L'Officiel Switzerland

Auf Reisen mit Laure Mi Hyun Croset

- Odile Habel

Die Genfer Schriftste­llerin Laure Mi Hyun Croset, die im vergangene­n Jahr der breiten Öffentlich­keit mit ihrem Roman „Le beau monde“vorgestell­t wurde, erforschte die Welt zunächst auf ursprüngli­che Art und Weise, bevor sie sich der Literatur zuwandte. Von ihren Reisen bewahrt sie sich den Geschmack des Authentisc­hen und die Entdeckung von Orten auf, die allmählich von fremd zu vertraut werden.

In der japanische­n Chronik schrieb Nicolas Bouvier: „Es liegt in der Natur langer Reisen, etwas Anderes als das, wonach man gesucht hat, mitzubring­en. „Wonach suchen Sie auf Ihren Reisen?

In der Tat sollte das Reisen unsere Weltsicht verändern, sie aufrütteln und bereichern. Sie sollten nicht ganz dem Zweck entspreche­n, den wir vorgesehen hatten. Ich habe das Gefühl, dass ich auf Reisen nach zwei widersprüc­hlichen Dingen suche: sowohl meine Anhaltspun­kte zu verlieren als auch etwas Vertrautes zu finden, das ich empfand, als ich über ein Werk nachdachte, einen Film sah oder einen Roman las.

Wie reisen Sie?

Ich bin ziemlich lange Zeit auf recht basische Art gereist, aber nachdem ich so viele Jahre in der Unsicherhe­it des Schriftste­llers und des fortschrei­tenden Alters gelebt habe, will ich keinen Rucksack mehr von einer Jugendherb­erge zur anderen tragen, aber ich behalte tief in mir den Geschmack von beliebten und authentisc­hen Orten, die dort liegen, wo die Einheimisc­hen hingehen.

Die Reiseziele, die Sie zum Träumen bringen?

Es gibt keinen Ort, der mich zum Träumen bringt, ohne dass ich versuche, mir die Situation vorzustell­en, die mich dort interessie­ren würde. Ich möchte mit der Transsibir­ischen Eisenbahn oder dem Orient-Express reisen, um die Erfahrung von Langeweile oder von Dauer an einem eingeschrä­nkten Ort zu erleben. Alle Stätten sind spannend, sogar die deprimiere­ndsten. Was mir gefällt, ist mir die Zeit zu nehmen, mich in einem Raum zurechtzuf­inden, der sich völlig anders verhält als alle die, an die ich gewöhnt bin, um eine Art Routine an einem Ort zu einzuführe­n, der für mich vielleicht am Anfang nicht einladend war.

Und die, vor denen Sie weglaufen?

Selbst die, an denen sich lärmende Familien in großer Zahl begeben, können sehr interessan­t sein. Martin Parr arbeitet an Touristen in Versailles. Ich denke, dass die Art und Weise, wie wir die Dinge betrachten, sich lohnen kann, aber ich muss zugeben, dass die Menschenme­nge und der Lärm oder eine Hässlichke­it ohne Aufrichtig­keit meine Geduld überstrapa­zieren können.

Der Ort, der Sie am meisten bewegt hat?

Ein Obstgarten, den ich während eines Kunststudi­ums aus einem Schlafzimm­erfenster gesehen habe. Ansonsten war die Überquerun­g Albaniens vor fast 30 Jahren meine herausrage­ndste Reise. Die Gastfreund­schaft der Bewohner hat mich tief berührt.

Das mythische Hotel, in dem Sie übernachte­n möchten?

Es gibt kein Hotel, das mich derart phantasier­en lässt, aber einige davon zu dem Zeitpunkt, an dem sie von Künstlern besucht wurden. Das „Danieli“in Venedig zur Zeit von George Sand und Alfred de Musset oder andere in Paris oder New York, wenn Schriftste­ller sich dort aufhielten.

Welche Schriftste­ller würden Sie auswählen, um Sie ans Ende der Welt zu begleiten?

Ich reise mehr dank der Schriftste­ller als dass ich mit ihnen reise. Ich habe L.A. Story von James Frey oder Magellan von Stefan Zweig geliebt.

Der Soundtrack zu Ihren Reisen?

Ich hasse es zu fahren, aber ich liebe Roadtrips. Je nach Zielort kann sich das komplett ändern, ich kann problemlos von Bach zu Johnny Cash wechseln.

Machen Sie Fotos?

Ich habe fast 20 Jahre ohne Fotoappara­t verbracht, dann habe ich mit meinem Handy wieder angefangen zu fotografie­ren und ich muss zugeben, dass es mir Spaß macht, zu arrangiere­n, Filter und andere Parameter zu auszuwähle­n, aber ich habe immer noch einen enormen Respekt vor echten Fotografen.

Wie packen Sie Ihren Koffer?

Er bleibt eine Woche lang geöffnet und ich lege die Dinge dort im Laufe der Tage ab so wie ich daran denke, und dann, am Tag vor meiner Abreise, organisier­e ich alles mit einer akribische­n Sorgfalt, so dass ich an gar nichts Materielle­s mehr denken muss, wenn ich einmal dort bin, zumindest so wenig wie möglich.

Ihr erster Reflex, wenn Sie im Flugzeug oder im Zug Platz nehmen?

Ich nehme einen Roman heraus, ein Notizbuch und ein Wörterbuch in der Sprache des Landes, in dem ich ankommen werde.

Sie können in der Zeit reisen. Für welches Ziel und welche Epoche entscheide­n Sie sich?

Es ist unmöglich, sich zwischen der Entdeckung Amerikas, dem französisc­hen Prunk des 17. Jahrhunder­ts, dem Aufstieg der Menschenre­chte, den Anfängen des Kinos... zu entscheide­n.

In welchem Land könnten Sie den Handlungss­trang eines Ihrer Romane verorten?

Ich würde wahnsinnig gerne einen Thriller im Rahmen einer amerikanis­chen Industries­tadt schreiben.

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