So verändert Freiwilligenarbeit das Leben in der Schweiz
Warum es so guttut, Gutes zu tun. Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, verbindet eine Sache: der Wille, zu helfen.
Die eigene Freizeit opfern, um anderen zu helfen? Für viele von uns klingt das zwar nobel, aber oft nicht mit dem vermeintlich hektischen Alltag vereinbar. Dabei basieren grosse Teile der Schweizer Geschichte auf Zusammenhalt und freiwilliger Hilfe. Heute gibt es unzählige Menschen und gemeinnützige Organisationen, die dringend auf Freiwilligenarbeit angewiesen sind. Und oft reicht schon ein einzelner Tag, um andere – und dabei auch sich selbst – ein bisschen glücklicher zu machen.
Das wissen auch Monika Keller (62 Jahre) und Cédric Favre (34 Jahre), die sich beide ehrenamtlich betätigen. Während Monika schon seit rund einem Jahrzehnt engagiert ist, hat Cédric bereits während seiner Kindheit bei den Pfadfindern begonnen, sich in seiner Freizeit bei sozialen Projekten einzubringen. Im Interview erzählen die beiden von ihren Erfahrungen in der Freiwilligenarbeit.
Liebe Frau Keller, welche Tätigkeiten machen Sie als freiwillige Helferin?
Das ist immer wieder unterschiedlich. Ich helfe vor allem am Wochenende, weil es mir da zeitlich am besten passt. Letztes Jahr habe ich Chlaussäcke eingepackt, die dann gespendet wurden. Am Abend haben zwar die Finger vom Verschliessen geschmerzt, aber das war es wert. Ein anderes Mal waren wir mit Bewohnern aus einem Pflegeheim einen Nachmittag lang im Zoo. Beim UBS Kids Cup ging es wiederum um sportliche Tätigkeiten für Kinder, dort habe ich Rennzeiten gemessen oder im Café mitgeholfen. Es ist sehr vielfältig, man lernt immer wieder etwas Neues.
Und was haben Sie dabei über sich selbst gelernt?
Ich habe gemerkt, dass ich Menschen schätze und gerne neue Erfahrungen sammle. Und vor allem, dass Helfen selbst nicht nur für die schön ist, die in den Genuss der Hilfe kommen. Es ist auch als Helfender sehr bereichernd.
Was hat Sie dazu bewogen, sich zu engagieren?
Ich glaube, das gehört zu meinem Charakter. Ich bin ein sehr sozialer Mensch. Und ich habe auch die Zeit dazu, weil ich mich nicht gerne durchs Leben hetzen lasse.
Was ist Ihre schönste Erinnerung an einen freiwilligen Einsatz?
Da gibt es sogar zwei: Der Besuch im Zoo mit Rollstuhlfahrern war sehr schön, weil ich wirklich gemerkt habe, wieviel Freude es den Menschen gemacht hat. Und die Bewohner dieses Pflegeheims hätten diesen Ausflug ohne unsere Hilfe gar nicht machen können. Beim UBS Kids Cup waren es vor allem die Kinder, die sich so grosse Mühe gegeben haben. Es ist ein Erlebnis für sich, das Strahlen in den Kinderaugen zu sehen, wenn man nach dem Rennen einen kleinen Preis überreichen kann.
Warum ist Freiwilligenarbeit in der Schweiz so wichtig?
Ich denke, es ist für die Gesellschaft wichtig zu sehen, dass es nicht alle leicht haben. Es hat auch mit Dankbarkeit zu tun. Uns geht es in der Schweiz sehr gut – man muss sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass es nicht für alle selbstverständlich ist. Somit kann man auch in der Schweiz viel Gutes tun.
Herr Favre, wie engagieren Sie sich freiwillig?
Ich bin Präsident und Kassierer in der Pfadfindervereinigung Flambeaux de l’évangile de la Côte. Ausserdem bin ich Schatzmeister meiner Kirche. Diesen Sommer verbrachte ich drei Monate auf einem Hospitalschiff von Mercy Ships. Dort konnte ich mithelfen, der Besatzung Essen zu servieren.
Das klingt interessant!
Ja. Mercy Ships verfügt über das grösste Hospitalschiff der Welt. Dieses Schiff liegt in afrikanischen Häfen vor Anker. In meinem Fall wurde es im Senegal angedockt. Schwierige Eingriffe und Operationen, die von Ärzten im Land nicht durchgeführt werden, werden auf dem Mercy Ship kostenlos angeboten. Insgesamt sind 600 Personen an Bord – alles Freiwillige.
Wie kamen Sie dazu, sich in der Freiwilligenhilfe einsetzen zu wollen?
Das kam durch das Pfadfindertum. Ich habe gesehen, was unsere Leiter dort für uns getan haben. Ich schätzte ihr Engagement bei der Organisation von Aktivitäten und Lagern. Und ich sah die Freude darüber, mit uns eine schöne Zeit zu verbringen. Sie inspirierten mich.
Was haben Sie während Ihrer Einsätze über sich selbst gelernt?
Ich habe dabei gelernt, mich selbst zu finden, mich selbst immer wieder zu übertreffen und immer weiter zu gehen. Mir gefällt das Bild vom Elefanten Dumbo sehr gut, der diese Zauberfeder erhält, die ihm beim Fliegen hilft. Meine Feder war mein Pfadfindertuch.
Und was haben Sie über andere Menschen gelernt?
Bei den Pfadfindern heissen wir alle Menschen gleichwertig willkommen. Dazu gehören auch Kinder, denen es im Leben nicht so gut geht. Ich war sehr oft beeindruckt zu sehen, wie das Gemeinschaftsleben genau diese Kinder unglaublich geprägt und ihnen geholfen hat, zu guten Erwachsenen zu werden.
Welchen Rat geben Sie Menschen, die ebenfalls helfen wollen, aber nicht wirklich wissen, wie und wo sie ihr Engagement beginnen sollen?
Da gibt es zwei ganz wichtige Punkte, über die man sich wirklich im Klaren sein muss. Erstens: Was kann und will ich anbieten? Was sind meine Fähigkeiten, welche Talente habe ich? Und zweitens: Warum will ich helfen und wem will ich helfen? Sobald diese essentiellen Fragen beantwortet sind, muss dann natürlich noch das Commitment da sein, längerfristig durchzuhalten. Manchmal zeigen sich die Früchte unserer Freiwilligenarbeit erst langsam.
Wie hat sich das Schweizer Freiwilligensystem im Lauf der Jahre entwickelt?
Es wird immer strukturierter. Das steht im Einklang mit unserer Gesellschaft, die versucht, vieles zu kontrollieren und dadurch Risiken zu vermeiden.
Wie sehen Sie die Zukunft der Schweizer Freiwilligenarbeit?
Viele Menschen suchen nach mehr Sinnhaftigkeit im Leben. Diesen Sinn findet man oft, wenn man einer bestimmten, guten Sache dienen kann. Aber man muss aufpassen, es nicht zu übertreiben oder in Oberflächlichkeit zu verfallen.