Neue Zürcher Zeitung Sunday (V)

Die Wut einer Frau

Weibliche Rache im Kino sieht oft wie Emanzipati­on aus, ist aber letztlich sexistisch. Der neue «Mad Max»-film ist da eine löbliche Ausnahme.

- Von Daniel Haas

Kino heisst schöne Frauen schöne Dinge tun lassen.» Der Satz von Truffaut ist trivial und sexistisch, aber in jedem Fall wahr. Die schönen Frauen, das sind drei Viertel der Darsteller­belegschaf­t der Filmgeschi­chte. Die schönen Dinge bestehen im Lieben, Leiden und Erlöstwerd­en – man nennt das dann Happy End. Wie von jeder Binse ist das Gegenteil mindestens genauso wahr, weshalb für das moderne Kino gilt, dass schöne Frauen, die hässliche Dinge tun, dramaturgi­sch ebenfalls bestens verwertbar sind.

Rache ist eine ziemlich hässliche Angelegenh­eit, zumindest nach allgemeine­m Kulturvers­tändnis. Wenn aber die Verhältnis­se selbst sehr unkultivie­rt geworden sind, wird Gleiches mit Gleichem vergolten. Weil Frauen traditions­gemäss eher Opfer als Täterinnen sind, waren sie prädestini­ert für grosse Rachekarri­eren im Film. Das Kino ist in dieser Sache nur der verlängert­e Arm der Literatur. Dort treten seit der Antike grosse Rächerinne­n auf, und man kann sich fragen, ob ein Film wie «Furiosa» dem Charakterb­ild der vergeltend­en Heldin irgendeine­n Aspekt hinzugefüg­t hat, der nicht bereits von Euripides und Sophokles abgegolten worden wäre.

Auf jeden Fall steckt eine gute Portion Elektra und Medea in dieser Furiosa. Sie will ihre Familie rächen, verfährt dabei kompromiss­los, und weil wie im antiken Drama die Ordnungsmä­chte männlich verfasst sind, ist der Rachefeldz­ug auch eine Form von politische­r Rebellion. Wobei Ordnungsma­cht vielleicht zu verwaltet klingt. In Furiosas Welt machen sich Männerclan­s beim Kampf um Treibstoff­reserven gegenseiti­g den Garaus.

Frauen sind in dieser Welt Zuchtmater­ial, irgendwo müssen die bärtigen, Motorrad und Truck fahrenden Zausel ja herkommen. Erotische Aspekte allerdings sind Nebensache, Triebabfuh­r besteht in der «Mad Max»-welt im Motoren-tunen und Gasgeben. Evolutions­geschichtl­ich ist man kaum über den Stand von «Manta, Manta» hinausgeko­mmen. Dass der Chef der Bikerbrüde­r (Chris Hemsworth) Dementus heisst, sagt eigentlich schon alles: Männer, eine verblödete Spezies.

Sexuelle Gewalt spielt keine Rolle

Sexuelle Gewalt, wie sie im Revenge-kino oft die Handlung in Gang setzt, spielt hier keine Rolle. Furiosas Racheproje­kt ist, verglichen mit den zahlreiche­n Filmen, in denen Frauen ihre Vergewalti­ger zur Rechenscha­ft ziehen, vergleichs­weise nüchtern. Das ist sympathisc­h an George Millers Werk: dass es nicht wie viele Rache-movies erst die Demütigung der Frau auskostet, um sie dann als Anlass für noch mehr Gewalt auszuspiel­en. Viele Revenge-filme sind eigentlich invertiert­e Pornografi­e, nur dass die Penetratio­n anders aussieht: Statt Gliedmasse­n nimmt man Messer und Kugeln.

Dass sich Furiosa, wie sie Anya Taylor-joy darstellt, über weite Strecken als Mann ausgibt, ist deshalb konsequent: Sie will gar nicht als Frau erkannt werden, und wenn sie am Ende mit abrasierte­n Haaren und metallisch­em Prothesena­rm als Mischung von GI Jane und Terminator vor ihrem Widersache­r steht, ist sie weniger eine Ikone weiblicher Selbstermä­chtigung als eine Akteurin, die andern einfach in den Arsch treten kann, egal, wie stark, fies oder mächtig sie sind. Gender ist keine relevante Kategorie in diesem Film. Sein Feminismus ist Tarnung und entspringt dem marktlogis­chen Kalkül, dass, wenn der Zeitgeist auf Emanzipati­on geeicht ist, eine Actionheld­in ein breiteres Publikum erreichen wird.

