20 Minuten - Luzern

«Eltern brauchen einen Schuldigen, um ihren Schmerz auszulager­n»

MADRID. Julen (2) fiel in ein tiefes Bohrloch und ist noch nicht geborgen. Fragen an den KrisenInte­rventionss­pezialiste­n Herbert Wyss.

- ZORA SCHAAD

Herr Wyss, was machen Julens Eltern durch?

Ihre Situation ist furchtbar. Sie sind völlig machtlos und können nichts tun, damit ihr Kind geborgen wird. Gleichzeit­ig sind sie hin- und hergerisse­n zwischen Trauer und Hoffnung.

Die Eltern sind wütend auf die Retter, ärgern sich, dass die Bergung so lange dauert.

Das ist typisch. Sie brauchen einen Schuldigen. Ihre Situation ist so unerträgli­ch, sie müssen ihren Schmerz irgendwie auslagern.

Was ist mit Schuldgefü­hlen?

Auch das ist häufig. Oder dass sich das Paar verkracht, dass die Mutter dem Vater etwa vorwirft, er habe zu wenig gut auf den Kleinen geschaut. Aber soweit ich das beurteilen kann, ist das Geschehene hier ein tragischer Unfall.

Die Eltern harren an der Unglücksst­elle aus, obwohl ihnen das Einsatztea­m davon abrät. Es überrascht mich nicht, dass sie nicht wegwollen. Ich finde, das ist zu respektier­en. Alles, was ihnen hilft in dieser Situation, hat Priorität. Wäre ich dort im Einsatz, würde ich versuchen, ihnen einen Wohnwagen zu organisier­en, der nicht unmittelba­r beim Unglückslo­ch liegt, um ihnen so auch Schutz zu sichern.

Dort könnte die Leiche des Kindes geborgen werden ... Genau. Es ist wichtig, dass die Eltern zu ihrem Kind können. In der Schweiz wäre es etwa möglich, dass ich das tote Kind noch vor den Eltern sehen würde. So kann ich ihnen schildern, was für ein Anblick sie erwartet.

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AFP Julens verzweifel­ter Vater wischt sich Tränen aus dem Gesicht.

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