Douglas Gordon Der vervielfältigte Künstler
Er geht dabei nicht nur mit Humor und Provokation ans Werk, son-dern ebenso mit einer Schlagfertigkeit und Distanzierung, die keineswegs auf seine schnell erlangte Berühmtheit zurückzuführen sind. Ein Treffen mit dem Künstler des polymorphen Werkes in seinem Berliner Atelier.
Sie stammen ursprünglich aus Glasgow, wo Sie an der School of Arts Ihr Studium absolvierten, bevor Sie dieses an der Slade School of fine art in London erfolgreich weiterführten. Dies sind zwei berühmte Orte, um sich der Bildhauerei, der Film- und Videokunst anzunähern. Wie hat sich letztlich Ihre Neigung zur Kunst herausgestellt?
Douglas Gordon: Als ich etwa zehn Jahre alt war, merkte ein Lehrer in meinem Zeugnis an: „Die künstlerischen Neigungen von Douglas sollten bei erstmöglicher Gelegenheit gefördert werden.” Meine Eltern haben sich diesen Rat zu Herzen genommen und mich diesbezüglich unterstützt, was den künftigen Fortlauf meines Lebens bestimmen sollte. Vierzig Jahre später suche ich immer noch nach dieser Art von Gelegenheiten.
Im Jahre 1993, im Alter von 26 Jahren, haben Sie Ihr erstes, bedeutendes Werk, den Film „24 Hour Psycho“, der Öffentlichkeit vorgestellt, für den Sie einen Hitchcock-Film aufgriffen und auf ein Vielfaches verlängert haben. Inwiefern bot dieses Werk bereits einen Vorgeschmack auf Ihre zukünftige Arbeit?
Während der letzten Jahre meines Kunststudiums in Glasgow habe ich – mit einigen meiner Kommilitonen – begonnen, mich mit der Kunstform der Performance auseinanderzusetzen. Diese künstlerisch ganz und gar freien Experimente inspirierten uns dazu, in Form konzentrierter und repetitiver Gesten, mit der Dauer an eine minimale Objektwelt heranzugehen. Die Gesten waren so einfach gestaltet und langgezogen, dass sie in den Augen der Zuschauer wie eine Art reale Zeitlupe wirkten. Mir gingen jedoch noch radikalere Vorstellungen durch den Kopf. Wir arbeiteten mit stark verlangsamten Bewegungen und Gerüchen – ich habe sogar versucht, echtes Feuer zu verlangsamen. Für einen jungen Künstler, der versucht hat, Feuer zu verlangsamen, wirkte es normal, von den Flammen
Abstand zu nehmen und hinter verschlossenen Türen so lange wie möglich in der Dunkelheit darauf zu warten, dass das Licht erscheint. Ich bin schließlich in einer gläubigen, praktizierenden Familie aufgewachsen.
Der klassische Film und die Literatur inspirieren seit jeher Ihre Werke. Welche Autoren und Filmemacher haben Sie am meisten geprägt?
Für einen Jungen aus Glasgow wie mich erschien alles, was im Dunklen leuchtete, wie ein übernatürliches Geschenk … so faszinierten mich das Licht und bewegte Bilder schon lange vor meinem Studium der bildenden Künste, um nicht zu sagen bereits vor dem Gymnasium.
König der Könige. Der Exorzist. Die größte Geschichte aller Zeiten. Carrie. Gesprengte Ketten. Marnie. Die Vögel. Die zehn Gebote (sowohl der Film als auch der Bibeltext). Das Gewand. Kidnapped. Arzt und Dämon. Der rote Ballon. Der Rabe (sowohl der Film als auch das Gedicht). Andere Titel werden mir wieder einfallen, wenn ich darüber mit meiner Tochter geredet habe. Heute Abend esse ich mit ihr – im Dunkeln! Die Inspiration ist stets nichts anderes als eine getarnte „Suggestion” … Außerdem sind Tarnungen im BMovie meines Lebens immer erwünscht. Die Fruchtbarkeit hat im Gegensatz dazu viel weitreichendere Auswirkungen und dieses Leid überlasse ich lieber Anderen.
Für Ihre künstlerischen Werke greifen Sie auf Bilder anderer Künstler zurück, die Sie in Ihre eigene Welt künstlerischen Schaffens neu einbetten. Wie würden Sie Ihren künstlerischen Ansatz beschreiben?
Als eine äußerst künstliche und verborgene Art von Intelligenz. Stellen Sie sich eine kleine Datenbank in irgendeinem, unbekanntem Materialgehäuse vor, die einfach in der Sonne vergessen wurde und die ein antiker Roboter schließlich entdeckt und einem, auf einem Planeten eingefrorenen und zu schnell aufgetauten, genialen Insekt (einem Wunderkind), zum Reparieren gibt. Als verfolgte
Eigene Jacke. Chronograph mit Automatikaufzug 41 mm aus 18-KaratWeißgold,
Code 11.59 von Audemars piguet.
