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Verzicht auf Spitalbett für Corona-Skeptiker?
BERN. Ethiker lehnen den Vorschlag, Corona-Kritiker im Notfall nicht zu behandeln, ab: Eine Triage dürfe nur medizinisch begründet sein.
KONTROVERS Wer absichtlich gegen die Hygieneund Abstandsregeln verstösst, soll im Notfall sein Recht auf einen Platz auf der Intensivstation verlieren. Diesen Vorschlag äusserte Gesundheitsökonom Willy Oggier gegenüber dem «Tages-Anzeiger».
Medizinethiker haben dazu eine klare Haltung. «Als ich das Interview mit Herrn Oggier heute Morgen gelesen habe, hat mich das sehr überrascht», sagt etwa Nikola Biller-Andorno, Direktorin des Instituts für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Uni Zürich: «Dass jemand aufgrund seines Verhaltens oder seiner moralischen Einstellung eine schlechtere gesundheitliche Behandlung bekommt, ist ein komplettes No-go.» Auch die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) unterstützt Oggiers Ansatz nicht: «Triage soll ausschliesslich nach gesundheitlichen Kriterien erfolgen und nicht nach solchen weltanschaulicher, religiöser oder politischer Natur», sagt Thomas Gruberski, Leiter des Ressorts Ethik. Ruth BaumannHölzle, Leiterin der Stiftung Dialog Ethik, drückt es so aus: «In der Schweiz muss Nothilfe unabhängig vom Verhalten oder dem Versicherungsschutz jedem Menschen gewährt werden. Gesundheit ist nicht nur ein privates, sondern auch ein öffentliches Gut, und das ist eine Frage der Menschenwürde.» Andernfalls dürfte man auch keine Bergsteiger oder Autofahrer nach einem Selbstunfall mehr retten und den Lungenkrebs eines Rauchers nicht mehr behandeln.
Oggiers Aussage ist für Biller-Andorno noch in einer weiteren Hinsicht problematisch: «Durch solche Aufrufe werden alle Kritiker in eine Ecke gedrängt. Das ist genau der falsche Ansatz.» Die Gesellschaft brauche einen zivilisierten, kritischen Diskurs im Umgang mit der Corona-Krise.