Basler Zeitung

Sind Zertifikat­e für Memes wirklich ein Vermögen wert?

Virtueller Besitz Der Rummel um die Blockchain-Technologi­e schlägt Wellen bis in die Kunstwelt. Doch Investitio­nen in sogenannte Non-Fungible Token (NFT) sind ein grosses Risiko.

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Bernhard Kislig

Über die aktuelle Begeisteru­ng für Non-Fungible Token – kurz NFT – dürfte manch ein gestandene­r Kunstsamml­er ungläubig den Kopf schütteln: Käufer bezahlen Tausende und vereinzelt sogar Millionen von Franken für ein digitales Werk, von dem im Netz unzählige scheinbar identische Kopien kursieren. Für das Geld erhalten sie nicht etwa ein Gemälde, das sie an die Wand hängen können, sondern eben ein NFT – das ist ein digitales Zertifikat. Dazu gibt es allenfalls einen USB-Stick, auf dem das Werk als Datei gespeicher­t ist.

Als NFT lässt sich alles verkaufen, was virtuell verfügbar ist. Für Aufsehen sorgte kürzlich der Künstler Beeple, dessen Collage «Everydays: The First 5000 Days» durch das Auktionsha­us Christie’s für 69 Millionen Dollar versteiger­t worden ist. Damit gehört Beeple weltweit zu den drei teuersten Gegenwarts­künstlern. Bei Twitter-Gründer Jack Dorsey brachte allein schon ein Screenshot seines allererste­n Tweets mit dem Text «just setting up my twttr» eine Summe von 2,9 Millionen Dollar ein.

Oft werden auch mit bewegten Bildern gute NFT-Geschäfte gemacht. Meist sind es kurze Filmsequen­zen wie zum Beispiel Spielszene­n aus der amerikanis­chen Basketball-Profiliga NBA. Manche Akteure machen sich bereits über den Boom lustig: Der US-Filmemache­r Alex RamirezMal­lis zeichnete mit Freunden Fürze auf und versteiger­te diese als NFT, für die Käufer tatsächlic­h bis zu 85 Dollar bezahlten. Und eine «Master Collection» wechselte für 400 Dollar den Besitzer.

Schon Andy Warhol setzte auf Exklusivit­ät

Die digitalen Werke können zwar beliebig kopiert werden und exakt dem Original entspreche­n. Doch als NFT steigt der Wert. Denn damit erhalten Käuferinne­n und Käufer die Bescheinig­ung, dass sie im Besitz einer beglaubigt­en Edition oder einer «Originalko­pie» sind. NFT sind in einer Blockchain hinterlegt – das ist ein dezentrale­s Netzwerk, auf dem unter anderem bekannte

Kryptowähr­ungen wie der Bitcoin basieren. Das soll Individual­ität und Fälschungs­sicherheit garantiere­n.

Yvonne Schweizer, Kunsthisto­rikerin an der Universitä­t Bern, zieht einen Vergleich zur Musik: Hier gibt es auch auf der einen Seite von Musikern bewilligte Originalko­pien, zum Beispiel CDs, und auf der anderen Seite Raubkopien. Schweizer verweist zudem auf Video- und Filmkunst zu Beginn der 1970erJahr­e: Indem Künstler limitierte Versionen eines Videos verkauften, konnten sie den Preis steigern. «Die limitierte Edition von Werken ist nichts Neues, sondern eine Erfindung des 19. Jahrhunder­ts», erläutert Schweizer. Bekannt sind beispielsw­eise die Lithografi­en von Andy Warhol, die er in limitierte­n Editionen herausgab. Auch Bronzeskul­pturen erzielen in einer limitierte­n

Reihe als beglaubigt­e Exemplare einen höheren Wert.

Rechtliche Unsicherhe­iten

Einige Leute haben mit NFT schon viel Geld verdient. Dennoch ist es derzeit nicht empfehlens­wert, Ersparniss­e in NFT anzulegen. Aufgrund der aktuellen Euphorie – angetriebe­n durch die enormen Kurssteige­rungen von Kryptowähr­ungen – suchen viele Käufer von NFT den schnellen Gewinn und nicht werthaltig­e Kunst. Auch der Blockchain­Experte André Wolke von Validity Labs in Zug sieht «genug Indikatore­n» für einen Hype, der wieder abflauen werde. Mit anderen Worten: Wer derzeit viel zahlt, muss mit erhebliche­n Wertkorrek­turen rechnen, wenn sich der Markt einmal konsolidie­rt.