Eigener Look. Chronograph mit Automatikaufzug 41mm aus 18-Karat-Weißgold. Code 11.59 von Audemard Piguet.
meine Sprache keine Definitionen, in dem Maß, dass ich das binäre System, das Binary System, nicht verstehen kann, weil es mit zwei „s“zu nah an den zwei „y“geschrieben wird. Aus nächster Nähe entzieht es sich meinem Verständnis.
Im Jahre 1996, mit 30 Jahren, wurde Ihnen der prestigeträchtige Turner Prize verliehen, mit dem damit erstmals ein Videoproduzent ausgezeichnet wurde. In Rekordzeit zogen Sie das Interesse der Künstlerwelt und weltweit führenden Medienpersönlichkeiten auf sich. Welchen Einfluss hatte dieser schnelle Erfolg auf Ihre künstlerische Tätigkeit?
Oh! Falls Sie mich gefragt hätten, welchen Einfluss mein Erfolg auf mein Privatleben hatte, hätte ich Ihnen eine interessantere Antwort geben können …
Aber diese Gelegenheit haben Sie nicht ergriffen, schade für Sie!
Sie sind nach Berlin gezogen, wo sich heute auch noch Ihr Atelier befindet – warum gerade Berlin?
Im letzten Jahrhundert habe ich in einem Wohnheim des DAAD eine Zeit lang in Berlin gewohnt. Ich hatte bereits in London und Paris gewohnt, aber 1998 lernte ich endlich einen Ort kennen, an dem überall dunkle Geheimnisse verborgen lagen, und an jeder Ecke Gespenster zum Vorschein kamen. Für mich ist Berlin nach wie vor eine von TV-Mystik und Bildkunst beherrschte Filmstadt. Ich bin vor zwölf Jahren nach Berlin zurückgekehrt. Vieles hat sich verändert, aber die Geschichte lebt hier weiter und erweckt uns ständig zu neuem Leben. Eine sehr erfrischende Art, morgens aufzuwachen.
Wie war Ihre Ausstellung „Hey Psycho!” auf der Biennale von Venedig um einen Dialog mit Florian Süssmayr gestaltet?
Als Dialog zwischen zwei Verdächtigen, die sich denselben Beschuldigungen stellen müssen, sich jedoch niemals zuvor gesehen haben. Dies könnte spaßhalber als Anspielung darauf interpretiert werden, dass wir beide beschuldigt wurden, demselben internationalen Netzwerk unbekannter Künstler anzugehören. Ähnlich dem Szenario eines Films, den man Unusual Suspects nennen könnte – mit Kommissar Wolfgang Scheppe in der Rolle von Keyser Söze; Florian Süssmayr und ich hingegen existieren nur soweit, wie Söze seine Fragesteller beeinflussen kann, also das Publikum. Noch eine Frage?
Ich hätte gerne eine zweite Chance und möchte Ihnen die Frage zum Einfluss des Turner Prize auf Ihre Karriere noch einmal stellen …
Die gebe ich Ihnen. Tatsächlich pflege ich diese Frage zu vermeiden, weil es mich ärgert, dieses Ereignis als „Wendepunkt“zu sehen. Es ist ein Running Gag in meiner Familie: Ich habe den Preis erhalten, der alles verändern soll(t) e! Es stimmt jedoch, dass der Preis sozial und beruflich gesehen sehr wichtig war (zu den Preisträgern zählten: Gilbert & George, Richard Deacon, Tony Cragg, Richard Long, Anish Kapoor, Rachel Whiteread, Damien Hirst, Wolfgang Tillmans…). Der bedeutendste Aspekt war nicht die Auszeichnung eines Videokünstlers als solchen, sondern einen außerhalb von London tätigen Künstler. Dies war ein wichtiger Punkt für die weitere Zukunft. Mir, als erstem schottischen Turner-Preisträger, erschien es einen Moment lang so, als müsste ich aus dem Vereinigten Königreich auswandern, um der Welle der Reaktionen Raum zu lassen, alle Fenster und Türen schließen, mir eine Glatze rasieren, einen Bart wachsen lassen und aus der Kunstwelt verschwinden. Dieser Moment dauerte natürlich nicht länger als fünf Minuten!
„Für mich ist Berlin nach wie vor eine von TV-Mystik und Bildkunst beherrschte Filmstadt. Ich bin vor zwölf Jahren nach Berlin zurückgekehrt. Vieles hat sich verändert, aber die Geschichte lebt hier weiter und erweckt uns ständig zu neuem Leben. Eine sehr erfrischende Art, morgens aufzuwachen.“Douglas Gordon
Das Gespräch führte Yamina Benaï Fotograph Dennis Schoenberg Styling Kenny Campbell
Besuchen Sie
– Douglas Gordon“, ARoS Kunstmuseum, Aarhus, Dänemark, 7. September 2019 bis 16. Februar 2020.
Gruppenausstellungen:
– „Bauhaus und die Fotografie – zum neuen Sehen in der Gegenwartskunst“, Kunsthalle Darmstadt, 26. September 2019 bis 5. Januar 2020.
– „Fly me to the Moon. 50 Jahre Mondlandung“, Museum der Moderne, Salzburg/Mönchsberg, 20. Juli bis 3. November.
– „Hey Psycho!“, Institute for politics and
representation, Venedig, bis zum 24. November.