20 Minuten - Deutschschweiz uberregional
Warum sind Nazivergleiche beim Thema Corona daneben?
ZÜRICH. Ungeimpfte vergleichen CoronaMassnahmen mit dem Dritten Reich. Das ist für Juden extrem verletzend. Ein Gespräch.
Herr Kreutner, Leute, die sich nicht impfen lassen wollen, sagen, sie fühlten sich wie im Dritten Reich. Was löst das bei Jüdinnen und Juden in der Schweiz aus?
Ich möchte mich zuerst direkt an diese Leute wenden. Ich verstehe es, wenn ihr euren Frust rauslassen wollt. Aber für Menschen, die den Holocaust erlebt oder Angehörige verloren haben, ist es unverständlich, wie man den Holocaust missbrauchen kann, um seine politischen Ziele stärker in den Fokus zu rücken.
Mir scheint, viele Leute wollen ihr Unwohlsein über die Sachzwänge ausdrücken, denen sie ausgesetzt sind.
Es gibt Leute, die gezielt den Holocaust banalisieren, um ein politisches Anliegen bemerkbar zu machen. Und es gibt solche, die das vielleicht nicht bewusst tun, aber doch im Hinterkopf haben: «Der Holocaust ist das Maximum alles Schrecklichen, also kann ich damit meinen Frust über die aktuellen Massnahmen ausdrücken.» Ein Vergleich z.B. des CovidZertifikats mit der Nummer, die Menschen in den Konzentrationslagern eintätowiert erhalten haben, ist absurd. Das Ziel damals war, mit der Stigmatisierung Menschen umzubringen. Das Problematische ist nicht ein einzelner Kommentar, sondern die Menge solcher Vergleiche und die Verbreitung.
Die Zahl der HolocaustVergleiche in den Kommentaren ist explodiert, als Berset die Verschiebung der Normalisierungsphase verkündet hat. Die Impfgegner haben sofort begriffen, dass sie dafür verantwortlich gemacht wer den, dass die Schweiz weiterhin im Ausnahmezustand ist. Gegen diesen Druck wehren sich viele mit den stärksten Bildern, die ihnen zur Verfügung stehen. Hätten wir von Anfang an alle entsprechenden Kommentare gelöscht, wäre dieses Gefühl nirgends abgebildet worden. Ab jetzt werden wir aber Vergleiche mit dem Schicksal der Juden im Dritten Reich konsequent löschen.
Beschleicht Sie kein schlechtes Gewissen,wennsichinIhrenKommentarspalten ein falsches Bild massenhaft verbreitet?
In unseren Foren sollen sich alle Mitglieder unserer Gesellschaft äussern können. Auch Menschen, die sich wenig differenziert ausdrücken können, Menschen, die nur Gefühle statt Argumente äussern möchten, oder Menschen, die mit ihren Argumenten beweisbar falschliegen. Nur so kann ein echter Dialog stattfinden, in dem Ansichten infrage gestellt werden können, und nur so sind wir als die demokratische Gemeinschaft, die wir nun mal sind, auch erlebbar.
Medien sollten möglichst viele Meinungen abbilden. Trotzdem gibt es rote Linien. Diese zu diskutieren, so wie wir es jetzt tun, ist wichtig. Vielen Dank dafür.