Attacke auf Jude: Kann A. noch resozialisiert werden?
Der forensische Psychiater Thomas Knecht sagt, wie der Messerstecher von Zürich zurück in die Gesellschaft findet.
Der 15-jährige Schweizer A.* mit tunesischen Wurzeln sticht in Zürich im Namen Allahs auf einen orthodoxen Juden ein. Wie kann es so weit kommen? Laut dem Psychiater Thomas Knecht sind junge Männer testosterongetrieben und weisen ein hohes Aggressionslevel auf. Für die Radikalisierung habe es aber Inputs von aussen gebraucht: «Sie lassen sich von charismatischen Identifikationsfiguren, in diesem Fall radikalen Islamisten, verleiten und stilisieren diese zu Vorbildern.» Das Angebot an radikalen Inhalten im Netz sei fast unbegrenzt. «Er wird gewusst haben, dass er solche Inhalte nicht in seinem realen Umfeld teilen kann. Dies hätte Ausgrenzung, Isolation und womöglich die Konfrontation mit Polizei oder Jugendanwaltschaft zur Folge. Also lebte er wohl in zwei Welten: Gegen aussen hin, im realen Leben, als stiller Einzelgänger und in der Echokammer des Internets als «Ahmed der Schlächter».
Die Hürde, vom Gedankengut und der Radikalisierung im Internet zur Tat zu schreiten, sei grundsätzlich hoch. Knecht: «Viele, die sich in solchen radikalisierten Gruppen und Foren bewegen, hoffen, dass jemand anderes zur Tat schreitet. Man bestärkt sich gegenseitig, feiert sich ab und spricht sich Mut zu. In den allermeisten Fällen können Jugendliche ausfindig gemacht werden, bevor etwas passiert. Hier war man damit offensichtlich zu spät.» Die Aussicht auf Resozialisierung bestehe aber auf jeden Fall. «Sein Gehirn entwickelt sich noch sicher zehn Jahre lang weiter. Das gibt ihm die Möglichkeit, seinen Charakter zu formen und die Entwicklungen, die er zugunsten der Radikalisierung abgebrochen hat, fortzusetzen. Etwa in Bezug auf Schule, Berufswahl und Freundschaften.»
Laut Knecht ist jetzt wichtig: «Er muss aus dem Verkehr gezogen werden, man muss die Gesellschaft vor ihm schützen. Er muss in einem Massnahmenzentrum respektive einer geschlossenen Jugendstätte untergebracht werden. Doch da muss man therapeutisch mit ihm
arbeiten. Entscheidend ist, ob er bis zum 25. Lebensjahr auf den richtigen Weg gebracht werden kann.» Geschehe das nicht, sei die Alternative wenig erbaulich: «Wenn sie ihn heute für zehn Jahre in ein Gefängnis stecken und ihm eine Therapie verweigern, kommt er mit 25 mit der allergrössten Wahrscheinlichkeit noch radikalisierter und gewaltbereiter wieder hinaus.»