Neue Zürcher Zeitung Sunday (V)
Plötzlich bedeutungslos
Die Tage der FDP scheinen auch in Berlin gezählt. Ehemalige Landtagsabgeordnete wissen heute schon, wie es sich anfühlt, der Macht beraubt zu sein.
Julika Sandt weiss, wie gefährlich Deutschlands Ampelregierung für ihre Partei sein kann. Bei den Landtagswahlen in Bayern musste die FDP-FRAU nicht nur gegen politische Gegner von rechts und links ankämpfen, sondern vor allem gegen die schlechte Stimmung in Berlin. «Wir konnten tun, was wir wollten. Wir waren gefangen im Fahrwasser der ‹Ampel› in Berlin», erzählt die 52-Jährige.
An den Wahlabend im Oktober kann sich Sandt noch gut erinnern. «Das war sehr bitter. Ich hatte alles auf die Karte Erfolg gesetzt, jeden Tag von früh bis spät Wahlkampf gemacht und persönlich auch ein gutes Ergebnis bekommen. Aber dafür kann ich mir ja nichts kaufen.» Die Liberalen erhielten bloss 3 Prozent der Stimmen. Sandt verlor ihr Landtagsmandat, die FDP war draussen.
Ein ähnliches Debakel droht den Liberalen auf Bundesebene. In neusten Umfragen liegen sie bei 5 Prozent. Das würde gerade noch zum Einzug ins Parlament reichen. Vor etwas mehr als zwei Jahren erreichte die FDP noch satte 11,4 Prozent. Die Koalition mit SPD und Grünen hat ihren Rückhalt also mehr als halbiert.
«Für die FDP geht es um nichts Geringeres als um die eigene Existenz», sagt Albrecht von Lucke. Der Parteienforscher der Zeitschrift «Blätter für deutsche und internationale Politik» fällt ein vernichtendes Urteil: «Diese ‹Ampel› hat fertig, was das gemeinsame Agieren anbelangt.» Die Unzufriedenheit unter den Fdp-mitgliedern ist riesig. «Ich kenne in der FDP praktisch niemanden, der wirklich ein Freund der ‹Ampel› ist. Niemanden, der sagt, das sei eine tolle Kombination», sagt Sandt.
Früher entscheidungsfreudiger
In einer ganz ähnlichen Lage war die FDP schon einmal: 1982 in einer Regierung unter Führung der SPD. Bundeskanzler war Helmut Schmidt, FDP-CHEF Hans-dietrich Genscher. Die Differenzen zwischen den Regierungspartnern waren vergleichbar gross wie heute. Genscher sah Deutschland am Scheideweg und betonte die Notwendigkeit einer Wende.
Wie eine solche Wende aussehen konnte, zeigte der damalige Fdp-wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff mit seinem «Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit». Das Papier enthielt eine Reihe von Punkten, die für die SPD unannehmbar waren. Die Folgen sind bekannt: Die FDP kehrte der SPD den Rücken und bildete fortan eine Koalition mit CDU/CSU unter der Führung von Helmut Kohl.
Martin Hagen war damals gerade erst geboren. Heute soll er die Zukunft der FDP mitgestalten. Die Laufbahn des 42-Jährigen klingt wie gemacht für einen Werbespot: mit 17 zu den Jungen Liberalen, dann Landesvorsitzender, schliesslich Spitzenkandidat der Partei in Bayern und Wahl in den Bundesvorstand.
Dann kommt Hagen in Kontakt mit der «Ampel». «Es war keine Liebesheirat. Wir wären lieber in eine Unions-geführte Regierung eingetreten. Aber CDU/CSU haben den Wahlkampf nun einmal verbockt und waren auch nach der Wahl überhaupt nicht verhandlungsfähig», erzählt er. Als Teil der Fdp-delegation verhandelt Hagen mit SPD und Grünen den Koalitionsvertrag für die Ampelregierung. «Mit dem Ergebnis waren wir doch sehr zufrieden.» In Anspielung an die Hauptfarbe der FDP war teilweise sogar von den Gelben Seiten die Rede.
Mittlerweile klingt Hagen merklich ernüchtert. «In Schönwetterzeiten hätte es funktionieren können», sagt er. Aber diese Zeiten kamen nicht. Vielmehr folgten die Coronakrise und der Ukraine-krieg. Zudem steckt Deutschland längst in einer Wirtschaftskrise.
Doch viele Probleme der «Ampel» sind auch hausgemacht. Ende 2023 durchkreuzte etwa das Bundesverfassungsgericht die Finanzpläne der Koalition: Übrig gebliebenes Geld zur Bewältigung der Corona-krise hätte nicht in den Klimafonds der «Ampel» fliessen dürfen. Während das Prestigeprojekt der Grünen in Gefahr war, versuchten die Liberalen das Urteil für sich zu nutzen, um mit dem Thema Schuldenbremse ihr eigenes Profil zu schärfen. Vor allem der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck und Fdp-finanzminister Lindner geraten hier regelmässig in aller Öffentlichkeit aneinander: Investitionen durch Schulden hier, striktes Sparen da.
