«In der Coronavirus-Krise gehört die 1. Klasse abgeschafft»
BERN. Ab Montag wird Social Distancing im ÖV schwierig – braucht es eine Öffnung der 1. Klasse für Risikogruppen oder für alle Reisenden?
Die Corona-Lockerungen zeigen sich im Schienenverkehr: Das Angebot wird laufend ausgebaut, trotzdem werden die Züge voller. Das wird sich ab dem 11. Mai noch verstärken, wenn alle Läden wieder öffnen und mehr Pendler zur Arbeit fahren. ÖV-Vertreter und Politiker bezweifeln, dass die Distanzregelung dann noch eingehalten werden kann (20 Minuten berichtete).
Immunologe Beda Stadler hat einen unkonventionellen Lösungsansatz für das Platzproblem: «Einzelne Wagen müssen für Risikopatienten zur Verfügung gestellt werden. Es ist unfair, dass sich die Risikogruppe entweder daheim einsperren oder sonst einen Aufschlag für die 1. Klasse zahlen muss.» Stadler ist aber gegen eine Öffnung der 1. Klasse für alle: «Die Durchmischung von jungen Pendlern ist kein Problem. Im Gegenteil: Es wäre gut, wenn wir die Durchseuchung möglichst schnell erreichen würden.» Der Aufwand für die SBB sei überschaubar: «Sie müsste einfach Zettel an die Fenster kleben, wie sie es bei Reservationen tut. Die Kosten sind vernachlässigbar, wenn man das gesamte Defizit in der
Krise anschaut. Man muss nicht der Risikogruppe Geld abzwacken.»
Die Juso sind bei der Klassenfrage anderer Meinung. Sie forderten längst die Aufhebung der 1. Klasse. In der Krise gewinnt dieses Anliegen an Aktualität: Präsidentin Ronja Jansen: «Es ist absurd, wenn der Schutz im ÖV vom Portemonnaie abhängt. Die 1. Klasse gehört abgeschafft, ganz besonders jetzt.» Es sei stossend, dass oft die Hälfte der Züge mit Wagen der 1. Klasse ausgestattet seien: «Das zeigt, dass wirtschaftliche Interessen stärker gewichtet werden.»