Wie ein Schweizer zum reichsten Venezianer wurde
ZÜRICH. Als Hans Stucky in Venedig ankam, besass er nicht viel. Sein Sohn stellte mit seinem Besitz aber alle in den Schatten.
Am 21. Mai 1910 spielten sich am Bahnhof Venezia Santa Lucia üble Szenen ab: Giovanni Stucky wollte einen Zug besteigen, als ihm ein Geistesgestörter den Hals aufschlitzte – damit verlor die Stadt ihren reichsten Bürger und Wohltäter.
Seinen Reichtum verdankte Stucky zunächst seinem Vater Hans. Dieser war als Müller aus Münsingen BE nach Venedig gekommen. Mit seinen zwei Mühlen legte er den Grundstein für die erfolgreiche, aber auch kurze Dynastie Stucky. Giovanni hatte dazu das Talent, die Zeichen der Zeit zu erkennen. So stattete er seine sechs Mühlen als Erster mit modernen Walzen aus. Auch bei den Rohstoffen ging er neue Wege: Er bezog sie dort, wo sie am günstigsten waren. Das zahlte sich aus: Er kaufte eine Teigwarenfabrik dazu.
Im Jahr 1890 gab Stucky dann den Umbau eines alten Klosters in eine Fabrik in Auftrag, die noch höher sein sollte als der Dogenpalast: der Molino Stucky. Privat leistete er sich unter anderem eine Villa in Mogliano Veneto und den Palazzo Grassi, den grössten Palast am Canal Grande. Es war der Höhepunkt seines Erfolgs. Doch mit seiner Ermordung endete die Glückssträhne der Familie.
Zwar übernahm Sohn Giancarlo die Geschäfte, doch es ging nur noch bergab – weil ihm das kaufmännische Geschick fehlte, und weil ihm der Erste Weltkrieg und die Machtergreifung der Faschisten im Jahr 1922 einen Strich durch die Rechnung machten. 1936 war das ganze Hab und Gut der Stuckys verloren, und Giancarlo musste mit seiner Mutter in eine Mietwohnung ziehen. Vier Jahre später starb er. Ob durch eigene Hand oder auf natürliche Weise, wurde nie geklärt.