Zudem treten immer wieder auch grundsätzliche Differenzen offen zutage: Während die FDP die Eigenverantwortung des Einzelnen in den Vordergrund rückt, verfolgen SPD und Grüne eher einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Doch selbst im Kleinen finden die Partner nicht mehr zusammen. So streitet man darüber, ob für die gemeinsam beschlossene Bezahlkarte für Asylbewerber ein eigenes Bundesgesetz notwendig ist.
«Der Begriff ‹Ampel› ist regelrecht verbrannt», sagt Hagen. «Da kann man reden und arbeiten, tun und lassen, was man will. Vor Ort gegen diesen Negativtrend anzukommen, das ist fast unmöglich.» Er hat das als Fdp-spitzenkandidat in Bayern durchaus versucht. Im Wahlkampf ging er sogar gegen die «Ampel» auf die Strasse und forderte, das umstrittene Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Habeck «vom Kopf auf die Füsse zu stellen». Hagen hatte Erfolg: Die Vorlage wurde auf Druck der FDP komplett überarbeitet. Doch gedankt habe es ihr am Ende niemand.
Dass es für die FDP nicht nur um Macht, sondern auch um Inhalte gehen sollte, zeigte der Parteichef Christian Lindner im Herbst 2017. Damals liess er die Verhandlungen über eine mögliche «Jamaica-koalition» zwischen CDU/CSU, Grünen und FDP nach acht Wochen platzen. «Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren», verkündete er.
Und heute, in der «Ampel»? «Lindners Aussage trifft aus Sicht der FDP viel mehr auf das heutige Ampelbündnis zu als auf die damals im Raum stehende Jamaica-koalition», sagt der Parteienforscher von Lucke. Es sei von Beginn an eine kontrafaktische Überlegung gewesen, in diese Koalition zu gehen.
Dieses Grunddilemma durchzieht die gesamte Regierungszeit der FDP. Schon wenige Wochen nach der Wahl verkündete Lindner selbst, dass die FDP im Grunde mit den falschen Partnern zusammenarbeite. «Wenn man immer wieder sagt: ‹Das, was ich mache, ist eigentlich nicht das Gewünschte›, wird nicht nur die Koalition im Ansehen heruntergewirtschaftet, sondern letztlich auch die eigene Partei», bilanziert von Lucke.
Man liebt Verrat, nicht Verräter
Lindner hat ein Problem: Beendet er nun die «Ampel», würden die Wähler wohl vor allem ihm und der FDP die Verantwortung für das Scheitern zuschreiben. Auch das erwartete starke Abschneiden der AFD würde wohl dem FDP-CHEF angelastet. «Es gilt der alte Satz: Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter, sprich: Viele würden das ‹Ampel›-aus schätzen, aber nicht den, der es herbeiführt. Lindner liefe also Gefahr, an der Beendigung der ‹Ampel› zu scheitern», sagt von Lucke.
Ähnlich sieht es auch der abgewählte Martin Hagen: «Wenn wir jetzt einfach hinwerfen und sagen: ‹Wir haben keine Lust mehr, wir sind raus› – das würde der Wähler nicht honorieren. Nur weil wir die unbeliebte ‹Ampel› beenden, wählt keiner FDP. Es geht uns um unser Land, um konkrete Sachthemen – daran kann man dann auch den Fortbestand einer Koalition festmachen.»
So wagt der Parteichef Lindner die Flucht nach vorne. Ein 12-Punkte-papier mit dem Titel «Wirtschaftswende» soll für Deutschland, aber auch für die Liberalen die Wende zum Guten bringen. Das Papier fordert im Grunde nicht weniger als eine komplette Neuausrichtung der Ampelregierung.
Julika Sandt vergleicht die Situation mit ihrem eigenen Wahlkampf. «Ich kämpfe immer bis zum Schluss. Wenn ich nach Hause komme und auf dem Wohnzimmertisch noch drei Flyer finde, dann muss ich noch einmal raus und Leute überzeugen.» Lindners Papier zur «Wirtschaftswende» ist aus ihrer Sicht der allerletzte Versuch. «Die Wirtschaftswende ist notwendig. Wenn davon nichts durchkommt, wenn SPD und Grüne unseren Vorschlägen nicht nachkommen, können wir das den Menschen in diesem Land nicht länger zumuten. Dann müssen wir da raus.»
In Schönwetterzeiten hätte die «Ampel» funktionieren können. Aber diese Zeiten kamen nie. Was folgte, waren Corona, Krieg, Rezession.