Wie Streaming die Musik verändert
Streaming ist unglaublich bequem. Aber es verändert die Art, wie Musik produziert wird, so sehr, dass es dafür schon einen Namen gibt.
Musik-streaming hat scheinbar nur Vorteile: eine schier unendliche Auswahl an Songs, die man auf jedem internetfähigen Gerät hören kann und die keinen Platz brauchen. Doch einen grossen Nachteil kann man nicht ignorieren: Streams lohnen sich für die meisten Künstler finanziell kaum. Pro gespielten Song verdienen sie bei Marktführer Spotify gemäss Schätzungen gerade mal zwischen 0,4 und 0,8 Rappen. Wer von Musik leben will, muss deshalb alles daran setzen, möglichst oft gespielt zu werden und seinen Sound entsprechend produzieren. Die Songs, die so entstehen, haben von Musikexperten deshalb sogar einen eigenen Namen erhalten: Spotifycore.
Typisch für diesen Spotifycore sind unter anderem kurze Intros. Das hat einen einfachen Grund: Spotify entlöhnt Musiker erst, wenn ihr Song mindestens 30 Sekunden lang gespielt wird; wer den Hörer nicht von Anfang an packt, verspielt viele potenzielle Einnahmen. Ein langes, komplexes Intro ist also ein Risiko. Gefragt sind stattdessen packende Hooks und Refrains, die einen schnell reinziehen.
Epische Intros wie wir sie etwa von «Hotel California» und «Stairway to Heaven» kennen, trifft man deshalb nur noch selten. Dabei sind sie mit etwas über 50 Sekunden Länge noch harmlos. Bei Deep Purples «April» zum Beispiel erwarten den Hörer beinahe neun Minuten Instrumental-sound, bevor das erste Mal eine Stimme erklingt. In dieser Zeit könnte man die bis jetzt meistgestreamten Songs, «Shape of You» von Ed Sheeran und «Blinding Lights» von The Weeknd, komplett durchhören. Danach reicht es noch fast für die Hälfte des drittplatzierten Tracks «Dance Monkey».
Wie lange der Song nach den ersten 30 Sekunden noch dauert, spielt für die Entlöhnung keine Rolle. Es lohnt sich für einen Musiker deshalb mehr, zwei dreiminütige Lieder zu veröffentlichen als ein sechsminütiges. Und Zeit in einen einzigen Superhit zu investieren, rentiert wiederum mehr, als lange an einem innovativen Album zu tüfteln. Denn ein eingängiges Lied erhöht die Chancen, auf einer der Playlisten von Spotify zu landen. Die beliebteste, «Today’s Top Hits», bringt es auf über 28 Millionen Follower. Ein Platz auf so einer Playlist lässt die Kasse des Künstlers auf jeden Fall richtig klingeln. Die Gleichung ist deshalb einfach: Spotifycore = Einnahmen.
Obwohl auch Vinyl in den letzten 15 Jahren einen Boom erlebt, sind die Zahlen deutlich: 76 % des Umsatzes macht der Schweizer Musikmarkt mit Streaming. Physische Tonträger wie CDS und Schallplatten machten 2020 lediglich 14 % aus und verlieren von Jahr zu Jahr weiter Marktanteile.