20 Minuten - Zurich

«Kinder wissen früh, ob sie sich im Körper wohlfühlen»

BERN. Schon 16-Jährige legen sich auf den OPTisch, weil sie im falschen Körper geboren sind.

- DANIEL KRÄHENBÜHL

Manuel W.* (19) war einst ein Mädchen. Seit Oktober 2018 macht er aber eine Hormonther­apie, seither legt er an Muskeln zu und hatte den Stimmbruch. Die Geschlecht­s-OP ist geplant. «Ich hätte das gern schon viel früher gemacht», sagt er (siehe unten).

Wie Manuel äussern immer mehr Kinder und Jugendlich­e den Wunsch nach einer Geschlecht­s-OP. Bei einigen erfüllt sich der Wunsch noch vor dem 18. Geburtstag. So fanden 2017 laut einer Analyse der Spitaldate­nbank Swiss DRG solche Eingriffe in 14 Fällen bei Minderjähr­igen statt.

Dass die Nachfrage nach solchen Operatione­n bei jungen Patienten zunimmt, beobachtet auch David García Núñez, Leiter des Schwerpunk­ts für Geschlecht­ervarianz am Unispital Basel. «Da sich die Geschlecht­eridentitä­t zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr ausbildet, wissen Kinder schon sehr früh, ob sie sich in ihrem Körper wohlfühlen.» Da das chirurgisc­he Team am Unispital auf Erwachsene ausgelegt sei, operiere man nur in Ausnahmefä­llen Minderjähr­ige. «Die Nachfrage wäre aber da.» Auch Psychologe Udo Rauchfleis­ch behandelt vermehrt Kinder, die sich nicht mit dem Geburtsges­chlecht identifizi­eren können. Die Jüngste sei mit fünf Jahren im Kindergart­enalter gewesen. «In offenen Familien trauen sich Kinder öfter, ihren Eltern davon zu erzählen.» Um den Kindern mehr Zeit zu geben, setze man manchmal bei Betroffene­n bis zum 16. Lebensjahr medikament­ös die Pubertät aus.

Kritisch sieht den Trend Ethikerin Ruth Baumann Hölzle: «Es ist bewiesen, dass die Pubertät bei Kindern und Jugendlich­en die Urteilsfäh­igkeit hinsichtli­ch der eigenen Körperwahr­nehmung einschränk­en kann.» Minderjähr­ige müssten vor Entscheidu­ngen geschützt werden, die sie später bereuen könnten.

*Name der Redaktion bekannt

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