«Für den grossen Mann im Osten läuft alles nach Plan»
ZÜRICH. Toni Frisch ist ein Ukrainekenner. Der Schweizer Alt-botschafter im Interview.
Herr Frisch*, der Ukraine-konflikt eskaliert. Überrascht Sie das?
Nein. Das Gegenteil würde mich überraschen. Moskau bewirkt mit der Truppenkonzentration genau das, was es will: rotierende Aktivitäten in den Nato- und Eu-ländern und weltweite Aufmerksamkeit. Es läuft für den grossen Mann im Osten alles nach Plan.
Der da wäre?
Die Ukraine zu verunsichern und zu destabilisieren und ihr Abdriften Richtung Westen zu verhindern.
Was läuft derzeit falsch?
Für Russland läuft es vielleicht gar nicht so falsch. Und der Westen zeigt sich erstaunlich koordiniert: Die Eu-länder und Nato-partner wollen mit einer Stimme sprechen, was positiv ist. Falsch gelaufen ist es in diesem Konflikt schon vor Jahren: Als EU und Nato die Träume über ein Assoziationsabkommen oder eine Nato-partnerschaft im weiteren Sinne nicht im Keim erstickten.
Sehen wir eine Eskalation bis zum russischen Einmarsch? Ich denke nicht, dass Moskau etwas im grösseren Stil befehlen wird – auch nicht in der Ostukraine. Dort haben Separatisten vor acht Jahren zwei Volksrepubliken ausgerufen, die stark von Russland abhängen. Russland besitzt den Donbass faktisch ja schon.
Wäre eine neutrale Ukraine im Konflikt die Lösung?
Das schlug auch Bundesrat Didier Burkhalter 2014 vor. Eine neutrale Ukraine hätte auch Substanz, denn sie ist inklusive Ostukraine das flächenmässig grösste Land Europas. Es wäre wahrscheinlich eine gute Lösung, doch darüber spricht auch in der Ukraine niemand mehr.
Soll die Schweiz sich stärker einbringen?
Die Dienste der Schweiz sind sehr hoch zu halten und zu unterstützen. Das Land kann im Herzen von Europa Erfahrung und Stabilität einbringen.
Wie gehts weiter?
Folgendes ist möglich: Russland verstärkt die militärische Basis in Belarus und baut damit eine weitere Drohkulisse für die nahe Ukraine auf. Diese passt daraufhin ihre Truppenpräsenz im Norden zur Kontrolle entsprechend an. Und wie gesagt: In der Ostukraine erscheint mir ein Einmarsch sinnlos.
*Toni Frisch kennt die Ukraine seit Tschernobyl 1986. Er war im Ukraine-konflikt bei Gefangenenaustauschen ebenso dabei wie bei den Friedensgesprächen von Minsk.