Machen Drohbürger die Demokratie kaputt?
BERN. Vermehrte Drohungen und Beschimpfungen belasten Politiker. Nimmt unsere Demokratie Schaden?
Politiker werden seit Ausbruch der Pandemie nicht nur öfter bedroht, sondern auch heftiger. Laut dem Bundesamt für Polizei häufen sich die Drohungen, sobald eine Debatte über Covidmassnahmen geführt wird. Ein Sozialwissenschaftler sieht in diesem Klima der Angst eine Gefahr für die Demokratie: «Wir dürfen nicht hinnehmen, dass sich das normalisiert.»
Sp-nationalrat Cédric Wermuth bekommt normalerweise etwa eine Morddrohung pro Jahr. Doch seit Ausbruch der Pandemie hat sich dieser Rhythmus vervielfacht. «Besonders perfid ist es, wenn Mitglieder meiner Familie bedroht werden», sagt der Sp-co-präsident. Es heisse dann etwa: «Ich weiss, wo die Person X zur Schule geht oder arbeitet.» Mitte-nationalrätin Ruth Humbel erhielt laut SRF ein Drohmail mit dem Satz: «Volksvertreter wie Sie gehören vor den Richter, enteignet und öffentlich erschossen.»
Solche Schilderungen werden gestützt durch die Zahlen der Bundespolizei (Fedpol), bei dem sich die Drohungsmeldungen seit Beginn der Pandemie mehr als verdreifacht haben (siehe Box). Das hat Folgen: Reisten ranghohe Politiker früher mit dem Zug, brauchen sie heute Personenschutz. Die Wut richtet sich aber auch gegen Wissenschaftler und Mediziner, von denen manche sich aus Angst vor Drohungen nicht mehr öffentlich äussern.
Der Sozialwissenschaftler Marko Kovic findet es verheerend für die Demokratie, wenn Meinungen nicht mehr differenziert kundgetan werden können. «Was jetzt passiert, ist das Gegenteil der politischen Kultur, die wir in der Schweiz kennen.» Dass Frust und Hass in die öffentliche Debatte überschwappen, dieser Trend habe schon vor Corona eingesetzt – verstärkt durch Social
Media. «Man wird diese Plattformen regulieren müssen, damit die Gesellschaft nicht auseinanderfällt.»
Der Zuger Historiker und frühere Grünen-nationalrat Jo Lang sieht es weniger dramatisch: «Für uns Armeekritiker waren Drohungen schon früher alltäglich.» Jedoch treffe es heute viel mehr Politiker aus al
len Parteien. Die direkte Demokratie habe aber eine deeskalierende Wirkung. «Wenn ein klares Ja zum Covid-gesetz zustande kommt, kann das wie eine kalte Dusche auf die Hitzköpfe wirken.»