Steigt Terrorgefahr mit Ende des IS-Kalifats?
Terrorexperte Guido Steinberg erklärt, wieso der «Islamische Staat» (IS) auch für uns gefährlich bleibt.
Steigt mit dem Ende des IS-Kalifats in Syrien und im Irak die Terrorgefahr bei uns?
Um mit dem Positiven zu beginnen: Mit dem Verlust seines Territoriums hat der IS viele Rekrutierungsmöglichkeiten sowie die Möglichkeit verloren, zentralisiert Attentäter auszubilden. Es ist aber nicht auszuschliessen, dass der IS noch über Zellen verfügt, die das weiterhin können. Aber das haben wir lange nicht mehr gesehen. Insgesamt hat sich die Sicherheitslage zumindest in Europa verbessert. Also geht vom IS keine erhöhte Gefahr mehr aus?
Leider doch, denn der IS hat sich auf diese Situation vorbereitet – was uns mit der grossen Frage zurücklässt: Wo sind die ganzen ausländischen ISKämpfer geblieben? Auf dem Höhepunkt hatte die Organisation bis zu 40 000 Kämpfer unter Waffen. Wenn man sich einzelne Kontingente anschaut – etwa das der deutschen ISKämpfer –, dann ist auffällig, dass bei Hunderten unklar ist, wo sie sich aufhalten.
Zieht der IS einen Vorteil aus dem Ende seines «Kalifats»? Der Vorteil ist die Fragmentierung der Organisation: Sie ist jetzt weniger angreifbar. Weniger Rekrutierungs- und Koordinationsmöglichkeiten – das klingt doch positiv.
Das grosse Aber ist: Wir wissen nicht, wo der IS noch überall unterwegs ist. Er hat eine derart multinationale Truppe rekrutiert, dass es mich nicht wundern würde, wenn wir in den nächsten Monaten Kampfgebiete entdeckten, die wir noch nicht auf dem Schirm hatten.
Und diese Kampfgebiete könnten auch in Europa sein?
Ja. Alle Länder mit IS-Rückkehrern müssen jetzt sehr genau hinschauen, ob es weiterhin Strukturen gibt, die die Bekämpfungsmassnahmen der letzten Jahre überlebt haben, oder ob Strukturen neu gebildet werden. Ich sehe es insgesamt positiv. Unsere Sicherheitsbehörden sind nicht schlecht aufgestellt. Aber es ist nie auszuschliessen, dass sie einige Strukturen nicht entdecken.