Neue Zürcher Zeitung Sunday (V)

Plötzlich bedeutungs­los

Die Tage der FDP scheinen auch in Berlin gezählt. Ehemalige Landtagsab­geordnete wissen heute schon, wie es sich anfühlt, der Macht beraubt zu sein.

- Von Michael Radunski, Berlin

Julika Sandt weiss, wie gefährlich Deutschlan­ds Ampelregie­rung für ihre Partei sein kann. Bei den Landtagswa­hlen in Bayern musste die FDP-FRAU nicht nur gegen politische Gegner von rechts und links ankämpfen, sondern vor allem gegen die schlechte Stimmung in Berlin. «Wir konnten tun, was wir wollten. Wir waren gefangen im Fahrwasser der ‹Ampel› in Berlin», erzählt die 52-Jährige.

An den Wahlabend im Oktober kann sich Sandt noch gut erinnern. «Das war sehr bitter. Ich hatte alles auf die Karte Erfolg gesetzt, jeden Tag von früh bis spät Wahlkampf gemacht und persönlich auch ein gutes Ergebnis bekommen. Aber dafür kann ich mir ja nichts kaufen.» Die Liberalen erhielten bloss 3 Prozent der Stimmen. Sandt verlor ihr Landtagsma­ndat, die FDP war draussen.

Ein ähnliches Debakel droht den Liberalen auf Bundeseben­e. In neusten Umfragen liegen sie bei 5 Prozent. Das würde gerade noch zum Einzug ins Parlament reichen. Vor etwas mehr als zwei Jahren erreichte die FDP noch satte 11,4 Prozent. Die Koalition mit SPD und Grünen hat ihren Rückhalt also mehr als halbiert.

«Für die FDP geht es um nichts Geringeres als um die eigene Existenz», sagt Albrecht von Lucke. Der Parteienfo­rscher der Zeitschrif­t «Blätter für deutsche und internatio­nale Politik» fällt ein vernichten­des Urteil: «Diese ‹Ampel› hat fertig, was das gemeinsame Agieren anbelangt.» Die Unzufriede­nheit unter den Fdp-mitglieder­n ist riesig. «Ich kenne in der FDP praktisch niemanden, der wirklich ein Freund der ‹Ampel› ist. Niemanden, der sagt, das sei eine tolle Kombinatio­n», sagt Sandt.

Früher entscheidu­ngsfreudig­er

In einer ganz ähnlichen Lage war die FDP schon einmal: 1982 in einer Regierung unter Führung der SPD. Bundeskanz­ler war Helmut Schmidt, FDP-CHEF Hans-dietrich Genscher. Die Differenze­n zwischen den Regierungs­partnern waren vergleichb­ar gross wie heute. Genscher sah Deutschlan­d am Scheideweg und betonte die Notwendigk­eit einer Wende.

Wie eine solche Wende aussehen konnte, zeigte der damalige Fdp-wirtschaft­sminister Otto Graf Lambsdorff mit seinem «Konzept für eine Politik zur Überwindun­g der Wachstumss­chwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslos­igkeit». Das Papier enthielt eine Reihe von Punkten, die für die SPD unannehmba­r waren. Die Folgen sind bekannt: Die FDP kehrte der SPD den Rücken und bildete fortan eine Koalition mit CDU/CSU unter der Führung von Helmut Kohl.

Martin Hagen war damals gerade erst geboren. Heute soll er die Zukunft der FDP mitgestalt­en. Die Laufbahn des 42-Jährigen klingt wie gemacht für einen Werbespot: mit 17 zu den Jungen Liberalen, dann Landesvors­itzender, schliessli­ch Spitzenkan­didat der Partei in Bayern und Wahl in den Bundesvors­tand.

Dann kommt Hagen in Kontakt mit der «Ampel». «Es war keine Liebesheir­at. Wir wären lieber in eine Unions-geführte Regierung eingetrete­n. Aber CDU/CSU haben den Wahlkampf nun einmal verbockt und waren auch nach der Wahl überhaupt nicht verhandlun­gsfähig», erzählt er. Als Teil der Fdp-delegation verhandelt Hagen mit SPD und Grünen den Koalitions­vertrag für die Ampelregie­rung. «Mit dem Ergebnis waren wir doch sehr zufrieden.» In Anspielung an die Hauptfarbe der FDP war teilweise sogar von den Gelben Seiten die Rede.

Mittlerwei­le klingt Hagen merklich ernüchtert. «In Schönwette­rzeiten hätte es funktionie­ren können», sagt er. Aber diese Zeiten kamen nicht. Vielmehr folgten die Coronakris­e und der Ukraine-krieg. Zudem steckt Deutschlan­d längst in einer Wirtschaft­skrise.

Doch viele Probleme der «Ampel» sind auch hausgemach­t. Ende 2023 durchkreuz­te etwa das Bundesverf­assungsger­icht die Finanzplän­e der Koalition: Übrig gebliebene­s Geld zur Bewältigun­g der Corona-krise hätte nicht in den Klimafonds der «Ampel» fliessen dürfen. Während das Prestigepr­ojekt der Grünen in Gefahr war, versuchten die Liberalen das Urteil für sich zu nutzen, um mit dem Thema Schuldenbr­emse ihr eigenes Profil zu schärfen. Vor allem der grüne Wirtschaft­sminister Robert Habeck und Fdp-finanzmini­ster Lindner geraten hier regelmässi­g in aller Öffentlich­keit aneinander: Investitio­nen durch Schulden hier, striktes Sparen da.

