Corona-Regelchaos: Kantone unter Beschuss
BERN. In der Schweiz gibt es bald so viele Corona-Gesetze wie Kantone. Auch das Contact-Tracing kommt ans Limit. Versagen die Kantone in der Covid-19-Krise?
Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Epidemie sind Sache der Kantone. In einigen sind Clubs zu, andere kennen nicht einmal eine erweiterte Maskenpflicht. Dieser Kantönligeist kommt nun zunehmend in die Kritik. «Das Mischmasch von Massnahmen beeinträchtigt die Wirksamkeit im Kampf gegen das Coronavirus», sagt Epidemiologe Marcel Tanner.
In der Schweiz haben anders als im Frühling die Kantone den Lead, um die Corona-Epidemie zu bekämpfen. Seit dann sind einige mit Massnahmen aktiv geworden, andere warten ab. So hat etwa nur ein Teil der
Kantone die Maskenpflicht beim Einkaufen beschlossen. Nach dem Anstieg der CoronaFallzahlen gelang es zudem nicht mehr allen Kantonen, die Kontaktpersonen der Infizierten ausfindig zu machen.
Nun geraten die Kantone für ihr Krisenmanagement unter Beschuss. So sagt etwa der Epidemiologe Matthias Egger, früherer Leiter der Covid-Taskforce des Bundes: «Schon im Sommer zeigte sich, dass die
Strategie, die Fallzahlen mit dem Contact-Tracing zu stabilisieren, nicht vollständig funktionierte.» Passiere nicht bald etwas, habe die Schweiz im November vielleicht bereits 3000 Fälle pro Tag. In der Folge nähmen auch die Spitaleintritte und Todesfälle rapide zu. In der Krise zeigten sich die Schwächen des Föderalismus: «Das Mischmasch von Massnahmen beeinträchtigt die Wirksamkeit im Kampf gegen das Coronavirus.» Das Virus halte sich weder an Kantonsnoch an Landesgrenzen. «Die Kantone sollten sich so früh wie möglich auf neue Massnahmen einigen, um einen zweiten Lockdown zu verhindern», sagt er. Er verlangt etwa, sämtliche Clubs für einige Zeit zu schliessen. GrünenPräsident Balthasar Glättli sagt: «Es beelendet mich, dass sich der Föderalismus als nicht krisentauglich erweist.» Sei in einem Kanton ein Skeptiker am Ruder, mache er weniger.
Manuel Battegay, Chefarzt am Unispital Basel und Mitglied der Covid-Taskforce, verteidigt dagegen die aktuelle Strategie. Der Föderalismus erlaube es, «sehr nahe am Bürger zu sein». Auf diese Weise würden auch unangenehme Massnahmen besser akzeptiert. Auch Lukas Engelberger, Präsident
der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK), hält fest: «Nach unseren Informationen funktioniert das Contact-Tracing übers Ganze gesehen immer noch.»