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«Kampagnen haben auf das Verhalten keine Wirkung»
ZÜRICH. Der Raucheranteil bleibt hoch, jener der Übergewichtigen steigt. Ein Experte sagt, wie das zu ändern wäre.
Herr Hafen, viele Schweizer rauchen oder sind übergewichtig. Trotz Kampagnen ändern sie ihr Verhalten nicht. Wieso?
Kampagnen haben auf individuelles Verhalten keine nachweisbare Wirkung. Lebensstile sind stabil. Sie mit kommunikativen Massnahmen verändern zu wollen, ist nutzlos.
Wie kann man Übergewicht und Rauchen beikommen?
Mit einer Änderung der Rah menbedingungen. In der Schweiz gibt es sehr viele Raucher. Der Grund: Wir haben eines der laschesten Tabakgesetze. Veränderun gg äbe es nur, wenn die Preise steigen und die Verfügbarkeit sinken würde. Dasselbe bei der Ernährung: Ampelsysteme oder Zuckersteuer bringen viel, stossen aber auf Widerstand.
Ein gesunder Lebensstil wird immer wichtiger. Trotzdem sind 42 Prozent übergewichtig.
Vor 100 Jahren konsumierte ein Durchschnittsbürger ein Kilo Zucker pro Jahr. Heute sind es 50. Viel versteckter Zucker steckt vor allem in verarbeiteten Nahrungsmitteln.
Dass diese ungesund sind, ist bekannt. Wo bleibt die Eigenverantwortung?
Die Stressbelastung hat enorm zugenommen. Die Hälfte der Schüler zwischen 12 und 16 Jahren gibt an, regelmässig gestresst zu sein. Stress erfordert Bewältigungsmöglichkeiten – wie Rauchen oder Essen.
Was könnte man konkret tun?
Beispiel Übergewicht: Man kann Kinder in Bewegungs programme schicken. Sinnvoller wäre es, Quartierstrassen verkehrsfrei zu machen, damit sie sich automatisch mehr bewegen. Gäbe es im Supermarkt Äpfel statt Schoggi an der Kasse, wäre das auch wirksam.
Wieso wird das nicht getan?
Betriebswirtschaftlich ergibt es weniger Sinn. Massnahmen für die öffentliche Gesundheit haben es politisch zurzeit schwer. Wir müssen aufpassen, dass unser GesundheitsStreben nicht zur quasireligiösen Ideologie verkommt. Martin Hafen ist Professor an der Hochschule Luzern und Experte für Prävention.