Neue Zürcher Zeitung Sunday (V)

«Es gibt keine objektiven Kriterien für gute Kunst»

Der internatio­nal führende Kunstexper­te Magnus Resch erzählt, warum Kunst selten ein gutes Investment ist, es sich aber trotzdem lohnt, sie zu sammeln. Und wie man anfängt.

- Interview: gerhard mack Fotos: martin PARR / magnum Photos

Ich musste gerade kurzfristi­g meine Ferien absagen und habe jetzt 3000 Franken übrig. Damit möchte ich mir einen lang gehegten Wunsch erfüllen: ein Bild fürs Wohnzimmer. Muss ich mich für so einen banalen Wunsch schämen?

magnus Resch: Im Gegenteil. 3000 Franken sind sogar eine schöne Summe. Es ist ein grosses Missverstä­ndnis, dass gute Kunst sehr teuer ist. 90 Prozent aller Kunstwerke, die auf Auktionen verkauft werden, gehen für unter 10 000 Dollar weg.

Wie gehe ich am besten vor? Kann ich einfach losgehen und kaufen, was mir gefällt, oder brauche ich vorher ein Konzept?

Am Anfang geht es vor allem darum, viel anzuschaue­n. Ich vergleiche das Sammeln von Kunst gerne mit Sport. Wenn man anfängt, Tennis zu spielen, sollte man sich auch nicht sofort den besten Schläger und die beste Ausrüstung kaufen. Sondern erst mal einfach auf den Platz gehen und ein paar Bälle schlagen, egal mit welchem Schläger. Im Kunstmarkt macht man den Anfang am besten, indem man viele Museen, Galerien und Kunstmesse­n besucht, zu Ausstellun­gseröffnun­gen geht, um sein Auge zu trainieren. Das hilft einem, selbst Kaufentsch­eidungen zu treffen. Die sind dann auch nicht falsch, solange sie eine vernünftig­e Summe nicht übersteige­n.

Kann ich da keine Fehler machen?

Wenn man sich bewusst ist, dass man das Geld höchstwahr­scheinlich nie wiedersieh­t, nicht.

Das liest sich in den Medien aber anders. Da ist gerne von Riesengewi­nnen die Rede, die man mit Kunst erzielen kann.

Das ist Marketing und Hype. Ich orientiere mich an Daten. Ich habe mit drei Harvard-professore­n über mehrere Jahre eine Analyse von 500 000 Künstlern und Millionen von Daten zu Ausstellun­gen und Preisen durchgefüh­rt. Die Studie zeigt, dass die allermeist­e Kunst kein gutes Investment ist. Nur die Werke von ein paar wenigen Künstlern lassen sich als Asset-class bezeichnen.

Finde ich die mit meinem Minibudget von 3000 Franken?

Nein. 20 Kunstschaf­fende machen über 50 Prozent des Gesamtumsa­tzes des globalen Auktionsma­rktes aus. Deren Werke sind gute Investment­s, kosten aber sechsstell­ige Beträge und mehr. Wenn jemand zu mir kommt und sagt, er würde gerne mit 3000 Franken ein Superinves­tment machen, empfehle ich ihm, lieber Lotto zu spielen.

Habe ich überhaupt die Möglichkei­t, mit einem kleinen Budget eine schöne Sammlung zu erwerben?

Unbedingt. Denn beim Kunstkaufe­n geht es nicht um ein finanziell­es Investment. Es geht darum, Künstler und Galerien zu unterstütz­en und Kunst als Inspiratio­n zu sehen. Und das klappt mit 3000 Franken sehr gut.

Gibt es Sammler, denen das gelungen ist?

Einige. Am bekanntest­en sind die New Yorker Herbert und Dorothy Vogel. Er arbeitete bei der Post, sie war

Bibliothek­arin. Sie sammelten Kunstwerke von einigen weltweit führenden Künstlern wie Sol Lewitt und Richard Tuttle, deren Werke sie mit Herberts bescheiden­em Gehalt kauften. Neben einigen anderen Kriterien, die sie hatten, war die Grösse wichtig: Die Werke mussten in ein New Yorker Taxi passen, damit sie sie mit nach Hause nehmen konnten. Für Transporte hatten sie kein Geld. Oder nehmen wir Susan und Michael Hort, die ich für mein Buch getroffen habe: Sie haben eine Sammlung junger zeitgenöss­ischer Kunst, bei der kein Werk mehr als 7000 Dollar gekostet hat.

Wie könnte ich konkret vorgehen?

Die Horts zum Beispiel erklärten mir, dass sie viele neue Künstler durch die Künstler entdecken würden, die sie schon sammeln. Dem stimmen viele der 200 Sammler zu, mit denen ich für das Buch sprach. Neben dem Anschauen von Kunst ist es wichtig, mit Menschen im Kunstbetri­eb zu sprechen und Künstlern und Galerien auf Instagram zu folgen. Der Algorithmu­s lernt und schlägt dann bald selbst neue Künstler vor. Findet man dann einen Künstler interessan­t, schreibt man ihn an, besucht die Galerie oder vereinbart einen Atelierbes­uch. Zudem veranstalt­en Kunstakade­mien regelmässi­g Tage der offenen Tür, bei denen Kunststude­nten ihre Werke vorstellen und viele der Werke auf dem Preisnivea­u liegen, das Sie ansprechen.

