Gerettete Jesiden fürchten IS immer noch
HASAKA. Jesidische Buben wurden zu Tausenden vom IS entführt. Jetzt kommen sie heim, indoktriniert und traumatisiert.
Milad (11) erinnert sich kaum mehr an die glückliche Zeit. Er weiss auch nicht mehr, wie es in seinem Dorf Solak im SinjarGebirge, Irak, aussah. Als der IS 2014 das Dorf überfiel, brachten die Jihadisten seine Familie nach Tal Afar. Hier wurden Jesiden wie Milad zu Tausenden als Sklaven verkauft. «Sie schlugen mich mit Kabeln, weil ich meine Eltern nicht verlassen wollte», erzählt der Junge. «Ein Mann mit langem Bart sagte mir: ‹Weinen bringt nichts, ihr seid verkauft.»
20 Minuten traf den Buben in einem Safehouse in Nordsyrien – zwei Tage zuvor hatten ihn die Syrian Democratic Forces (SDF) aus Baghus geholt, wo die letzten IS-Kämpfer noch Gegenwehr leisten. Was die fünf Jahre unter der Herrschaft der Terroristen mit dem Kind anstellten, ist nur an den traurigen Augen zu erkennen. Doch bei den anderen elf Bu- ben, die auch hier untergebracht sind, bevor sie zurück nach Sinjar gebracht werden, sind Narben an Kopf oder Händen zu sehen. Sie sind zwischen 11 und 15 Jahre alt. Sie sind unterernährt. Als der IS sie ihren Familien entriss, waren sie noch so jung, dass die meisten die kurdische Sprache vergessen haben. Sie sprechen jetzt Arabisch.
Die Buben bestreiten, dass der IS sie an Waffen ausgebildet hat. Sie seien meist eingeschlossen gewesen und hätten den Koran lesen müssen. Doch Mahmoud Rasho, der die Gruppe in diesem Safehouse betreut, winkt ab. «Sie können alle eine Waffe bedienen», sagt der Mann, selbst ein Jeside. «Einige können auch sehr gut Auto fahren. Sie wurden zu
Selbstmordattentätern ausgebildet.» Einige der Buben schickten per Telefon Bilder von sich als IS-Kämpfer ihren überlebenden Verwandten im Irak zu. Nachts belausche er die Gespräche der Kinder: «Die Älteren weisen die Jüngeren an, nichts über das Leben unter dem IS zu erzählen. Sie denken, dass der IS zurückkehren und sich an ihnen rä- chen wird, wenn sie reden.»
Milad sagt: «Der IS war gut zu uns.» Er hoffe trotzdem, dass er jetzt nach Sinjar und zu seiner Familie zurückkehren könne. Später wird mir Betreuer Rasho erzählen, dass Milad noch nicht wisse, dass sein Vater vom IS getötet wurde und seine Mutter als vermisst gilt. Eine Tante aber warte auf ihn.