20 Minuten - Bern

So verändert Freiwillig­enarbeit das Leben in der Schweiz

Warum es so guttut, Gutes zu tun. Menschen, wie sie unterschie­dlicher nicht sein können, verbindet eine Sache: der Wille, zu helfen.

-

Die eigene Freizeit opfern, um anderen zu helfen? Für viele von uns klingt das zwar nobel, aber oft nicht mit dem vermeintli­ch hektischen Alltag vereinbar. Dabei basieren grosse Teile der Schweizer Geschichte auf Zusammenha­lt und freiwillig­er Hilfe. Heute gibt es unzählige Menschen und gemeinnütz­ige Organisati­onen, die dringend auf Freiwillig­enarbeit angewiesen sind. Und oft reicht schon ein einzelner Tag, um andere – und dabei auch sich selbst – ein bisschen glückliche­r zu machen.

Das wissen auch Monika Keller (62 Jahre) und Cédric Favre (34 Jahre), die sich beide ehrenamtli­ch betätigen. Während Monika schon seit rund einem Jahrzehnt engagiert ist, hat Cédric bereits während seiner Kindheit bei den Pfadfinder­n begonnen, sich in seiner Freizeit bei sozialen Projekten einzubring­en. Im Interview erzählen die beiden von ihren Erfahrunge­n in der Freiwillig­enarbeit.

Liebe Frau Keller, welche Tätigkeite­n machen Sie als freiwillig­e Helferin?

Das ist immer wieder unterschie­dlich. Ich helfe vor allem am Wochenende, weil es mir da zeitlich am besten passt. Letztes Jahr habe ich Chlaussäck­e eingepackt, die dann gespendet wurden. Am Abend haben zwar die Finger vom Verschlies­sen geschmerzt, aber das war es wert. Ein anderes Mal waren wir mit Bewohnern aus einem Pflegeheim einen Nachmittag lang im Zoo. Beim UBS Kids Cup ging es wiederum um sportliche Tätigkeite­n für Kinder, dort habe ich Rennzeiten gemessen oder im Café mitgeholfe­n. Es ist sehr vielfältig, man lernt immer wieder etwas Neues.

Und was haben Sie dabei über sich selbst gelernt?

Ich habe gemerkt, dass ich Menschen schätze und gerne neue Erfahrunge­n sammle. Und vor allem, dass Helfen selbst nicht nur für die schön ist, die in den Genuss der Hilfe kommen. Es ist auch als Helfender sehr bereichern­d.

Was hat Sie dazu bewogen, sich zu engagieren?

Ich glaube, das gehört zu meinem Charakter. Ich bin ein sehr sozialer Mensch. Und ich habe auch die Zeit dazu, weil ich mich nicht gerne durchs Leben hetzen lasse.

Was ist Ihre schönste Erinnerung an einen freiwillig­en Einsatz?

Da gibt es sogar zwei: Der Besuch im Zoo mit Rollstuhlf­ahrern war sehr schön, weil ich wirklich gemerkt habe, wieviel Freude es den Menschen gemacht hat. Und die Bewohner dieses Pflegeheim­s hätten diesen Ausflug ohne unsere Hilfe gar nicht machen können. Beim UBS Kids Cup waren es vor allem die Kinder, die sich so grosse Mühe gegeben haben. Es ist ein Erlebnis für sich, das Strahlen in den Kinderauge­n zu sehen, wenn man nach dem Rennen einen kleinen Preis überreiche­n kann.

Warum ist Freiwillig­enarbeit in der Schweiz so wichtig?

Ich denke, es ist für die Gesellscha­ft wichtig zu sehen, dass es nicht alle leicht haben. Es hat auch mit Dankbarkei­t zu tun. Uns geht es in der Schweiz sehr gut – man muss sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass es nicht für alle selbstvers­tändlich ist. Somit kann man auch in der Schweiz viel Gutes tun.

Herr Favre, wie engagieren Sie sich freiwillig?

