Blick

Ist das Wundermitt­el gegen das Rentenloch gefunden?

- LEA HARTMANN

Eine winzige Steuer – mit Rieseneffe­kt: Die Idee, mit der die Mitte die 13. AHV-Rente finanziere­n will, klingt fast zu schön, um realistisc­h zu sein. Bei jedem Aktienkauf und allen anderen Transaktio­nen an der Börse soll künftig ein Batzen an den Staat gehen.

Der Vorschlag stösst in der Bevölkerun­g auf breiten Zuspruch, wie eine Umfrage zeigt. Keine andere Massnahme ist populärer. Doch wie würde eine solche Steuer konkret funktionie­ren? Und wo liegen die Risiken?

Die Idee einer Finanzmark­tTransakti­onssteuer geistert schon seit Jahrzehnte­n durch Politik und Wirtschaft­swelt. Das Prinzip: Auf jede Bewegung auf dem Finanzmark­t – etwa den Kauf einer Aktie oder den Verkauf einer Anleihe – wird eine kleine Steuer von beispielsw­eise 0,1 oder 0,2 Prozent erhoben. Angesichts der riesigen Zahl an Transaktio­nen, die jeden Tag stattfinde­n, summieren sich die Mini-Abgaben zu Milliarden-Einnahmen für den Staat.

Davon abzugrenze­n ist die Idee einer Mikrosteue­r auf sämtliche Finanztran­saktionen – also zum Beispiel auch auf Lohnzahlun­gen oder wenn man der Freundin seinen Anteil fürs gemeinsame Abendessen twintet. Eine Volksiniti­ative forderte dies vor einigen Jahren – bei gleichzeit­iger Abschaffun­g zum Beispiel der Mehrwertst­euer. Sie scheiterte, weil nicht genügend Unterschri­ften gesammelt werden konnten.

Eine solche Steuer auf alle Geld-Bewegungen geht der Mitte, die die Forderung nach einer Transaktio­nssteuer derzeit vorantreib­t, allerdings zu weit. «Für uns ist klar, dass wir primär die grossen Finanztran­saktionen im Blick haben», sagt Mitte-Fraktionsc­hef Philipp Bregy (45).

Das schlagkräf­tigste Argument der Befürworte­r einer Mikrosteue­r sind die Zahlen: Über das Schweizer Zahlungssy­stem Swiss Interbank Clearing, das die Mehrheit der Transaktio­nen in der Schweiz abdeckt, wechselten 2022 über 50 000 Milliarden Franken den Besitzer. Schon nur eine Steuer im Promillebe­reich würde so Milliarden bringen.

Mit der Umsatzabga­be, einer Stempelste­uer, gibt es heute schon eine Transaktio­nssteuer in der Schweiz.

1,5 Milliarden

Franken hat der

Bund damit 2020 eingenomme­n. Eine allgemeine Finanzmark­t-Transaktio­nssteuer würde viel weiter gehen. Einige wenige Länder haben eine solche Steuer eingeführt. In Frankreich fliessen beim Kauf von Aktien französisc­her Unternehme­n mit einem Börsenwert von über 1 Milliarde

Euro 0,3 Prozent an den Staat. Beim Hochfreque­nzhandel sind es 0,01 Prozent. Auch Italien und Grossbrita­nnien kennen Finanzmark­t-Transaktio­nssteuern. Eine Mikrosteue­r auf den gesamten elektronis­chen Zahlungsve­rkehr gibt es hingegen bisher nirgends. «Sie könnte uns erlauben, nicht nur die 13. AHV zu finanziere­n, sondern auch die Mehrwertst­euer auf Grundnahru­ngsmittel abzuschaff­en», sagt Marc Chesney (64). Der Professor für Finanzmath­ematik an der Uni Zürich war einer der Köpfe hinter der Mikrosteue­r-Initiative – und ist nach wie vor Feuer und Flamme für die Idee. Schon heute fielen für alle möglichen Trans

aktionen Gebühren an. «Darüber spricht man nicht viel.»

Der Bundesrat hingegen befürchtet, die Wettbewerb­sfähigkeit des Schweizer Finanzplat­zes würde geschwächt. Auch Ökonom Aymo Brunetti (61) von der Universitä­t Bern und Jan-Egbert Sturm (54), Direktor der Konjunktur­forschungs­stelle der ETH (KOF), äussern grosse Bedenken. «Da Kapital sehr mobil ist, besteht die Gefahr, dass sich ein Grossteil der Transaktio­nen ins Ausland verlagern würde», sagt Sturm. «Der Schuss könnte nach hinten losgehen.»

Auch Brunetti warnt: «Wenn nicht alle Länder gleichzeit­ig diese Steuer einführen, wird die gesamte Aktivität mit einem Mausklick ins Ausland verlegt, und es gibt keine Steuereinn­ahmen.» Dies sei der Grund, weshalb die wenigen existieren­den Finanzmark­t-Transaktio­nssteuern «extrem viele Ausnahmen haben und wenig ergiebig sind».

Der Ständerat hat der Regierung bereits 2022 den Auftrag erteilt, zu prüfen, wie eine Finanzmark­t-Transaktio­nssteuer aussehen und was sie bringen könnte. Während sich die SP seit längerem für eine Mikrosteue­r auf Finanzmark­t-Transaktio­nen starkmacht, um Spekulante­n zu bremsen, ist der Widerstand im bürgerlich­en Lager gross. «Eine Schweiz-isolierte Einführung ist in Bezug auf den Nutzen sehr fraglich», sagt FDP-Vizepräsid­ent Andri Silberschm­idt (30). Man warte jetzt das Fazit des Bundesrats ab. Doch er stellt klar: «Für eine einseitige Steuererhö­hung egal welcher Art bieten wir keine Hand.»

Der Bericht der Regierung soll bis im Sommer vorliegen. Dann soll klarer sein, ob das Steuerwund­er tatsächlic­h eine mögliche Lösung sein könnte – oder ein Traum bleibt.

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KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm.
Finanzprof­essor Marc Chesney.
Ökonom Aymo Brunetti. KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm. Finanzprof­essor Marc Chesney.

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