So sehr ist Russland auf den Westen angewiesen
ZÜRICH. Russische Experten kritisieren öffentlich, dass das Land nicht in der Lage sei, alles selbst zu produzieren. Russlandexperte Alexander Dubowy ordnet ein.
Herr Dubowy, ist Russland vom Westen abhängig?
Ja, Russland ist auf westliche Produkte angewiesen. Jahrzehntelang hat es die Strategie verfolgt, «warum etwas neu erfinden, wenn man es auch kaufen kann». Nun fehlt in vielen Bereichen das Wissen, wie man qualitative Produkte herstellt. Sie können westliche Produkte nicht ersetzen, weil sie keine oder nur unzureichende eigene Alternativen haben. Sie versuchen zwar, westliche Waren und Geräte zu kopieren, aber das funktioniert nur begrenzt. Ohne Importe aus dem Westen macht Russland bei der Qualität vieler Produkte enorme Rückschritte.
Spürt Russland die Konsequenzen dieser Abhängigkeit? Immer mehr westliche Güter werden knapp, weil Sanktionen die Importe aus dem Westen verhindern. Viele Russinnen und Russen versuchen deshalb, sich die letzten westlichen Produkte zu sichern. Die Preise für diese explodieren. Selbst alltägliche Gegenstände wie etwa Damenbinden werden extrem teuer, weil gleichwertige Alternativen
fehlen. Hinzu kommt, dass grosse westliche Unternehmen Russland freiwillig verlassen haben. Ikea etwa hat alle ihre russischen Filialen und Produktionsstätten geschlossen. Ihre russischen Angestellten wurden dadurch arbeitslos, die Ikea-zulieferer für Holz und andere Materialien bleiben auf ihren Waren sitzen.
Wie geht Russland damit um? Russland versucht, die westlichen Sanktionen zu umgehen. Der Handel mit China, Indien und der Türkei wurde deshalb stark erhöht. Diese Waren können die Produkte aus dem Westen aber nicht gleichwertig ersetzen. Weiter versucht die russische Regierung, andere Länder zu überzeugen, stellvertretend für Russland einzukaufen.
Was haben die Diskussionen im russischen Staats-tv zu bedeuten? Wie sind Aussagen wie «Alles, was wir haben, kommt aus dem Westen» einzuordnen. Alles, was das Staatsfernsehen zeigt, ist reine Taktik. Es handelt sich nur um Scheinkritik. Die Regierung will so bei der Bevölkerung den Eindruck erwecken, dass man unterschiedlichste Meinungen akzeptieren würde. Das stimmt aber nicht. Es dient dazu, die Propaganda nicht allzu plump erscheinen zu lassen. Man will nicht zu offensichtlich sagen «bei uns ist alles gut und im Westen alles schlecht», um glaubwürdig zu bleiben.