Behrami-klartext vor der EM: «Alle verstecken sich hinter Xhaka»
Valon Behrami (39) im Interview über die Umstellung vom Profi in den Alltag und über die Nati.
Valon Behrami, 2022 traten Sie zurück. Wie hat sich Ihr Leben entwickelt?
Ich war nicht bereit für das Leben nach dem Fussball – es war ein Schock. Seit ich 16 Jahre alt war, war jeder meiner Tage durchgeplant.
Wie hat sich das geäussert?
Zuerst stellte ich mir beispielsweise die ganz einfache Frage, wann ich aufstehen soll. Ausschlafen bis 11 Uhr? Frühstück um 9 Uhr? Was mache ich? (lacht)
Für Sie war klar, dass Sie nach der Karriere zuerst die Schulbank drücken wollen. Wieso?
Das war eine der grossen Enttäuschungen für meine Eltern, dass ich die Schule als junger 15-jähriger Profi nicht mehr beendet hatte. Ich wollte daher das Maturadiplom nachholen für meine Familie – und ich bin sehr stolz darauf.
Als Ex-fussballprofi in der Schule. Wie muss man sich das vorstellen?
Sehr schwierig und anstrengend. Plötzlich musste ich wieder für Prüfungen lernen, Mathematik war eine Katastrophe (lacht). Ich hatte auch Präsenzunterricht in Rom mit lauter knapp volljährigen Schülerinnen und Schülern. Ich konnte sie dann jeweils flüstern hören: «Ist das Behrami?»
Nun sind Sie auch tv-experte bei DAZN in Italien.
Während meiner Karriere konnte ich die Mentalität der Medienschaffenden nicht nachvollziehen – ich dachte, die wollen mir etwas Böses. Jetzt erlebe ich diesen Teil des Fussballbusiness, und es macht mir viel Spass.
Haben Sie als Spieler geschaut oder gelesen, was über Sie gesagt wurde?
Viele in diesem Geschäft sind wirklich zu sensibel – und das war auch eine Schwäche von mir. Es tut jedes Mal weh, wenn jemand sagt, dass du deine Arbeit nicht gut machst. Ich hatte alles verfolgt und nahm es persönlich. Als ich dann mit 27 beschloss, nichts mehr zu verfolgen, hatte ich plötzlich ein viel besseres Gefühl.
Wie hat sich das Fussballbusiness in den letzten Jahren verändert?
Als Fussballer ist man heute nur noch ein Roboter mit einer Nummer. Spieler müssen spielen und funktionieren. Wenn es einem nicht gut geht, interessiert es niemanden. Früher war noch mehr Menschlichkeit vorhanden.
Und die Spieler?
Keine grossen Emotionen oder Charaktere mehr. In der Kabine sind alle am Handy, auf Social Media oder schauen auf den Erfolg der eigenen kleinen ICHAG. Früher haben wir als Team gewonnen und alle Geld verdient. Teamwork ist für viele ein Fremdwort geworden.
Für 20 Minuten sind Sie nun
als Em-experte tätig. Was halten Sie von der Nati?
Wir haben mit Granit Xhaka einen Spieler, der Leader sein will, hohe Ziele formuliert. Alle anderen verstecken sich dahinter, obwohl viele Spieler dies mittragen könnten. Es scheint mir manchmal so, als wäre die Angst vor der Enttäuschung grösser als der Wille zum Erfolg. Diese Mannschaft braucht ein grosses Ziel und die Mentalität dafür.
Welches Ziel wäre richtig?
Der nächste historische Schritt: Em-halbfinal. Klar geht man dann auch das Risiko einer Enttäuschung ein, aber das gehört zu einer Karriere dazu. Und wenn es schliesslich der Viertelfinal ist, wird auch so das ganze Land stolz sein.