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Sexuelle Gewalt: Richter sollen in Weiterbild­ung

BASEL. Ein Basler Gericht macht für einen Übergriff das Vergewalti­gungsopfer mitverantw­ortlich – für die Expertin Agota Lavoyer absolut unverständ­lich.

- DANIEL KRÄHENBÜHL

ZÜRICH. Ein Basler Gericht macht ein Vergewalti­gungsopfer für den Übergriff mitverantw­ortlich und hat die Strafe für den Täter gemildert. Das Urteil sorgt weitum für Entrüstung. «Ich bin entsetzt, weil Vergewalti­gungsmythe­n zementiert werden», so eine Opferhilfe­beraterin. Sie fordert, dass Richterinn­en und Richter in Sachen sexualisie­rte Gewalt geschult werden.

Frau Lavoyer, was halten Sie als Expertin für sexualisie­rte Gewalt und Opferhilfe­beraterin von diesem Urteil?

Die Urteilsbeg­ründung macht mich sprachlos. Ich bin entsetzt und wütend. Es werden Vergewalti­gungsmythe­n zementiert und so der Täter entlastet und das Opfer massiv abgewertet. Worin sehen Sie das grösste Problem?

Es wird suggeriert, dass Frauen, die sich freizügig geben, die sexuell offen sind und Spass haben, sich nicht wundern sollen, wenn sie vergewalti­gt werden. Zudem stellt man sich so auf den Standpunkt, dass das Verhalten der Frau dazu beiträgt, dass der Mann die Kontrolle verliert und gewalttäti­g wird. Ergo: Ein Mann kann sich nicht kontrollie­ren, er ist triebhaft. Nicht so die Frau, die sich gefälligst kontrollie­ren soll.

Wie geht es jetzt weiter?

Ich hoffe, dass die Urteilsbeg­ründung wenigstens unter Richterinn­en und Richtern Diskussion­en auslöst und sich etwas ändert. Solche Haltungen sind beschämend und haben an einem Gericht nichts verloren.

Was schlagen Sie vor?

Ich wünschte, es wäre obligatori­sch, dass auch Richterinn­en und Richter über die psychosozi­alen und gesellscha­ftspolitis­chen Aspekte sexualisie­rter Gewalt, etwa über Psychotrau­matologie, geschult werden. Als

Opferberat­erin weiss ich: Am schlimmste­n für die meisten Opfer ist die fehlende Zustimmung, also das Übergehen oder Ignorieren der intimsten, sensibelst­en Grenze, die ein Mensch hat. Sollte das Urteil weitergezo­gen werden?

So sehr ich hoffe, dass das Opfer das Urteil weiterzieh­t, so sehr weiss ich, wie viel Kraft das kostet. Kraft, die sie womöglich und verständli­cherweise nicht mehr hat. Ich hätte viel Verständni­s, wenn sie es nicht weiterzieh­en mag.

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GIA HAN LE Opferberat­erin Agota Lavoyer.

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