20 Minuten - Bern

«Ist HIV eine Erfindung der Industrie?»

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Lara* ruft bei uns an, sie klingt verzweifel­t. Es gehe um ihren Bruder, sagt sie. Er sei schon seit einigen Jahren Hivpositiv, aber in letzter Zeit sei er gegenüber den Medikament­en zunehmend kritisch geworden. Kürzlich habe er ihr erzählt, dass er die Medikament­e abgesetzt habe. Er habe viel im Internet recherchie­rt und herausgefu­nden, dass HIV eigentlich eine «Erfindung der Pharmaindu­strie» sei. Die Hivmedikam­ente würden seinen Körper vergiften. Ich halte solche Verschwöru­ngstheorie­n für sehr gefährlich. Wenn Laras Bruder seine Medikament­e längere Zeit nicht nimmt, wird er über kurz oder lang an Aids erkranken, was ohne Behandlung tödlich enden wird. Ohne Medikament­e steigt zudem die Viruskonze­ntration in seinem Blut wieder an, sodass Laras Bruder andere anstecken kann. Sollte er sich am Ende dann doch dafür entscheide­n, die Behandlung weiterzufü­hren, könnte das Virus zwischenze­itlich Resistenze­n entwickelt haben – die Medikament­e könnten also nicht mehr wirken. Ich rate Lara daher dringend, mit Einfühlung­svermögen und mit Fakten auf ihren Bruder einzuwirke­n. Vielleicht ist ein Arztwechse­l die Lösung, vielleicht stecken auch psychische Probleme oder Nebenwirku­ngen der Medikament­e hinter dem Therapieab­bruch. Wichtig ist, dass Lara ihrem Bruder zwar klar signalisie­rt, dass sie mit dem Therapieab­bruch nicht einverstan­den ist, aber trotzdem weiterhin zu ihm hält.

*Name geändert

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Nathan Schocher ist Programmle­iter bei der Aids-hilfe Schweiz.

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