Neue Zürcher Zeitung Sunday (V)
Der Mann mit den Haifischen
Bidsina Iwanischwili zieht die Fäden in der Politik Georgiens. Doch was will der geheimnisvolle Milliardär?
Sein Sohn Bera, ein Rapper, gab mit dem Lied «Georgian Dream» der Partei den Namen.
Man nannte ihn «Zauberer von Oz» oder «Graf von Monte Christo». Selbst in normalen Zeiten gilt der Milliardär Bidsina Iwanischwili als exzentrische und kontroverse Figur. Da ist seine Villa im James-bond-stil – mit einem Haifischbecken –, die sich auf einem Hügel über Georgiens Hauptstadt Tbilissi erhebt, da ist seine Vorliebe für Bäume, die er aus aller Welt einführt, da sind die Pinguine, Zebras und Lemuren, die er hält.
Aber dies sind keine normalen Zeiten im kleinen Land am Kaukasus. Seit Wochen finden hier Massenproteste statt. Die Polizei geht mit grosser Gewalt gegen sie vor. Grund ist ein Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen und unabhängigen Medien, die mit mehr als 20 Prozent aus dem Ausland finanziert sind, vorschreibt, sich als «ausländische Agenten» zu registrieren. Die Demonstranten sehen darin einen Angriff auf die Zivilgesellschaft und eine Annäherung an Russland.
Stiller Philanthrop
Was hat Iwanischwili damit zu tun? Mit einem Vermögen von rund sechs Milliarden Dollar ist er heute einer der reichsten Menschen Georgiens und der Gründer und Geldgeber der führenden politischen Partei des Landes: Georgischer Traum. Iwanischwilis Sohn Bera, ein bekannter Rapper, gab mit seinem Lied «Georgian Dream» der Partei den Namen. Iwanischwili hat vier Kinder, zwei sind Albinos.
2012 verhalf er der Partei zu einem Wahlsieg. Danach war er ein Jahr lang Ministerpräsident des Landes. Seit seinem Rücktritt 2013 hat er kein offizielles politisches Amt mehr inne. Dennoch sehen viele in ihm den mächtigsten Mann des Landes. Er ziehe im Verborgenen die Fäden, bestimme Regierungsposten. Jetzt machen ihn viele für das «Agentengesetz» verantwortlich.
Auch Tamar Tschugoschwili, eine ehemalige erste Vize-sprecherin des georgischen Parlaments und ehemalige Abgeordnete von Georgischer Traum. Sie arbeitete mit Iwanischwili zusammen, als dieser Regierungschef war. Iwanischwili ziele mit dem Gesetz klar auf die Wahlbeobachter, sagt sie. Im Oktober finden Wahlen im Land statt. «Ein und dieselbe Partei sowie ein und derselbe Mann sollten nicht 16 Jahre lang alles entscheiden und an der Macht bleiben.»
Iwanischwili stammt aus armen Verhältnissen, durfte als hervorragender Schüler aber in Tbilissi studieren. Anfang der 1980er Jahre zog er nach Moskau. Dort erwarb einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften und begann mit dem Handel von Computern und Telefonen. Das grosse Geld machte er nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Im Jahr 2003 kehrte er nach Georgien zurück und erwarb sich den Ruf eines geheimnisvollen Philanthropen. Viele hatten keine Ahnung, wer er war oder wie er aussah. In einem Artikel mit dem Titel «Der gute Oligarch» schrieb ein amerikanischer Reporter, der 2010 Iwanischwilis Heimatdorf besuchte, wie dieser die Häuser seines Dorfes reparieren liess, neue Möbel für Familien kaufte, ihre Hochzeiten und Beerdigungen bezahlte. Iwanischwili finanzierte auch eine orthodoxe Kathedrale in Tbilissi sowie Theater, Nationalparks und Spitäler.
In dieser Zeit sagte er – auch dem damaligen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili –, dass er niemals in die Politik gehen würde. Doch genau das sollte er tun; er besiegte 2012 Saakaschwili, der das Land zuvor zehn Jahre lang modernisiert hatte, dessen Regierungszeit aber auch durch Skandale und Repression gekennzeichnet war. Iwanischwili war eher westlich orientiert. Allerdings betonte er stets, dass es für Georgien wichtig sei, seine Beziehungen zu Russland zu normalisieren; gerade nach dem Krieg von 2008.
Giorgi Margwelaschwili war ein enger politischer Verbündeter von Iwanischwili. Er machte 2011 mit ihm Wahlkampf, diente zunächst als Minister in Iwanischwilis Kabinett, bevor er 2013 Präsident wurde. «Uns passte nicht, wie die vorherige Regierung Menschenrechtsfragen behandelte. Das waren unsere wichtigsten Werte – mehr Demokratie und Menschenrechte in Georgien», erinnert er sich. Als Regierungschef habe Iwanischwili bei Problemen im Kabinett oft gesagt, man solle doch schauen, wie es die Europäer gelöst hätten. Doch dann zerstritten sich die beiden. Margwelaschwili sagt, sein Weggefährte teile nicht mehr dieselben Werte.
Oligarchen-paradies
Was hat diesen Sinneswandel ausgelöst? Viele in Georgien weisen auf Russland, obwohl niemand Beweise für Verbindungen hat. Seine Handlungen signalisierten aber zunehmend eine radikalere Abkehr vom Westen. Er und seine Regierung weigerten sich, die russische Invasion in der Ukraine 2022 zu verurteilen oder sich den Sanktionen anzuschliessen. Georgien ist abhängig von wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland. Seine Regierung zog sich aus einem Plan zum Bau eines Tiefseehafens im Schwarzen Meer zurück, der von den USA und der EU unterstützt wurde.
Dann kam die Rede am 29. April. Iwanischwili sprach bei diesem seltenen Auftritt von einer westlichen «globalen Kriegspartei», die er beschuldigte, sich in Georgien einzumischen und das Land als «Kanonenfutter» für westliche Länder zu missbrauchen. Zu Beginn dieser Woche lehnte Iwanischwili zudem ein Treffen mit dem stellvertretenden amerikanischen Aussenminister James O’brien ab. Der georgische Regierungschef Irakli Kobachidse erklärte dies mit den «Sanktionen» gegen den Oligarchen. Doch weder die USA noch die EU verhängten solche gegen ihn.
Iwanischwili soll auch hinter einem neuen Gesetz stehen, das Offshore-unternehmen, die ihre Vermögen bis 2028 nach Georgien verlagern, von Steuern und Abgaben befreit. Damit wolle Iwanischwili sein eigenes Vermögen nach Georgien bringen, um möglichen künftigen Sanktionen zu entgehen, sagen Analysten.
«Oligarchen werden nun ermutigt, ihr Geld nach Georgien zu bringen. Das ist extrem gefährlich», sagt Fady Asly, Präsident der Internationalen Handelskammer Georgiens. Jede einzelne Transaktion dürfte nun mehrfach überprüft werden. «Iwanischwili ist völlig isoliert und von Speichelleckern umgeben», sagt Asly. Der Faktor, mit dem er nicht gerechnet habe, seien die Massenproteste. «Den jungen Leuten geht es um die Zukunft. Und ein 68-Jähriger will sie nun zurück in die Sowjetunion bringen.»