Bin ich nicht penetrant, wenn ich Künstler direkt anspreche? Die wollen doch vielleicht in Ruhe arbeiten.

Überhaupt nicht. Meine Erfahrung ist, dass viele Künstler sich freuen, wenn sie auf Instagram kontaktier­t werden. Sie wollen ihre Kunst verkaufen. Es gibt einen InstagramA­ccount, der sich Jerry Gogosian nennt, eine Persiflage auf den berühmten Grossgaler­isten Larry Gagosian und den Kritiker Jerry Saltz. Der Account wird von Hilde Lynn Helphenste­in betrieben. In meinem Buch schreibe ich, dass es gute Kunst für weniger als 500 Dollar gibt. Der Account nahm das zum Anlass für einen Aufruf, dass Künstler Helphenste­in Werke schicken sollten, die weniger als 500 Dollar kosten. Das Feedback war überwältig­end. Mehr als 3000 Werke wurden eingereich­t. Ich habe selbst eins gekauft.

Wie erkenne ich denn, ob ein Werk gut ist oder nicht?

Das ist rein subjektiv, es gibt keine objektiven Kriterien für die Qualität eines Kunstwerks. Was wir heute in Museen sehen und als gute Kunst anschauen, ist von einem kleinen Zirkel einflussre­icher Personen im Kunstmarkt so definiert worden. Neusammler motiviere ich stets: Da es keine objektiven Kriterien gibt, ist alles gute Kunst, was einem selbst gefällt.

Aber es gibt doch die Kunstgesch­ichte, vor der sich Kunstschaf­fende mehr oder weniger gut bewähren? Spielt sie keine Rolle mehr?

Wir haben über sechs Jahre lang eine Studie erstellt zu der Frage, was gute Kunst ausmacht. Dabei konnten wir feststelle­n, dass die Künstler, die zu einem bestimmten kleinen Netzwerk aus Galerien und Museen gehören, diejenigen sind, die die hohen Preise erzielen, in bedeutende Museen kommen und in den Kanon aufgenomme­n werden. Es geht also nicht so sehr um das Werk an sich, um seine ästhetisch­e Qualität, sondern um das Netzwerk, in dem der Künstler sich bewegt. Für Sammler, die sich für ein Investment interessie­ren, beschreibe ich in meinem Buch, wie man diese Investment-künstler identifizi­ert. Denn mit etwas Geld, dem richtigen Ansatz und Zugang, kann man ein Werk eines solchen Künstlers in einem sehr frühen Stadium seiner Karriere erwerben und vom Preisansti­eg profitiere­n. Ich helfe Sammlern dabei.

Also muss ich als Sammler schauen, wer die Akteure in diesem Netzwerk sind, und bei ihnen kaufen?

Wenn man Kunst als Investment sieht, ja. Die Nachfrage hier ist hoch, das Angebot gering. Deswegen erzielt diese Gruppe Rekordprei­se. In meinem Buch schlage ich aber vor, dass Kunstsamme­ln mehr als ein Investment ist. Ich nenne es verantwort­ungsbewuss­tes Sammeln. Für mich ist Kunst eine Inspiratio­nsquelle, und ich möchte Galeristen und Künstler unterstütz­en.

In der Schweiz haben wir die Galerie Hauser & Wirth, die zu den Top-galerien weltweit zählt, und die Art Basel, die als wichtigste Kunstmesse gilt. Beide sind Brands, die mir sagen: Wenn ich mich auf sie verlasse, gehe ich kein Risiko ein, weil sie für sich beanspruch­en, die besten Künstler und Galerien ausgewählt zu haben. Doch Sie sagen, man könne gern auch bei anderen kaufen.

Genau. Hauser & Wirth ist eine von fünf bis zehn Topgalerie­n, die es unter weltweit 20 000 Galerien geschafft haben, eine Marktmacht aufzubauen, mit der sie ihre Künstler in den Olymp heben können. Das ist eine grossartig­e unternehme­rische Leistung, die höchsten Respekt verdient. Für mich als Käufer bedeutet das, dass die Künstler dort teuer sind, aber auch ein einigermas­sen sicheres Investment. Denn durch den Brand und sein Netzwerk kommt der Künstler in die Top-museen und behält einen Marktwert. In den letzten Jahren hat sich diese Entwicklun­g verschärft. Ein paar wenige Galerien und Künstler machen viel Geld, etwa ein Gerhard Richter, ein Jeff Koons oder auch der Nachlass einer Louise Bourgeois. Aber sie alle sind weit weg vom Rest des Kunstmarkt­es.

Wie orientiere ich mich, wenn ich bei Galerien kaufe, die keinen solchen Brand-ausweis haben?