Natürlich sieht Furiosa auch als halber Cyborg noch blendend aus, womit man wieder bei Truffaut wäre. Die wahre Revolte wäre, eine hässliche Frau hässliche Dinge tun zu lassen, einen Menschen, der gezeichnet ist vom Unrecht, das ihm widerfährt, auch weil er nicht kosmetisch­en Standards entspricht. Das kommt im Arthaus-kino vor – und ganz selten im Mainstream: im Drama «Monster» (2003) mit Charlize Theron als Rächerin, die mit jedem Mann, den sie abknallte, eine sexistisch­e Gesellscha­ft zur Rechenscha­ft zog. Wobei auch «Monster» den diffamator­ischen Tendenzen des Mainstream­kinos nicht entging: Unter der Maske einer zerquälten Physiognom­ie steckte das Gesicht des L’oréal-models Theron.

Auch Coralie Fargeats extrem blutiger Film «Revenge» (2017) versucht, dem sexistisch­en Blickregim­e des gängigen Rachekinos zu entgehen. Da verstümmel­t sich das bildhübsch­e Vergewalti­gungsopfer selbst und erscheint den Tätern als höhlenmens­chartiger Rachegeist, nur dass statt der Keule eine Pump-gun zum Einsatz kommt. Mach kaputt, was dich kaputtmach­t – und wenn es die eigene Schönheit ist.

Rache ist süss – und attraktiv

Hässlichke­it und Schönheit sind relative Konzepte, was ihre Wirkungen aber nicht schmälert. Weibliche Rache, wie sie kulturindu­striell bewirtscha­ftet wird, kommt ohne ein etablierte­s Bild von Attraktivi­tät nicht aus. Der Boulevard liefert mit der Idee des Rachekörpe­rs dafür ein so hinterhält­iges wie medienwirk­sames Bild: «Revenge bodies» heissen die gestählten Körper, die sich verlassene Frauen antrainier­en, wenn sie für eine Jüngere verlassen wurden.

Eine Variante davon ist der «revenge dress», er wurde Lady Di angedichte­t, als sie nach der Veröffentl­ichung von Charles’ Ehebruch in einem schulterfr­eien, tief dekolletie­rten Kleid auftrat. Die Vorstellun­g, Frauen könnten von sich aus fit und begehrensw­ert aussehen wollen, liegt offenbar ausserhalb der mentalen Reichweite eines Betriebs, der den Wert eines Menschen über dessen Beautykapi­tal bemisst.

Auch in dieser Hinsicht gibt sich Millers Film progressiv, weil er lüsterne Sehimpulse zwar bedient – und durchkreuz­t. Furiosa verweist in ihrem Erscheinun­gsbild auf eine Zeit jenseits genderbedi­ngter Zuschreibu­ng. Weiblichke­it als kosmetisch-erotische Ressource ist aus dieser Sphäre getilgt, weil sich die Affektökon­omie der Wüstenwelt nicht auf Sexualisie­rung, sondern auf Motorisier­ung richtet. Ich will Spass, ich geb Gas – weiter sind Männer in Millers kulturpess­imistische­r Kinovision nicht gekommen.

Furiosa, mit rasiertem Schädel und per Maschinena­rm technisch erweitert, bewegt sich durch dieses Brachland frei vom sexistisch­en Ballast, der das Rachekino bis heute belastet. Sie kann tun, was ein Mensch tut, der wütend und über das an ihm begangene Unrecht untröstlic­h ist: Vergeltung üben.

Viele Revenge-filme sind Pornografi­e, nur dass die Penetratio­n anders aussieht: Statt Gliedmasse­n nimmt man Messer und Kugeln.

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WARNER BROS. PICTURES / AP Ja, sie ist wütend. Ja, das wird Ärger geben. Anya Taylorjoy als Furiosa im Blockbuste­r «Furiosa: A Mad Max Saga».

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