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Sexuelle Gewalt: Richter sollen in Weiterbildung
BASEL. Ein Basler Gericht macht für einen Übergriff das Vergewaltigungsopfer mitverantwortlich – für die Expertin Agota Lavoyer absolut unverständlich.
ZÜRICH. Ein Basler Gericht macht ein Vergewaltigungsopfer für den Übergriff mitverantwortlich und hat die Strafe für den Täter gemildert. Das Urteil sorgt weitum für Entrüstung. «Ich bin entsetzt, weil Vergewaltigungsmythen zementiert werden», so eine Opferhilfeberaterin. Sie fordert, dass Richterinnen und Richter in Sachen sexualisierte Gewalt geschult werden.
Frau Lavoyer, was halten Sie als Expertin für sexualisierte Gewalt und Opferhilfeberaterin von diesem Urteil?
Die Urteilsbegründung macht mich sprachlos. Ich bin entsetzt und wütend. Es werden Vergewaltigungsmythen zementiert und so der Täter entlastet und das Opfer massiv abgewertet. Worin sehen Sie das grösste Problem?
Es wird suggeriert, dass Frauen, die sich freizügig geben, die sexuell offen sind und Spass haben, sich nicht wundern sollen, wenn sie vergewaltigt werden. Zudem stellt man sich so auf den Standpunkt, dass das Verhalten der Frau dazu beiträgt, dass der Mann die Kontrolle verliert und gewalttätig wird. Ergo: Ein Mann kann sich nicht kontrollieren, er ist triebhaft. Nicht so die Frau, die sich gefälligst kontrollieren soll.
Wie geht es jetzt weiter?
Ich hoffe, dass die Urteilsbegründung wenigstens unter Richterinnen und Richtern Diskussionen auslöst und sich etwas ändert. Solche Haltungen sind beschämend und haben an einem Gericht nichts verloren.
Was schlagen Sie vor?
Ich wünschte, es wäre obligatorisch, dass auch Richterinnen und Richter über die psychosozialen und gesellschaftspolitischen Aspekte sexualisierter Gewalt, etwa über Psychotraumatologie, geschult werden. Als
Opferberaterin weiss ich: Am schlimmsten für die meisten Opfer ist die fehlende Zustimmung, also das Übergehen oder Ignorieren der intimsten, sensibelsten Grenze, die ein Mensch hat. Sollte das Urteil weitergezogen werden?
So sehr ich hoffe, dass das Opfer das Urteil weiterzieht, so sehr weiss ich, wie viel Kraft das kostet. Kraft, die sie womöglich und verständlicherweise nicht mehr hat. Ich hätte viel Verständnis, wenn sie es nicht weiterziehen mag.