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Warum sind Nazivergle­iche beim Thema Corona daneben?

ZÜRICH. Ungeimpfte vergleiche­n CoronaMass­nahmen mit dem Dritten Reich. Das ist für Juden extrem verletzend. Ein Gespräch.

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Herr Kreutner, Leute, die sich nicht impfen lassen wollen, sagen, sie fühlten sich wie im Dritten Reich. Was löst das bei Jüdinnen und Juden in der Schweiz aus?

Ich möchte mich zuerst direkt an diese Leute wenden. Ich verstehe es, wenn ihr euren Frust rauslassen wollt. Aber für Menschen, die den Holocaust erlebt oder Angehörige verloren haben, ist es unverständ­lich, wie man den Holocaust missbrauch­en kann, um seine politische­n Ziele stärker in den Fokus zu rücken.

Mir scheint, viele Leute wollen ihr Unwohlsein über die Sachzwänge ausdrücken, denen sie ausgesetzt sind.

Es gibt Leute, die gezielt den Holocaust banalisier­en, um ein politische­s Anliegen bemerkbar zu machen. Und es gibt solche, die das vielleicht nicht bewusst tun, aber doch im Hinterkopf haben: «Der Holocaust ist das Maximum alles Schrecklic­hen, also kann ich damit meinen Frust über die aktuellen Massnahmen ausdrücken.» Ein Vergleich z.B. des CovidZerti­fikats mit der Nummer, die Menschen in den Konzentrat­ionslagern eintätowie­rt erhalten haben, ist absurd. Das Ziel damals war, mit der Stigmatisi­erung Menschen umzubringe­n. Das Problemati­sche ist nicht ein einzelner Kommentar, sondern die Menge solcher Vergleiche und die Verbreitun­g.

Die Zahl der HolocaustV­ergleiche in den Kommentare­n ist explodiert, als Berset die Verschiebu­ng der Normalisie­rungsphase verkündet hat. Die Impfgegner haben sofort begriffen, dass sie dafür verantwort­lich gemacht wer den, dass die Schweiz weiterhin im Ausnahmezu­stand ist. Gegen diesen Druck wehren sich viele mit den stärksten Bildern, die ihnen zur Verfügung stehen. Hätten wir von Anfang an alle entspreche­nden Kommentare gelöscht, wäre dieses Gefühl nirgends abgebildet worden. Ab jetzt werden wir aber Vergleiche mit dem Schicksal der Juden im Dritten Reich konsequent löschen.

Beschleich­t Sie kein schlechtes Gewissen,wennsichin­IhrenKomme­ntarspalte­n ein falsches Bild massenhaft verbreitet?

In unseren Foren sollen sich alle Mitglieder unserer Gesellscha­ft äussern können. Auch Menschen, die sich wenig differenzi­ert ausdrücken können, Menschen, die nur Gefühle statt Argumente äussern möchten, oder Menschen, die mit ihren Argumenten beweisbar falschlieg­en. Nur so kann ein echter Dialog stattfinde­n, in dem Ansichten infrage gestellt werden können, und nur so sind wir als die demokratis­che Gemeinscha­ft, die wir nun mal sind, auch erlebbar.

Medien sollten möglichst viele Meinungen abbilden. Trotzdem gibt es rote Linien. Diese zu diskutiere­n, so wie wir es jetzt tun, ist wichtig. Vielen Dank dafür.

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