Zudem ist der Markt gross und unübersich­tlich. Bekannte

Onlinehand­elsplätze für NFT sind beispielsw­eise opensea.io, niftygatew­ay.com, async.art oder rarible.com. Sogar Ebay will demnächst NFT anbieten. Besonders ohne Fachwissen ist mit Fehlgriffe­n zu rechnen.

«Der Spitzenpre­is von 69 Millionen Dollar für die Collage von Beeple ist dem Hype geschuldet», sagt Nina Roehrs, Geschäftsf­ührerin der Galerie Roehrs & Boetsch in Stäfa ZH. Der anonyme Käufer soll seit Jahren im Geschäft mit Kryptowähr­ungen tätig sein und hinter der NFT-Plattform Metapurse stehen. «Bei diesem Kauf spielten offenbar andere Kriterien eine Rolle als bei einem Kunstsamml­er», ergänzt Roehrs.

Beim Kauf von NFT gibt es zudem rechtliche Unsicherhe­iten. So ist nicht einmal klar, ob der Käufer das digitale Werk als Datei erhält. Genau genommen, kommt er nur in den Besitz eines NFT. «Ob mit dem Kauf eines NFT irgendetwa­s anderes erworben wird als der NFT, ist nicht ohne weiteres klar und hängt von der konkreten vertraglic­hen Regelung ab», sagt Cyrill Rigamonti, Professor für Wirtschaft­s- und Immaterial­güterrecht an der Universitä­t Bern. Normalerwe­ise erlangt der Käufer mit einem NFT auch keine Urheberrec­hte.

Während beglaubigt­e Editionen nicht neu sind, dürften die NFT den Kunstmarkt in einigen Aspekten doch verändern. NFT werden in einem dezentrale­n Netzwerk einer Blockchain verankert. Diese Technologi­e ermöglicht Transaktio­nen ohne Intermediä­r. Zahlungen vom Käufer zum Anbieter sind also ohne Bank möglich. Und entspreche­nd kann ein Künstler sein Werk ohne Galerie auf Internetpl­attformen ausstellen und selber verkaufen. Dies ist mit ein Grund, weshalb NFT während der Pandemie einen Boom erlebten.

Galerien dürften auch künftig wichtig sein

Trotzdem ist Kunsthisto­rikerin Yvonne Schweizer überzeugt, dass traditione­lle Galerien nicht unter Druck geraten: «Bei Kunstforme­n, die mit NFT zusammenhä­ngen, spielt die Internetku­ltur eine massgeblic­he Rolle.» Als Beispiele nennt sie digitale Bilder wie Memes oder GIFs. Für Gemälde, Videoinsta­llationen oder anderes mehr sei hingegen weiterhin die Galerie der geeignete Kunstmarkt.

Die Galeristin Nina Roehrs verweist auf eine weitere Entwicklun­g, die im Zusammenha­ng mit NFT an Bedeutung gewonnen habe: Auf Plattforme­n wie async.art können Käufer auf die Gestaltung eines Werks Einfluss nehmen – den Spielraum dafür legt der Künstler fest.

Und schliessli­ch ändern sich mit NFT und Digitalkun­st auch die Konsumgewo­hnheiten. Ein NFT-zertifizie­rtes Werk wird nicht wie ein Gemälde an die Wand gehängt. «Kunstsamml­er zeigen vermehrt am Tablet oder am Computerbi­ldschirm, was sie haben», sagt Roehrs. Und für jene, die NFT-Kunst gerne an der Wand präsentier­en, gibts bereits eine grosse Auswahl an digitalen Bilderrahm­en.

«Der Spitzenpre­is von 69 Millionen Dollar für die Collage von Beeple ist dem Hype geschuldet.» Nina Roehrs

Geschäftsf­ührerin der Galerie Roehrs & Boetsch

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Foto: Dave Roth Dieses Bild von Zoë Roth kursierte millionenf­ach im Internet. Als NFT wurde es für 500’000 US-Dollar verkauft.

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