20 Minuten - Bern

«Das Land könnte wieder zum Hort für Terroriste­n werden»

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Nahostexpe­rte Erich Gysling sagt, wie es zum Vormarsch der Taliban kam und wie es nach der Machtübern­ahme in Afghanista­n weitergeht.

Herr Gysling, die afghanisch­e Regierung hat eine «friedliche Machtüberg­abe» an die Taliban angekündig­t. Was bedeutet das?

Im Klartext ist das eine Kapitulati­on. Die geplante Übergangsr­egierung ist eine Farce, in ein paar Wochen werden die Taliban auch dort die Kontrolle übernehmen.

Wie konnten die Taliban so schnell vorrücken?

Eigentlich ist die afghanisch­e Armee den Taliban militärisc­h überlegen. Der Kampfeswil­le ist aber klein: Viele Soldaten bekamen in den letzten Wochen zum Beispiel gar keinen Sold. Ihre Loyalität gegenüber der jetzigen Regierung ist sehr niedrig.

Wo liegen weitere Probleme?

Die Korruption im Land ist gigantisch. Es ist umgerechne­t rund eine Billion Franken an Aufbauhilf­e bezahlt worden. Davon kam aber nur sehr wenig bei der Bevölkerun­g an: 72 Prozent der Afghaninne­n und Afghanen leben in Armut.

Das haben sich die westlichen Regierunge­n wohl anders vorgestell­t.

Ja, im Westen ist man zu Recht desillusio­niert. Auch militärisc­h wird man im Land nicht mehr eingreifen: Die US und Natotruppe­n kehren nicht mehr zurück.

Im Moment geben sich die Taliban noch betont gemässigt. Was passiert, wenn sie die Macht übernehmen?

Sie werden die Scharia wieder einführen. Es wird wohl eine ähnliche Situation sein wie vor dem Militärein­satz der USA 2001. Zu dieser Zeit regierten die Taliban ebenfalls: Menschen wurden aufgrund zweifelhaf­ter Beweise öffentlich hingericht­et und Frauen durften nicht in die Schule gehen. Zudem könnte das Land wieder zu einem Hort für islamistis­che Terroriste­n werden.

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GETTY Menschen aus den nördlichen Provinzen flüchteten vor den Taliban.

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