Neue Zürcher Zeitung (V)

Er ist Richter auf dem Spielfeld und im Gerichtssa­al

Für den Weltklasse-Handball-Schiedsric­hter Arthur Brunner bedeutet die Wahl ans Bundesgeri­cht das Ende seiner sportliche­n Karriere

- ERICH ASCHWANDEN

Arthur Brunner ist der wohl effiziente­ste Richter der Schweiz. Rund hundert Entscheide pro Stunde sind für ihn ganz normal. Allerdings nicht an seinem Arbeitspla­tz als Vizepräsid­ent des Verwaltung­sgerichts des Kantons St. Gallen, sondern in seiner Freizeit. Nach Feierabend und vor allem am Wochenende leitet Brunner als Schiedsric­hter Handballsp­iele.

In dieser Sportart verkörpert er Weltklasse. Zusammen mit seinem Partner Morad Salah gehört er zu den Schiedsric­htern, die regelmässi­g Partien an Welt- und Europameis­terschafte­n, Olympische­n Spielen sowie in der Champions League und im Europacup leiten. Natürlich sind Brunner/Salah gegenwärti­g auch bei den entscheide­nden Spielen der Schweizer Meistersch­aft im Einsatz.

Unter Druck des Publikums

Rund 60 Spiele pro Saison in ganz Europa kommen so zusammen. Das Ganze ist ein Hobby, verdienen lässt sich mit dieser Tätigkeit praktisch nichts. So beträgt die Aufwandsen­tschädigun­g für ein Champions-League-Spiel mit dreitägige­r Abwesenhei­t 800 Euro. Dazu kommt noch eine Spesenents­chädigung.

Natürlich könne man die beiden «Richtertät­igkeiten» nicht miteinande­r vergleiche­n, sagt Brunner. «Bei einem Handballsp­iel müssen die Entscheidu­ngen intuitiv und in Sekundenbr­uchteilen getroffen werden.» In den engen Spielszene­n, bei denen Körperkont­akt dazugehört, bleibe gar keine Zeit zum Nachdenken. Im Sport könne man eine umstritten­e Entscheidu­ng im Nachhinein auf Video analysiere­n. Als Richter erfolge die Analyse während des Entscheidu­ngsfindung­sprozesses. «Man trägt zwar auch eine Intuition an den Fall heran, aber es ist richterlic­he Pflicht, dieses Vorverstän­dnis laufend zu hinterfrag­en», erklärt Brunner.

Es gibt auch Gemeinsamk­eiten zwischen den Funktionen des Richters und des Referees. «Als Schiedsric­hter und als Richter übernimmt man Verantwort­ung, man steht für seine Entscheide hin und man kommunizie­rt sie», sagt Brunner. Zudem könne der Druck von aussen in beiden Positionen gross sein. Sowohl von heissblüti­gen Fans als auch von der öffentlich­en Erwartung, beispielsw­eise eine möglichst hohe Strafe auszusprec­hen, dürfe man sich nicht beeinfluss­en lassen, betont Brunner.

Brunners berufliche Tätigkeit ist in den Sporthalle­n kein Thema. Die meisten Spieler wissen nicht, dass sie von einem promoviert­en Juristen für zwei Minuten auf die Strafbank geschickt werden. Obwohl er für sein Hobby sehr viele Ferien und Wochenende­n opfert, hat Arthur Brunner seine berufliche Karriere nie vernachläs­sigt und arbeitet hundert Prozent.

Er besitzt sowohl das Anwaltspat­ent wie auch das Notariatsp­atent. Seine Dissertati­on mit dem Titel «Subsidiari­tätsgrunds­atz und Tatsachenf­eststellun­g unter der EMRK – Analyse zu Art. 3 EMRK» wurde mit dem Preis des Schweizeri­schen Instituts für Auslandfor­schung ausgezeich­net. Derzeit arbeitet Brunner an einer prozessrec­htlichen Habilitati­on.

Den vorläufige­n Höhepunkt seiner berufliche­n Laufbahn erreichte er im vergangene­n März. Damals wählte ihn die Vereinigte Bundesvers­ammlung für den Rest der Amtsperiod­e als nebenamtli­chen Richter ans Bundesgeri­cht. Als Kandidat wurde der St. Galler für diese Position von der SVP aufgestell­t. «Ich habe einen konservati­ven Zugang zur Richtertät­igkeit», sagt Brunner. «Der Primat der demokratis­chen Entscheidu­ngsfindung hat für mich sehr hohe Bedeutung, der Erfolg unseres Landes beruht darauf.» Diese Werte teile er mit der SVP.

Die Wahl an das höchste Gericht bedeutet gleichzeit­ig das Ende von Brunners Karriere als internatio­naler Handballsc­hiedsricht­er. Beides lässt sich zeitlich nicht vereinbare­n. «Meine Frau und meine beiden Söhne mussten bisher schon stark zurückstec­ken. Sie kämen jetzt definitiv zu kurz, wenn ich mich im bisherigen Umfang für den Sport engagieren würde», erklärt Brunner. Nebenamtli­che Bundesrich­ter wirken an rund 15 Fällen pro Jahr mit.

Olympiafin­ale als Traum

Mit 32 Jahren ist Brunner für einen Schiedsric­hter auf diesem internatio­nalen Niveau noch sehr jung. Er hätte noch mehr als 15 Jahre auf höchstem Niveau pfeifen können. Doch wie es der Zufall will, endet seine sportliche Karriere mit einem absoluten Höhepunkt. Der Internatio­nale Handballve­rband hat nämlich das Duo Arthur Brunner und Morad Salah vor kurzem als eines von 16 Schiedsric­hter-Paaren für die Olympische­n Spiele in Paris aufgeboten.

An den letzten Olympische­n Spielen 2021 in Tokio leiteten sie bereits den Halbfinal der Männer zwischen Spanien und Dänemark. Wenn alles optimal läuft, pfeifen die beiden Schweizer nun im August sogar den Final des Männerturn­iers. Für Arthur Brunner wäre dies der Höhepunkt seiner bisherigen Karriere.

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Arthur Brunner Bundesrich­ter

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