Die Demokraten schwören schon mal Rache
Während bei den Republikanern und den ihnen zugeneigten Medien seit diesem Wochenende Euphorie herrscht über die Aussicht, anstelle der progressiven Ikone Ruth Bader Ginsburg schon bald eine konservative Richterin an das Verfassungsgericht schicken zu können, überwiegt bei den Demokraten die Wut. Sie wissen: Die Republikaner haben es mit ihrer Mehrheit im Senat in der Hand, über Ginsburgs Nachfolge zu entscheiden, wenn sie die Zahl der Abweichler in ihren Reihen gering halten. Die Partei Donald Trumps kann damit auf Jahre hinaus eine Mehrheit von sechs konservativen Verfassungsrichtern installieren – und sie kann es selbst dann noch tun, wenn der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden die Wahl gewinnt und die Demokraten gleichzeitig die Mehrheit im Senat erobern. Der neue Kongress tritt erst Anfang Januar zusammen, dazwischen bleibt ein Zeitfenster, das die Republikaner für sich nutzen könnten.
Kein Wunder also, dass der Frust bei der Opposition gross ist. Führende Vertreter der Demokraten drohten dem republikanischen Mehrheitsführer Mitch McConnell am Sonntag bereits mit Rache: Wenn die Republikaner über die Nachfolge Ginsburgs noch vor den Wahlen entschieden, die Demokraten aber die Kontrolle über den Senat erlangten, werde das Konsequenzen haben, sagte Chuck Schumer, der demokratische Fraktionschef im Senat: «Alles kommt auf den Tisch.»
Die «Armageddon-Option»
In demokratischen Kreisen kursiert bereits länger die Idee, den neunköpfigen Supreme Court um einige weitere Mitglieder aufzustocken. Indem man zwei oder vier zusätzliche progressive Richter ernenne, könne man die Balance des Gerichts nach links verschieben – so diese Theorie.
Die US-Verfassung macht über die Zahl der Richter am Supreme Court keine Angabe. Seit 1869 zählte das höchste Gericht aber immer neun Mitglieder, und es gab nur einen ernsthaften Versuch, daran etwas zu ändern: Präsident Franklin D. Roosevelt scheiterte 1937 dabei, die Zahl der Richter auf 15 zu erhöhen.
Kommt nun also der nächste Anlauf? So wünschen sich das linke Justizaktivisten, so wünschen sich das zunehmend auch Vertreter der Demokraten im Kongress. «Wenn er 2020 eine Abstimmung durchführt», twitterte der Abgeordnete Joe Kennedy über Mitch McConnell, «dann stocken wir das Gericht 2021 auf». «Packing the court» nennt sich dieses Vorhaben im Amerikanischen. Das Politikportal
Axios nannte es die «Armageddon-Option».
Die meisten Demokraten schreckten bisher vor dieser Forderung zurück, aus nachvollziehbaren Gründen: Der Wegfall der Limite würde wohl damit enden, dass die Republikaner beim nächsten Machtwechsel ihrerseits noch mehr Richter ernennen würden – ein Wettrüsten um die Justiz.
Damit so etwas überhaupt möglich wäre, müssten die Demokraten ohnehin zuerst die Regeln im Senat ändern und den sogenannten Filibuster abschaffen. Dieses Instrument macht für die Verabschiedung der meisten Gesetzesvorlagen eine faktische Mehrheit von 60 Stimmen nötig, und es gibt schon länger Stimmen, die seine Abschaffung fordern, weil es zur Blockade in Washington beitrage.
Wäre der Filibuster weg, könnten sich die Demokraten im Senat auch gleich daranmachen, die Hauptstadt Washington sowie das US-Aussengebiet Puerto Rico zu eigenständigen Bundesstaaten zu erklären – und ihnen je zwei Sitze im Senat zuzugestehen, die vermutlich von Demokraten besetzt würden. Auch daran denken Vertreter der Opposition, wenn sie wie Chuck Schumer sagen, dass «alles auf dem Tisch» sei.
Alan Cassidy,