20 Minuten - Deutschschweiz uberregional
«Der Staat kann nicht ewig Massnahmen anordnen»
BERN. Booster-Impfung, Rückkehr zur Normalität, Impfzögerer: Im 20-Minuten-Interview stellt sich Virginie Masserey vom BAG den drängendsten Fragen.
Alain Berset versprach, Ende Juli die Normalisierungsphase einzuleiten. Das ist jetzt nicht möglich. Haben Sie die Impfbereitschaft überschätzt? Einige sind noch in den Ferien oder haben den Eindruck, dass im Sommer das Virus weniger zirkuliert. Manche haben Corona schon durchgemacht und denken, sie bräuchten die Impfung erst später.
Wie gross ist der Anteil Zögerer? Wir rechnen laut Umfragen mit 15 bis 25 Prozent. Stagniert die Durchimpfungsrate und zirkuliert das Virus bei den Ungeimpften, droht nach unseren Modellen eine Überlastung des Gesundheitswesens. Deshalb hoffen wir, dass diese Menschen sich noch für die Impfung entscheiden. Irgendwann müsste man doch sagen: Jetzt kann die Bevölkerung selbst entscheiden.
Ich denke, die Zeit wird kommen, wo wir die Verantwortung an die Bevölkerung abgeben müssen. Der Staat kann nicht ewig Massnahmen anordnen. Corona wird nicht verschwinden. Zentral bleibt aber, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird.
Während die Schweiz ab 2022 Drittimpfungen plant, ist Israel schon daran und Deutschland startet im September. Warum zögern Sie?
Die Experten der Eidgenössischen Kommission für Impffragen beobachten den Stand der Forschung eng. Bevor wir eine dritte Impfung empfehlen, müssen wir klare Evidenz haben. Wir haben genug Impfstoff reserviert. Wenn es nötig wäre, könnten wir sofort mit den Auffrischimpfungen beginnen. Länder wie Israel scheinen die Daten zu haben.
Israel stützt sich auf Beobachtungen in seinem Land. Es interpretiert diese Daten und hat darauf eine politische Entscheidung getroffen. Diese ist bei uns noch nicht gefallen. Wir warten die wissenschaftlich aufbereiteten Daten ab. Sollte eine Auffrischimpfung nötig sein, könnten wir schnell loslegen.
Das heisst: Die Schweiz könnte noch im Herbst mit Drittimpfungen beginnen?
Natürlich. Das gehört zu den Szenarien, mit denen wir arbeiten. Die Schweiz hat das nicht verschlafen. Wir fällten bisher immer die Entscheide erst, wenn die Datenlage fundiert, klar und sicher war.