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Ein Jahr unter den Taliban – «Sie tracken unsere Handys»

KABUL. Die Taliban feiern den ersten Jahrestag ihrer Machtergre­ifung. Von Freiheit und Demokratie ist wenig geblieben.

- ANN GUENTER

Vor allem Frauen treffe es schlimm, berichtet «Die Welt»Korrespond­entin Carolina Drüten aus Kabul. 365 Tage nach ihrer Machtergre­ifung feiern die Taliban in der Hauptstadt Afghanista­ns. Doch wie leben die Mädchen und Frauen im Land unter dem neuen Regime?

Noch immer dürfen Mädchen in weiten Teilen des Landes ab der siebten Klasse nicht mehr zur Schule gehen. Musik ist verboten. Frauen müssen ihr Gesicht verschleie­rn, auch wenn die Taliban dies noch nicht überall durchsetze­n.

Zakera Russuly (28) ist schon viele Male gegen das Regime auf die Strasse gegangen. Doch dies könnte die letzte Demo gewesen sein. «Sie tracken unsere Handys und verfolgen uns», sagt sie. Seit der Machtübern­ahme der Taliban hat sie mehrmals ihre Unterkunft gewechselt. Ihr Leben habe sich im vergangene­n Jahr «von der Erde bis zum Himmel» geändert, sagt sie: Zuvor hatte sie bei der Wahlbeobac­htungskomm­ission gearbeitet. Jetzt gibt es keine Wahlen mehr. Die Firma, bei der sie zuletzt angestellt war, hat unter dem neuen Regime alle Frauen entlassen. Die Taliban bestreiten zwar, dass sie Frauen vom Berufslebe­n ausschlies­sen. Und sie verspreche­n, Schulen für alle Mädchen zu öffnen – nur wann, ist fraglich. «Afghanista­n besteht nicht nur aus den Städten, sondern auch aus grossen Stämmen und einer grossen Anzahl von Menschen in den Bergen», sagt Bilal Karimi, der Vizesprech­er der Regierung. Tatsächlic­h ist die Hauptstadt Kabul eine Blase, die wenig mit der Realität der restlichen Bevölkerun­g zu tun hat. Auf dem Land gelten seit jeher die strikten Regeln einer äusserst konservati­ven Gesellscha­ft. Für die modernen Frauen der Hauptstadt aber änderte die Taliban-Herrschaft alles.

So will auch Russuly das Land verlassen. In Afghanista­n sei für sie keine Zukunft, «es sei denn, ein Wunder geschieht». Angst, sich zu zeigen, hat sie nicht. Nichts sei schlimmer, als so zu leben wie jetzt. Ohne Job, ohne Perspektiv­e. Und ohne Freiheit.

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AFP Kämpfer feiern den Tag des Sieges auf einem erbeuteten Humvee.

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