«Unter dem IS gab es in Raqqa keine Verbrechen»
RAQQA. Ein Besuch in seiner einstigen « Hauptstadt» zeigt, dass der « Islamische Staat» in Raqqa nicht vertrieben ist.
Der IS ist in Raqqa omnipräsent. An Wänden und Läden prangt sein berüchtigtes Emblem, viele Frauen tragen noch immer einen doppelten Nikab, so wie es unter den Extremisten Gesetz war.
Einige Bewohner machen kein Geheimnis daraus, dass sie der ISHerrschaft nachtrauern: «Unter dem IS war Raqqa sicher und es gab keine Verbrechen», sagt ein Mann, bevor er hinzufügt: «Aber es waren schlechte Leute.» 200 000 Menschen lebten vor der Zeit des IS in Raqqa, jetzt sind es wohl kaum mehr als 70 000.
Mittlerweile sind in Raqqa zwar alle Hauptstrassen, öffentlichen Gebäude und die Mehrheit der bewohnten Häuser von Sprengfallen und Minen geräumt. Aufbruchstimmung scheint dennoch nicht aufzukommen. Schwere Schatten liegen auch auf öffentlichen Gebäuden wie dem Sportstadion: Der IS nutzte es bis zuletzt als Gefängnis. Gymnastikräume funktionierten sie zu Folterkammern um. Die von der Decke hängenden Stricke nutzten sie nicht für sportliche Aktivitäten. Kritzeleien an den Wänden, die meisten auf Arabisch, einige auf Türkisch oder Russisch, geben Auskunft darüber, wer weswegen und wie lang hier sass.
Seine ISVergangenheit schüttelt Raqqa weder schnell noch einfach ab. Die Bewohner der vom arabisch dominierten Raqqa Civil Council und den kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) verwalteten Stadt sind unzufrieden. Sie klagen über neue Steuern und Korruption und stehen den Kräften der SDF eher ablehnend gegenüber. Auch davon profitiert letztlich der IS. Längst haben seine Schläferzellen die Stadt infiltriert.
Der IS sei «nicht nur Waf fen, Kämpfer und Selbstmordkommandos», sagt Mustafa Bali, Sprecher der SDF. «Der IS ist ein ideologisches System. Er hat sich seit Jahrzehnten auf diesen Krieg vorbereitet. Um diese Leute aus der Gesellschaft vertreiben zu können, braucht es viel Zeit und Aufklärungsprojekte.»