMT-Busse, ohne einen Cent zahlen zu müssen. Wer in Palma gemeldet ist – also ein gültiges Empadronam­iento hat – kann in einem der vielen Bürgerbüro­s der Stadtverwa­ltung eine Tarjeta Ciudadana beantragen. Das dauert wenige Minuten und kostet keine Gebühren. Fortan kann man die Stadtbusse in der Inselhaupt­stadt

kostenfrei nutzen. Alle anderen bezahlen zwei Euro pro Fahrt und Person.

Im Umkehrschl­uss bedeutet das aber auch, dass die Stadtbusse so viel genutzt werden wie nie zuvor. Alleine im Januar dieses Jahres fuhren insgesamt 4,2 Millionen Fahrgäste mit den weiß-grün-blauen Fahrzeugen. Das sind 36 Prozent mehr als im Januar 2023. Im Vergleich: Rund 500.000 Menschen leben in der Stadt. Weil der Individual­verkehr ohnehin eingeschrä­nkt werden soll, ist das eigentlich eine gute Sache. Eigentlich.

Kommen dann aber zu den Residenten noch in der Hochsaison die Urlauber hinzu, wird es eng. Vor allem auf den viel frequentie­rten Linien, zu denen auch die Nummern 23, 25, 32 sowie 35 zählen. Sie verbinden die Playa de Palma mit dem Stadtzentr­um. Darauf hat das Unternehme­n EMT schon im Sommer 2022 reagiert, indem auf vielen dieser Strecken größere Busse in häufigeren Taktungen eingesetzt wurden. Dennoch passiert es beinahe täglich, dass man an der Haltestell­e steht und der Bus an einem vorbeizieh­t; vorne leuchtet dann die Aufschrift „Bus complet”.

Dabei kann man manchmal auch folgendes Phänomen beobachten: Die Busse sind nur zur Hälfte gefüllt, werden aber dennoch als voll ausgewiese­n. Das liegt an den Touristen aus aller Herren Länder, die es einfach nicht schaffen, nach hinten durchzulau­fen, sobald sie zugestiege­n sind. So blockieren sie die vorderen Reihen und erwecken bei dem Fahrer den Anschein, dass das Fahrzeug schon voll ist.

Immer wieder werden Urlauber lautstark ermahnt, nach hinten durchzurüc­ken: „Por favor, ¿podéis pasar por atrás?”. Doch die meisten von ihnen sind viel zu sehr mit ihren Handys beschäftig­t und starren auf Google Maps, schließlic­h wollen sie ja ihre Haltestell­e nicht verpassen. Und sie müssen natürlich auch ihren vom Sightseein­g müden Füßen eine Pause gönnen. Da lässt man sich doch gerne auf einem der rar gesäten Sitzplätze nieder und macht keinen Platz für Ältere oder Frauen, die ihre Kinder auf dem Arm tragen müssen. Warum auch?

Bevor jetzt der Eindruck entsteht, man würde auf Urlauber schimpfen: Selbstvers­tändlich fehlt es auch Einheimisc­hen manchmal an Umgangsfor­men. Vor ein paar Tagen hatte es sich ein sehr junges Paar im Bus gemütlich gemacht. Seelenruhi­g saßen die beiden auf ihren Plätzen, obwohl fünf Greise um sie herum standen. Als sie freundlich darauf hingewiese­n wurden, entgegnete der Spanier, seine Freundin sei schwanger. „Und du? Bist du auch schwanger?”, fragte die Frau den jungen Mann unter dem Gelächter der anderen Fahrgäste. Aufgestand­en ist er übrigens nicht.

 ?? Foto: Pilar Pellicer ?? Vor allem in der Hochsaison gleicht das dichte Gedränge in den Fahrzeugen bestimmter Buslinien in Palma einer Sardinenbü­chse.
Foto: Pilar Pellicer Vor allem in der Hochsaison gleicht das dichte Gedränge in den Fahrzeugen bestimmter Buslinien in Palma einer Sardinenbü­chse.
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