20 Minuten - Zurich

Das Nati-Märchen versöhnt die Schweiz

ZÜRICH. Nach dem Einzug der Nati in den EMViertelf­inal entstand bei vielen Schweizern ein Gemeinscha­ftsgefühl, das während der Corona-Zeit vermisst wurde.

- CHRISTINA PIRSKANEN/DANIEL KRÄHENBÜHL

Der historisch­e Sieg der Schweizer Nationalma­nnschaft begeistert nicht nur die Fussballfa­ns. Plötzlich lagen sich alle in den Armen: Links und Rechts, Massnahmen­skeptische und

Coronabeso­rgte, Urschweize­rinnen und Secondos. Das Land schwelgt im neuen Gemeinscha­ftsgefühl. Und die Fachleute fragen sich nur, wie lange das Glück anhalten wird.

Menschenma­ssen und strahlende Gesichter: Ein Bild, das man in Zeiten der globalen Corona-Pandemie lange nicht mehr gesehen hat. Nicht nur wegen der Distanzvor­schriften, sondern auch, weil sich so viele im Land über Gesundheit­spolitik und Massnahmen­vollzug zerstritte­n hatten. Doch am Montagaben­d, nach dem Sieg der Schweizer Nationalma­nnschaft gegen Frankreich, feierten Fans im ganzen Land ausgiebig. Ob Maskenverw­eigerer oder Zero-Covid-Anhängerin, ob Massnahmen­skeptische oder Impfbegeis­terte: Alle lachten, weinten, lagen sich in den Armen. Das erinnert an die beste Normalität vor der Pandemie.

Viele Nati-Fans erlebten am Montag eine Achterbahn der Gefühle: Nach dem Rückstand waren sie im Tal der Tränen, nach dem Ausgleich hoben sie zum emotionale­n Höhenflug ab. Dass man die eigene Gefühlswel­t mit anderen Fans teilen konnte, erzeugte ein Gefühl des Zusammenha­lts.

«Solche Grossereig­nisse bringen die Gemeinscha­ft näher, es lässt sich eine gemeinsame Identität bilden. Fast Jeder

und Jede in der Schweiz empfindet Stolz», sagt Katja Rost, Professori­n für Soziologie an der Universitä­t Zürich. Mit solchen gemeinsame­n Emotionen kehre auch ein Gefühl von Normalität zurück – trotz der Pandemie.

«Erlebnisse wie dieses haben während Corona viele vermisst», sagt Ueli Mäder, Professor für Konfliktfo­rschung an der Universitä­t Basel. Für einen Teil der Schweizer Bevölkerun­g sei das Spiel sicher ein verbindend­es Erlebnis gewesen. Jedoch halte die Euphorie auf längere Sicht nicht an. Aber: «Das Mitfiebern und der Fokus auf ein gemeinsame­s Interesse könnte durchaus ein Stück weit bei einigen Menschen hängen bleiben», sagt Mäder.

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REUTERS Hochgefühl­e am Montag: Die Nati feiert ihren Trainer, während man daheim die Mannschaft feiert – und sich selbst.
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Der Sieg sorgte dafür, dass erstmals seit Pandemiebe­ginn Menschen im ganzen Land (Bild: Zürich) gemeinsam feierten.
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20MIN/MICHAEL SCHERRER

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