20 Minuten - Bern

So sehr ist Russland auf den Westen angewiesen

ZÜRICH. Russische Experten kritisiere­n öffentlich, dass das Land nicht in der Lage sei, alles selbst zu produziere­n. Russlandex­perte Alexander Dubowy ordnet ein.

- THOMAS OBRECHT/MONIRA DJURDJEVIC

Herr Dubowy, ist Russland vom Westen abhängig?

Ja, Russland ist auf westliche Produkte angewiesen. Jahrzehnte­lang hat es die Strategie verfolgt, «warum etwas neu erfinden, wenn man es auch kaufen kann». Nun fehlt in vielen Bereichen das Wissen, wie man qualitativ­e Produkte herstellt. Sie können westliche Produkte nicht ersetzen, weil sie keine oder nur unzureiche­nde eigene Alternativ­en haben. Sie versuchen zwar, westliche Waren und Geräte zu kopieren, aber das funktionie­rt nur begrenzt. Ohne Importe aus dem Westen macht Russland bei der Qualität vieler Produkte enorme Rückschrit­te.

Spürt Russland die Konsequenz­en dieser Abhängigke­it? Immer mehr westliche Güter werden knapp, weil Sanktionen die Importe aus dem Westen verhindern. Viele Russinnen und Russen versuchen deshalb, sich die letzten westlichen Produkte zu sichern. Die Preise für diese explodiere­n. Selbst alltäglich­e Gegenständ­e wie etwa Damenbinde­n werden extrem teuer, weil gleichwert­ige Alternativ­en

fehlen. Hinzu kommt, dass grosse westliche Unternehme­n Russland freiwillig verlassen haben. Ikea etwa hat alle ihre russischen Filialen und Produktion­sstätten geschlosse­n. Ihre russischen Angestellt­en wurden dadurch arbeitslos, die Ikea-zulieferer für Holz und andere Materialie­n bleiben auf ihren Waren sitzen.

Wie geht Russland damit um? Russland versucht, die westlichen Sanktionen zu umgehen. Der Handel mit China, Indien und der Türkei wurde deshalb stark erhöht. Diese Waren können die Produkte aus dem Westen aber nicht gleichwert­ig ersetzen. Weiter versucht die russische Regierung, andere Länder zu überzeugen, stellvertr­etend für Russland einzukaufe­n.

Was haben die Diskussion­en im russischen Staats-tv zu bedeuten? Wie sind Aussagen wie «Alles, was wir haben, kommt aus dem Westen» einzuordne­n. Alles, was das Staatsfern­sehen zeigt, ist reine Taktik. Es handelt sich nur um Scheinkrit­ik. Die Regierung will so bei der Bevölkerun­g den Eindruck erwecken, dass man unterschie­dlichste Meinungen akzeptiere­n würde. Das stimmt aber nicht. Es dient dazu, die Propaganda nicht allzu plump erscheinen zu lassen. Man will nicht zu offensicht­lich sagen «bei uns ist alles gut und im Westen alles schlecht», um glaubwürdi­g zu bleiben.

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PRIVAT Russland-experte Alexander Dubowy.

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