20 Minuten - Deutschschweiz uberregional
Das Nati-Märchen versöhnt die Schweiz
ZÜRICH. Nach dem Einzug der Nati in den EMViertelfinal entstand bei vielen Schweizern ein Gemeinschaftsgefühl, das während der Corona-Zeit vermisst wurde.
ZÜRICH. Der historische Sieg der Schweizer Nationalmannschaft begeistert nicht nur die Fussballfans. Plötzlich lagen sich alle in den Armen: Links und Rechts, Massnahmenskeptische und
Coronabesorgte, Urschweizerinnen und Secondos. Das Land schwelgt im neuen Gemeinschaftsgefühl. Und die Fachleute fragen sich nur, wie lange das Glück anhalten wird.
Menschenmassen und strahlende Gesichter: Ein Bild, das man in Zeiten der globalen Corona-Pandemie lange nicht mehr gesehen hat. Nicht nur wegen der Distanzvorschriften, sondern auch, weil sich so viele im Land über Gesundheitspolitik und Massnahmenvollzug zerstritten hatten. Doch am Montagabend, nach dem Sieg der Schweizer Nationalmannschaft gegen Frankreich, feierten Fans im ganzen Land ausgiebig. Ob Maskenverweigerer oder Zero-Covid-Anhängerin, ob Massnahmenskeptische oder Impfbegeisterte: Alle lachten, weinten, lagen sich in den Armen. Das erinnert an die beste Normalität vor der Pandemie.
Viele Nati-Fans erlebten am Montag eine Achterbahn der Gefühle: Nach dem Rückstand waren sie im Tal der Tränen, nach dem Ausgleich hoben sie zum emotionalen Höhenflug ab. Dass man die eigene Gefühlswelt mit anderen Fans teilen konnte, erzeugte ein Gefühl des Zusammenhalts.
«Solche Grossereignisse bringen die Gemeinschaft näher, es lässt sich eine gemeinsame Identität bilden. Fast Jeder
und Jede in der Schweiz empfindet Stolz», sagt Katja Rost, Professorin für Soziologie an der Universität Zürich. Mit solchen gemeinsamen Emotionen kehre auch ein Gefühl von Normalität zurück – trotz der Pandemie.
«Erlebnisse wie dieses haben während Corona viele vermisst», sagt Ueli Mäder, Professor für Konfliktforschung an der Universität Basel. Für einen Teil der Schweizer Bevölkerung sei das Spiel sicher ein verbindendes Erlebnis gewesen. Jedoch halte die Euphorie auf längere Sicht nicht an. Aber: «Das Mitfiebern und der Fokus auf ein gemeinsames Interesse könnte durchaus ein Stück weit bei einigen Menschen hängen bleiben», sagt Mäder.