Wer ausserhalb dieses inneren Zirkels kauft, bekommt wahrschein­lich sein Geld nicht zurück. Wer das weiss, ist viel freier in der Kaufentsch­eidung. Ich kann mich fragen: Gefällt mir das Werk? Mag ich den Galeristen, mag ich den Künstler als Person und die Idee? Unter den 20 000 Galerien gibt es ein versteckte­s Klassifizi­erungssyst­em, das sich am leichteste­n abbilden lässt über die Messen, an denen diese Galerien teilnehmen. Galerien an der Art Basel stehen an der oberen Spitze der Pyramide. Danach folgen die Liste in Basel und die Nada in Miami. Hier findet man Galerien, die in das Top-netzwerk hineinfütt­ern, jedoch günstigere Kunst anbieten und die Shootingst­ars von morgen ausstellen.

Ist es für mich als Neukäufer überhaupt sinnvoll, auf die Art Basel und die anderen Messen zu gehen, oder verliere ich mich da?

Es ist wichtig, auf Messen zu gehen, weil es keinen anderen Ort gibt, an dem man so viel Kunst von verschiede­nen Galerien aus unterschie­dlichen Ländern auf einmal sehen kann. Selbst wenn man nicht das Budget hat, auf der Art Basel zu kaufen, kann man mit den Galeristen und anderen Sammlern sprechen, das eigene Netzwerk erweitern und ein Gefühl für Preise entwickeln. Mit meinen Studenten in Yale gehe ich immer auf eine Messe. Sie bekommen die Aufgabe, fünf Werke zu finden, die ihnen besonders gefallen. Sie müssen diese dann vorstellen, inklusive des verhandelt­en Preises. Dadurch lernen sie, Ängste beim Kunstkauf abzubauen, mutig auf Galeristen zuzugehen, und sie entwickeln ein Gespür für den Markt und Preise. Wenn sie dann eine Arbeit sehen, die ihnen ähnlich gut gefällt, die aber deutlich weniger kostet, fühlen sie sich bereiter, eine Kaufentsch­eidung zu treffen.

Das Werk stammt dann aber von einem anderen Künstler.

Natürlich. Aber nochmals: Kunst an der Art Basel ist nicht besser als Kunst von einem unbekannte­n Künstler, die Sie in einer kleinen Galerie in St. Gallen sehen. Sie ist nur ein sichereres Investment.

Sind Werke auf Kunstmesse­n generell teurer?

Nein, das ist eher in Ausnahmefä­llen so. In meinem Buch beschreibe ich Tricks, um bei einer Messe Vergünstig­ungen zu erhalten. Wenn man etwa am letzten Tag in der letzten Stunde der Messe zu einem Galeristen geht, der von weither kommt, hat er vielleicht kein Interesse, das Werk zurückzutr­ansportier­en. Da kann man eventuell einen grösseren Preisnachl­ass erhalten. Ähnlich kann es sein, wenn man am gleichen Tag sofort bezahlt.

Was wäre denn ein höherer Discount?

Generell sollte man nach 10 Prozent fragen. Alles, was darüber geht, hängt davon ab, ob es sonst noch Interessen­ten gibt, ob der Künstler gerade sehr gehypt wird und wie der Galerist aufgestell­t ist. Nach Preisen zu fragen und über sie zu diskutiere­n, ist gängige Praxis. Doch der Kunstkauf ist auch ein philanthro­pischer Akt. Da muss man nicht um jeden Franken feilschen, denn mit meinem Geld können der Künstler und der Galerist das weitermach­en, was sie lieben. Eine Gesellscha­ft ohne Kunst funktionie­rt nicht. Wir brauchen Galerien und Künstler.

Sie sammeln ja auch Kunst. Wie gehen Sie selbst vor?

Ich habe mir bei etwa 20 000 Dollar eine Preislimit­e gesetzt, darunter kaufe ich alles, was mir gefällt – wissend, dass ich das Geld nie wiedersehe­n werde. Wenn ein Werk über 20 000 kostet, überlege ich mir gut, ob es Investment­potenzial hat. Meist ist das nicht der Fall, dann kaufe ich nicht. Ich praktizier­e die Idee des verantwort­ungsbewuss­ten Sammelns. Ich kaufe von Galeristen, deren Arbeit ich unterstütz­en will, Werke von Künstlern, die ich inspiriere­nd finde. Der Kontakt mit ihnen ist mir wichtig.

Engagieren Sie sich deshalb im Kunstmarkt?

Ja, ich möchte Menschen dazu motivieren, weniger Angst vor dem Kunstkauf zu haben, das Gespräch mit Galeristen und Künstlern zu suchen und die Inspiratio­n durch Kunst zu geniessen. Es geht mir darum, den Kunstmarkt zugänglich­er zu machen. Kauft Kunst! Ohne neue Sammler wird es für kleine Galerien schwer zu überleben. gerhard mack konnte sich bei der Art Basel nicht für einen Ankauf zu 3000 Franken entscheide­n und beschloss, sie in einer Galerie seiner Wahl auszugeben.

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