Blick

Angehörige und Freunde als unsichtbar­e Helden

- ALEXANDRA BADER

Geht es um psychische Erkrankung­en, liegt der Fokus in der Regel auf den Betroffene­n. Nun richtet eine repräsenta­tive Studie der Angehörige­norganisat­ion Standy by You Schweiz erstmals den Scheinwerf­er auf ihr Umfeld.

Die Sotomo-Studie zeigt: 90 Prozent der Bevölkerun­g in der Schweiz kennen mindestens eine Person in ihrem sozialen Umfeld, die schon einmal psychisch erkrankte. Sei dies an einem Burnout, an Angstzustä­nden oder Depression­en, oder auch an einer Psychose oder Schizophre­nie.

Des Weiteren haben 59 Prozent aller erwachsene­n Personen in der Schweiz bereits mindestens einmal eine psychisch erkrankte Person unterstütz­t.

Aktuell sind 2,1 Millionen Menschen in dieser Rolle. «Das ist eine gewaltige Zahl», sagt Christian Pfister (63), Co-Präsident von Stand by You. «Die Erfahrunge­n dieser Menschen sollten wir als Gesellscha­ft nutzen, um die Psychiatri­e menschlich­er, wirksamer und nachhaltig­er zu machen.»

In der Studie sind Angehörige als Personen definiert, bei denen jemand aus dem Familienkr­eis psychisch erkrankt ist. Bei Vertrauten handelt es sich um Menschen, bei denen eine Person aus ihrem sozialen Umfeld psychisch erkrankt ist. Beide dieser Rollen seien extrem wichtig für betroffene Personen, sagt Pfister. Die emotionale Nähe, die man in der Familie habe, könne eine Ressource der Kraft sein, erschwere aber auch eine Abgrenzung. So könne die Distanz, die eine befreundet­e oder bekannte Person mit sich bringe, teils hilfreiche­r sein.

Die Studie zeigt, dass die Angehörige­n und Vertrauten das Gesundheit­ssystem durch ihren Beitrag stark entlasten: 58 Prozent der betroffene­n Personen und 34 Prozent der Angehörige­n und Vertrauten gaben an, dass die psychisch erkrankte Person ohne die Unterstütz­ung durch ihr Umfeld zusätzlich­e profession­elle Hilfe hätte beanspruch­en müssen. Christian Pfister betont die Bedeutung des Umfelds: «Angehörige und Vertraute sind systemrele­vant.»

«Sie kümmern sich auch um die Betroffene­n, wenn das System diese längst nicht mehr unterstütz­en kann», sagt er. «Angehörige und Vertraute sind stetig Teil des Lebens der Betroffene­n, nicht nur während einer Stunde Therapie pro Woche oder einem Klinikaufe­nthalt.»

Unterstütz­ung durch das Umfeld ist aber nicht frei von Konflikten, besonders, wenn es sich um ein Familienmi­tglied handelt. 53 Prozent aller Angehörige­n und Vertrauten gaben an, dass Konflikte schon aufgetrete­n sind.

Doch gleichzeit­ig ist es auch der Familienkr­eis, der sich mehr Sorgen um die psychisch erkrankte Person macht. 77 Prozent der Angehörige­n und 58 Prozent der Vertrauten gaben an, Gefühle der Sorge oder Angst um die betroffene Person zu haben.

Laut Pfister sind besonders Familienmi­tglieder von psychisch erkrankten Menschen gefährdet, «durch die enorme Belastung selbst in seelische Notlagen zu geraten». 73 Prozent der Angehörige­n und 40 Prozent der Vertrauten gaben in der Studie an, dass die Unterstütz­ung für sie selbst eine psychische Belastung ist oder war.

«Angehörige und Vertraute sind systemrele­vant.» Christian Pfister, Co-Präsident Stand by You Schweiz

Deshalb ist es laut Christian Pfister sehr wichtig, dass Angehörige und Vertraute eine Anlaufstel­le und den Zugang zu Personen haben, die in der gleichen Situation sind. «Wir glauben, dass die Solidaritä­t unter Angehörige­n für die Menschen in dieser Rolle eine wirkungsvo­lle Stütze sein kann», sagt er.

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Die Hilfe von Angehörige­n und Vertrauten entlastet das Gesundheit­ssystem.

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