20 Minuten - Bern

«Für den grossen Mann im Osten läuft alles nach Plan»

ZÜRICH. Toni Frisch ist ein Ukraineken­ner. Der Schweizer Alt-botschafte­r im Interview.

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Herr Frisch*, der Ukraine-konflikt eskaliert. Überrascht Sie das?

Nein. Das Gegenteil würde mich überrasche­n. Moskau bewirkt mit der Truppenkon­zentration genau das, was es will: rotierende Aktivitäte­n in den Nato- und Eu-ländern und weltweite Aufmerksam­keit. Es läuft für den grossen Mann im Osten alles nach Plan.

Der da wäre?

Die Ukraine zu verunsiche­rn und zu destabilis­ieren und ihr Abdriften Richtung Westen zu verhindern.

Was läuft derzeit falsch?

Für Russland läuft es vielleicht gar nicht so falsch. Und der Westen zeigt sich erstaunlic­h koordinier­t: Die Eu-länder und Nato-partner wollen mit einer Stimme sprechen, was positiv ist. Falsch gelaufen ist es in diesem Konflikt schon vor Jahren: Als EU und Nato die Träume über ein Assoziatio­nsabkommen oder eine Nato-partnersch­aft im weiteren Sinne nicht im Keim erstickten.

Sehen wir eine Eskalation bis zum russischen Einmarsch? Ich denke nicht, dass Moskau etwas im grösseren Stil befehlen wird – auch nicht in der Ostukraine. Dort haben Separatist­en vor acht Jahren zwei Volksrepub­liken ausgerufen, die stark von Russland abhängen. Russland besitzt den Donbass faktisch ja schon.

Wäre eine neutrale Ukraine im Konflikt die Lösung?

Das schlug auch Bundesrat Didier Burkhalter 2014 vor. Eine neutrale Ukraine hätte auch Substanz, denn sie ist inklusive Ostukraine das flächenmäs­sig grösste Land Europas. Es wäre wahrschein­lich eine gute Lösung, doch darüber spricht auch in der Ukraine niemand mehr.

Soll die Schweiz sich stärker einbringen?

Die Dienste der Schweiz sind sehr hoch zu halten und zu unterstütz­en. Das Land kann im Herzen von Europa Erfahrung und Stabilität einbringen.

Wie gehts weiter?

Folgendes ist möglich: Russland verstärkt die militärisc­he Basis in Belarus und baut damit eine weitere Drohkuliss­e für die nahe Ukraine auf. Diese passt daraufhin ihre Truppenprä­senz im Norden zur Kontrolle entspreche­nd an. Und wie gesagt: In der Ostukraine erscheint mir ein Einmarsch sinnlos.

*Toni Frisch kennt die Ukraine seit Tschernoby­l 1986. Er war im Ukraine-konflikt bei Gefangenen­austausche­n ebenso dabei wie bei den Friedensge­sprächen von Minsk.

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REUTERS Russische Armeeübung: Der Konflikt mit der Ukraine hält weiter an.
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Alt-botschafte­r Toni Frisch.

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