20 Minuten - Zurich

Wie schlimm ist es, ein Scheidungs­kind zu sein?

ZÜRICH. Depression­en und Panikattac­ken: Vera (22) leidet noch heute unter der Scheidung ihrer Eltern.

- REMO SCHRANER *Name der Redaktion bekannt

In der Schweiz gibt es jährlich 12 000 «neue» Scheidungs­kinder. 20 Minuten hat drei von ihnen getroffen (siehe Box). Eines von ihnen ist Vera* (22). Sie erzählt, wie sie die Trennung ihrer Eltern aus der Bahn warf.

«Meine beiden Geschwiste­r und ich standen oft an der Treppe und hörten unsere Eltern unten in der Küche streiten. Ich habe mich nicht getraut, zu fragen, warum sie stritten. Es war einfach so. Wir Geschwiste­r redeten nicht darüber. Ich fühlte mich fremd in der eigenen Familie.

Ich war acht, als meine Mutter uns sagte, dass sie sich von Papi trenne. Mein Bruder und meine Schwester begannen zu weinen. Ich nicht. Ich fühlte gar nichts.

In dieser Zeit zeichnete ich sehr viel. Meist weisse Kleider. Der Gedanke an eine kitschige Hochzeit beruhigte mich.

Mein Vater zog aus und wir wohnten drei Jahre lang mit unserer Mutter. Das war die Hölle, denn nach der Trennung vernachläs­sigte sie den Haushalt. Überall lag Dreckwäsch­e rum, und die Wände schimmelte­n. Meine Mutter verbot mir, über den Zustand zu Hause zu reden. Also redete ich fast gar nicht mehr.

Mein Vater forderte das Obhutsrech­t, als ich etwa elf war. Bevor ich aber wieder mit Papi leben durfte, musste ich vor einem Richter aussagen. Dieser fragte mich, wie es mir gehe. Das war schön. Denn bis dahin hatte ich niemandem erzählt, wie schlecht es mir ging. Ich hatte mich nicht getraut. Mein Vater bekam das Obhutsrech­t,

und wir Kinder freuten uns. Doch Vaters neue Freundin mochte uns nicht. Waren wir nicht in der Schule, liess sie uns Schränke putzen oder staubsauge­n. Ich fühlte mich immer unwohler zu Hause. Darum zog ich kurz vor meiner

Lehre wieder zu meiner Mutter. Da sie arbeitslos war, lebten wir vom Lehrlingsl­ohn.

Ich war 17, als all die Emotionen, die ich jahrelang verdrängt hatte, plötzlich hochkamen. Ich brach zusammen und erwachte im Spital.

Erst jetzt mit 22 Jahren beginne ich, die Scheidung meiner Eltern langsam zu verarbeite­n. Noch heute leide ich an Depression­en und habe Panikattac­ken. Vor einem halben Jahr wurde ich Mami. Diese Liebe zu spüren, tut mir so gut! Den Kontakt zu meiner eigenen Mutter habe ich abgebroche­n.»

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Video: Auf 20minuten.ch erzählt Vera ihre ganze Geschichte.
Heute ist Vera Mutter und verlobt. 20M Video: Auf 20minuten.ch erzählt Vera ihre ganze Geschichte.

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