Halle statt Bundeshaus: So erleben Politiker die historische Session
GENF. In einer über einen Kilometer langen Warteschlange standen Bedürftige in Genf für Grundnahrungsmittel an. Politiker reagieren schockiert und empört.
Diesen Moment wollten viele Ratsmitglieder im Bild festhalten: Erstmals tagen die Räte aus gesundheitlichen Gründen ausserhalb des Bundeshauses. «Diese Session wird in die Geschichte eingehen», so Nationalratspräsidentin Isabelle Moret. SP-Präsident Christian Levrat hatte wenig Lob für den Standort übrig: «Ein bisschen DDR-Stimmung.» Und CVP-Mann Martin Candinas meinte: Durch die Distanzregeln gebe es eine fast unheimliche Ruhe im Saal.
Laut dem «Global Wealth Report 2019» besitzt in der Schweiz jede Person ein Nettovermögen von rund 191100 Fr. Die Corona-Krise deckt nun aber auf, dass auch in der reichen Schweiz viele Menschen von Armut betroffen sind. Über 2500 Menschen standen vor der Genfer Eishalle für Grundnahrungsmittel wie Öl oder Teigwaren an, wie die SRF-«Tagesschau» am Sonntagabend berichtete. Darunter sind vor allem SansPapiers, Flüchtlinge ohne geregelten Aufenthalt oder Hausangestellte. Bereits eine Stunde bevor die Lebensmittel verteilt wurden, war die Warteschlange über einen Kilometer lang. Rund 2500 Personen standen an. Seit mehreren Wochen verteilt der Verein Caravane de Solidarité die Taschen an die Bedürftigsten. Viele der Bedürftigen haben auch Angst, zum Arzt zu gehen. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen nutzt die Warteschlangen, um mit den Menschen zu sprechen. Dabei versichern sie den Anstehenden, nicht nach Namen oder Wohnort zu fragen. In den sozialen Medien sorgt das Elend für grosse Aufregung. «In der reichen Schweiz: Menschen stehen in Genf für Gratisessen an. Die Schlange ist einen Kilometer lang. 2500 Personen, die auf Säcke im Wert von 20 Fr. warten», twitterte «Arena»-Moderator Sandro Brotz. Auch SP-Nationalrat Cédric Wermuth trifft die Situation der Bedürftigen. Für die Grossen habe die Schweiz Corona-Hilfen gefunden, kritisiert er. «Die Armen lässt man offenbar hängen. Ich schäme mich für diese Schweiz.»
Laut dem Hilfswerk Caritas stürzen die Folgen der Corona-Krise auch zahlreiche Menschen, die bereits vorher am Existenzminimum lebten, in eine akute Notsituation. Für sie stehe kein vom Finanzdepartement garantierter Kredit zur Verfügung. «Die Ärmsten trifft es heftig», sagt Hugo Fasel, Direktor von Caritas Schweiz.