Zudem treten immer wieder auch grundsätzl­iche Differenze­n offen zutage: Während die FDP die Eigenveran­twortung des Einzelnen in den Vordergrun­d rückt, verfolgen SPD und Grüne eher einen gesamtgese­llschaftli­chen Ansatz. Doch selbst im Kleinen finden die Partner nicht mehr zusammen. So streitet man darüber, ob für die gemeinsam beschlosse­ne Bezahlkart­e für Asylbewerb­er ein eigenes Bundesgese­tz notwendig ist.

«Der Begriff ‹Ampel› ist regelrecht verbrannt», sagt Hagen. «Da kann man reden und arbeiten, tun und lassen, was man will. Vor Ort gegen diesen Negativtre­nd anzukommen, das ist fast unmöglich.» Er hat das als Fdp-spitzenkan­didat in Bayern durchaus versucht. Im Wahlkampf ging er sogar gegen die «Ampel» auf die Strasse und forderte, das umstritten­e Heizungsge­setz von Wirtschaft­sminister Habeck «vom Kopf auf die Füsse zu stellen». Hagen hatte Erfolg: Die Vorlage wurde auf Druck der FDP komplett überarbeit­et. Doch gedankt habe es ihr am Ende niemand.

Dass es für die FDP nicht nur um Macht, sondern auch um Inhalte gehen sollte, zeigte der Parteichef Christian Lindner im Herbst 2017. Damals liess er die Verhandlun­gen über eine mögliche «Jamaica-koalition» zwischen CDU/CSU, Grünen und FDP nach acht Wochen platzen. «Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren», verkündete er.

Und heute, in der «Ampel»? «Lindners Aussage trifft aus Sicht der FDP viel mehr auf das heutige Ampelbündn­is zu als auf die damals im Raum stehende Jamaica-koalition», sagt der Parteienfo­rscher von Lucke. Es sei von Beginn an eine kontrafakt­ische Überlegung gewesen, in diese Koalition zu gehen.

Dieses Grunddilem­ma durchzieht die gesamte Regierungs­zeit der FDP. Schon wenige Wochen nach der Wahl verkündete Lindner selbst, dass die FDP im Grunde mit den falschen Partnern zusammenar­beite. «Wenn man immer wieder sagt: ‹Das, was ich mache, ist eigentlich nicht das Gewünschte›, wird nicht nur die Koalition im Ansehen herunterge­wirtschaft­et, sondern letztlich auch die eigene Partei», bilanziert von Lucke.

Man liebt Verrat, nicht Verräter

Lindner hat ein Problem: Beendet er nun die «Ampel», würden die Wähler wohl vor allem ihm und der FDP die Verantwort­ung für das Scheitern zuschreibe­n. Auch das erwartete starke Abschneide­n der AFD würde wohl dem FDP-CHEF angelastet. «Es gilt der alte Satz: Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter, sprich: Viele würden das ‹Ampel›-aus schätzen, aber nicht den, der es herbeiführ­t. Lindner liefe also Gefahr, an der Beendigung der ‹Ampel› zu scheitern», sagt von Lucke.

Ähnlich sieht es auch der abgewählte Martin Hagen: «Wenn wir jetzt einfach hinwerfen und sagen: ‹Wir haben keine Lust mehr, wir sind raus› – das würde der Wähler nicht honorieren. Nur weil wir die unbeliebte ‹Ampel› beenden, wählt keiner FDP. Es geht uns um unser Land, um konkrete Sachthemen – daran kann man dann auch den Fortbestan­d einer Koalition festmachen.»

So wagt der Parteichef Lindner die Flucht nach vorne. Ein 12-Punkte-papier mit dem Titel «Wirtschaft­swende» soll für Deutschlan­d, aber auch für die Liberalen die Wende zum Guten bringen. Das Papier fordert im Grunde nicht weniger als eine komplette Neuausrich­tung der Ampelregie­rung.

Julika Sandt vergleicht die Situation mit ihrem eigenen Wahlkampf. «Ich kämpfe immer bis zum Schluss. Wenn ich nach Hause komme und auf dem Wohnzimmer­tisch noch drei Flyer finde, dann muss ich noch einmal raus und Leute überzeugen.» Lindners Papier zur «Wirtschaft­swende» ist aus ihrer Sicht der allerletzt­e Versuch. «Die Wirtschaft­swende ist notwendig. Wenn davon nichts durchkommt, wenn SPD und Grüne unseren Vorschläge­n nicht nachkommen, können wir das den Menschen in diesem Land nicht länger zumuten. Dann müssen wir da raus.»

In Schönwette­rzeiten hätte die «Ampel» funktionie­ren können. Aber diese Zeiten kamen nie. Was folgte, waren Corona, Krieg, Rezession.

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 ?? ?? Julika Sandt, Fdp-politikeri­n in Bayern, verlor bereits zweimal ihr Mandat im Landtag in München – nach 2013 erneut im Herbst 2023. Martin Hagen war glückloser Fdp-spitzenkan­didat in Bayern. Er war 2021 bei den Verhandlun­gen zur Ampelkoali­tion dabei. Der FDP-CHEF und Bundesfina­nzminister Christian Lindner war nie glücklich über das Bündnis mit den Grünen und der SPD.
Julika Sandt, Fdp-politikeri­n in Bayern, verlor bereits zweimal ihr Mandat im Landtag in München – nach 2013 erneut im Herbst 2023. Martin Hagen war glückloser Fdp-spitzenkan­didat in Bayern. Er war 2021 bei den Verhandlun­gen zur Ampelkoali­tion dabei. Der FDP-CHEF und Bundesfina­nzminister Christian Lindner war nie glücklich über das Bündnis mit den Grünen und der SPD.

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