Neue Zürcher Zeitung Sunday (V)
Die Wut einer Frau
Weibliche Rache im Kino sieht oft wie Emanzipation aus, ist aber letztlich sexistisch. Der neue «Mad Max»-film ist da eine löbliche Ausnahme.
Kino heisst schöne Frauen schöne Dinge tun lassen.» Der Satz von Truffaut ist trivial und sexistisch, aber in jedem Fall wahr. Die schönen Frauen, das sind drei Viertel der Darstellerbelegschaft der Filmgeschichte. Die schönen Dinge bestehen im Lieben, Leiden und Erlöstwerden – man nennt das dann Happy End. Wie von jeder Binse ist das Gegenteil mindestens genauso wahr, weshalb für das moderne Kino gilt, dass schöne Frauen, die hässliche Dinge tun, dramaturgisch ebenfalls bestens verwertbar sind.
Rache ist eine ziemlich hässliche Angelegenheit, zumindest nach allgemeinem Kulturverständnis. Wenn aber die Verhältnisse selbst sehr unkultiviert geworden sind, wird Gleiches mit Gleichem vergolten. Weil Frauen traditionsgemäss eher Opfer als Täterinnen sind, waren sie prädestiniert für grosse Rachekarrieren im Film. Das Kino ist in dieser Sache nur der verlängerte Arm der Literatur. Dort treten seit der Antike grosse Rächerinnen auf, und man kann sich fragen, ob ein Film wie «Furiosa» dem Charakterbild der vergeltenden Heldin irgendeinen Aspekt hinzugefügt hat, der nicht bereits von Euripides und Sophokles abgegolten worden wäre.
Auf jeden Fall steckt eine gute Portion Elektra und Medea in dieser Furiosa. Sie will ihre Familie rächen, verfährt dabei kompromisslos, und weil wie im antiken Drama die Ordnungsmächte männlich verfasst sind, ist der Rachefeldzug auch eine Form von politischer Rebellion. Wobei Ordnungsmacht vielleicht zu verwaltet klingt. In Furiosas Welt machen sich Männerclans beim Kampf um Treibstoffreserven gegenseitig den Garaus.
Frauen sind in dieser Welt Zuchtmaterial, irgendwo müssen die bärtigen, Motorrad und Truck fahrenden Zausel ja herkommen. Erotische Aspekte allerdings sind Nebensache, Triebabfuhr besteht in der «Mad Max»-welt im Motoren-tunen und Gasgeben. Evolutionsgeschichtlich ist man kaum über den Stand von «Manta, Manta» hinausgekommen. Dass der Chef der Bikerbrüder (Chris Hemsworth) Dementus heisst, sagt eigentlich schon alles: Männer, eine verblödete Spezies.
Sexuelle Gewalt spielt keine Rolle
Sexuelle Gewalt, wie sie im Revenge-kino oft die Handlung in Gang setzt, spielt hier keine Rolle. Furiosas Racheprojekt ist, verglichen mit den zahlreichen Filmen, in denen Frauen ihre Vergewaltiger zur Rechenschaft ziehen, vergleichsweise nüchtern. Das ist sympathisch an George Millers Werk: dass es nicht wie viele Rache-movies erst die Demütigung der Frau auskostet, um sie dann als Anlass für noch mehr Gewalt auszuspielen. Viele Revenge-filme sind eigentlich invertierte Pornografie, nur dass die Penetration anders aussieht: Statt Gliedmassen nimmt man Messer und Kugeln.
Dass sich Furiosa, wie sie Anya Taylor-joy darstellt, über weite Strecken als Mann ausgibt, ist deshalb konsequent: Sie will gar nicht als Frau erkannt werden, und wenn sie am Ende mit abrasierten Haaren und metallischem Prothesenarm als Mischung von GI Jane und Terminator vor ihrem Widersacher steht, ist sie weniger eine Ikone weiblicher Selbstermächtigung als eine Akteurin, die andern einfach in den Arsch treten kann, egal, wie stark, fies oder mächtig sie sind. Gender ist keine relevante Kategorie in diesem Film. Sein Feminismus ist Tarnung und entspringt dem marktlogischen Kalkül, dass, wenn der Zeitgeist auf Emanzipation geeicht ist, eine Actionheldin ein breiteres Publikum erreichen wird.
Natürlich sieht Furiosa auch als halber Cyborg noch blendend aus, womit man wieder bei Truffaut wäre. Die wahre Revolte wäre, eine hässliche Frau hässliche Dinge tun zu lassen, einen Menschen, der gezeichnet ist vom Unrecht, das ihm widerfährt, auch weil er nicht kosmetischen Standards entspricht. Das kommt im Arthaus-kino vor – und ganz selten im Mainstream: im Drama «Monster» (2003) mit Charlize Theron als Rächerin, die mit jedem Mann, den sie abknallte, eine sexistische Gesellschaft zur Rechenschaft zog. Wobei auch «Monster» den diffamatorischen Tendenzen des Mainstreamkinos nicht entging: Unter der Maske einer zerquälten Physiognomie steckte das Gesicht des L’oréal-models Theron.
Auch Coralie Fargeats extrem blutiger Film «Revenge» (2017) versucht, dem sexistischen Blickregime des gängigen Rachekinos zu entgehen. Da verstümmelt sich das bildhübsche Vergewaltigungsopfer selbst und erscheint den Tätern als höhlenmenschartiger Rachegeist, nur dass statt der Keule eine Pump-gun zum Einsatz kommt. Mach kaputt, was dich kaputtmacht – und wenn es die eigene Schönheit ist.
Rache ist süss – und attraktiv
Hässlichkeit und Schönheit sind relative Konzepte, was ihre Wirkungen aber nicht schmälert. Weibliche Rache, wie sie kulturindustriell bewirtschaftet wird, kommt ohne ein etabliertes Bild von Attraktivität nicht aus. Der Boulevard liefert mit der Idee des Rachekörpers dafür ein so hinterhältiges wie medienwirksames Bild: «Revenge bodies» heissen die gestählten Körper, die sich verlassene Frauen antrainieren, wenn sie für eine Jüngere verlassen wurden.
Eine Variante davon ist der «revenge dress», er wurde Lady Di angedichtet, als sie nach der Veröffentlichung von Charles’ Ehebruch in einem schulterfreien, tief dekolletierten Kleid auftrat. Die Vorstellung, Frauen könnten von sich aus fit und begehrenswert aussehen wollen, liegt offenbar ausserhalb der mentalen Reichweite eines Betriebs, der den Wert eines Menschen über dessen Beautykapital bemisst.
Auch in dieser Hinsicht gibt sich Millers Film progressiv, weil er lüsterne Sehimpulse zwar bedient – und durchkreuzt. Furiosa verweist in ihrem Erscheinungsbild auf eine Zeit jenseits genderbedingter Zuschreibung. Weiblichkeit als kosmetisch-erotische Ressource ist aus dieser Sphäre getilgt, weil sich die Affektökonomie der Wüstenwelt nicht auf Sexualisierung, sondern auf Motorisierung richtet. Ich will Spass, ich geb Gas – weiter sind Männer in Millers kulturpessimistischer Kinovision nicht gekommen.
Furiosa, mit rasiertem Schädel und per Maschinenarm technisch erweitert, bewegt sich durch dieses Brachland frei vom sexistischen Ballast, der das Rachekino bis heute belastet. Sie kann tun, was ein Mensch tut, der wütend und über das an ihm begangene Unrecht untröstlich ist: Vergeltung üben.
Viele Revenge-filme sind Pornografie, nur dass die Penetration anders aussieht: Statt Gliedmassen nimmt man Messer und Kugeln.