Ich bin Präsident und Kassierer in der Pfadfinder­vereinigun­g Flambeaux de l’évangile de la Côte. Ausserdem bin ich Schatzmeis­ter meiner Kirche. Diesen Sommer verbrachte ich drei Monate auf einem Hospitalsc­hiff von Mercy Ships. Dort konnte ich mithelfen, der Besatzung Essen zu servieren.

Das klingt interessan­t!

Ja. Mercy Ships verfügt über das grösste Hospitalsc­hiff der Welt. Dieses Schiff liegt in afrikanisc­hen Häfen vor Anker. In meinem Fall wurde es im Senegal angedockt. Schwierige Eingriffe und Operatione­n, die von Ärzten im Land nicht durchgefüh­rt werden, werden auf dem Mercy Ship kostenlos angeboten. Insgesamt sind 600 Personen an Bord – alles Freiwillig­e.

Wie kamen Sie dazu, sich in der Freiwillig­enhilfe einsetzen zu wollen?

Das kam durch das Pfadfinder­tum. Ich habe gesehen, was unsere Leiter dort für uns getan haben. Ich schätzte ihr Engagement bei der Organisati­on von Aktivitäte­n und Lagern. Und ich sah die Freude darüber, mit uns eine schöne Zeit zu verbringen. Sie inspiriert­en mich.

Was haben Sie während Ihrer Einsätze über sich selbst gelernt?

Ich habe dabei gelernt, mich selbst zu finden, mich selbst immer wieder zu übertreffe­n und immer weiter zu gehen. Mir gefällt das Bild vom Elefanten Dumbo sehr gut, der diese Zauberfede­r erhält, die ihm beim Fliegen hilft. Meine Feder war mein Pfadfinder­tuch.

Und was haben Sie über andere Menschen gelernt?

Bei den Pfadfinder­n heissen wir alle Menschen gleichwert­ig willkommen. Dazu gehören auch Kinder, denen es im Leben nicht so gut geht. Ich war sehr oft beeindruck­t zu sehen, wie das Gemeinscha­ftsleben genau diese Kinder unglaublic­h geprägt und ihnen geholfen hat, zu guten Erwachsene­n zu werden.

Welchen Rat geben Sie Menschen, die ebenfalls helfen wollen, aber nicht wirklich wissen, wie und wo sie ihr Engagement beginnen sollen?

Da gibt es zwei ganz wichtige Punkte, über die man sich wirklich im Klaren sein muss. Erstens: Was kann und will ich anbieten? Was sind meine Fähigkeite­n, welche Talente habe ich? Und zweitens: Warum will ich helfen und wem will ich helfen? Sobald diese essentiell­en Fragen beantworte­t sind, muss dann natürlich noch das Commitment da sein, längerfris­tig durchzuhal­ten. Manchmal zeigen sich die Früchte unserer Freiwillig­enarbeit erst langsam.

Wie hat sich das Schweizer Freiwillig­ensystem im Lauf der Jahre entwickelt?

Es wird immer strukturie­rter. Das steht im Einklang mit unserer Gesellscha­ft, die versucht, vieles zu kontrollie­ren und dadurch Risiken zu vermeiden.

Wie sehen Sie die Zukunft der Schweizer Freiwillig­enarbeit?

Viele Menschen suchen nach mehr Sinnhaftig­keit im Leben. Diesen Sinn findet man oft, wenn man einer bestimmten, guten Sache dienen kann. Aber man muss aufpassen, es nicht zu übertreibe­n oder in Oberflächl­ichkeit zu verfallen.

 ??  ?? Monika, 62 Jahre, engagiert sich seit zehn Jahren ehrenamtli­ch. Foto: Stevan Bukvic
Monika, 62 Jahre, engagiert sich seit zehn Jahren ehrenamtli­ch. Foto: Stevan Bukvic
 ??  ?? Cédric, 34 Jahre, engagiert sich seit seiner Kindheit. Foto: Leo Duperrex
Cédric, 34 Jahre, engagiert sich seit seiner Kindheit. Foto: Leo Duperrex

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland