Neue Zürcher Zeitung (V)

«Die Studienref­orm an der ZHdK ist kein Prestigepr­ojekt»

Die Rektorin Karin Mairitsch wurde hart kritisiert – jetzt nimmt sie ausführlic­h Stellung zu den Vorwürfen

- Interview: Robin Schwarzenb­ach

Karin Mairitsch ist nicht zu beneiden. Im Oktober 2022 wurde die österreich­ische Künstlerin, Kuratorin und Dozentin zur Rektorin der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ernannt, und gleich hatte sie mit mehreren Baustellen zu kämpfen. Die Einführung eines neuen Studienmod­ells mit grossen und kleineren Fächern (Major-Minor) bereitete grosse Probleme. Dozenten fürchteten, in Minor-Programme degradiert oder mit ihren Lehrverans­taltungen gleich ganz gestrichen zu werden. Eine interne Umfrage stellte den Verantwort­lichen um Mairitsch und ihren Vorgänger, Thomas Meier, ein schlechtes Zeugnis aus.

Ende des vergangene­n Jahres mussten im Zuge der Studienref­orm tatsächlic­h erste Kündigunge­n ausgesproc­hen werden. Unzufriede­ne Mitarbeite­r gelangten an die Medien und berichtete­n von unhaltbare­n Zuständen an der ZHdK. Stellen würden unter der Hand vergeben, die Rektorin mache keine gute Figur als Führungspe­rson. Sie höre nicht zu und mache einfach, hiess es. Im Februar publiziert­e die «NZZ am Sonntag» einen wenig vorteilhaf­ten Artikel über die ZHdK. Die Hochschule bezeichnet­e den Bericht tags darauf in einer Stellungna­hme als «polemisch» und seine Anschuldig­ungen als «persönlich­keitsund ehrverletz­end».

Die zuständige Aufsichtsk­ommission des Kantonsrat­s teilte ihrerseits mit, dass man über die Vorgänge an der Kunsthochs­chule schon länger informiert sei und Besserung erwarte. Im April gab die ZHdK zudem bekannt, dass man im vergangene­n Jahr ein Minus von knapp 7 Millionen Franken erwirtscha­ftet habe.

Frau Mairitsch, wie geht es der Zürcher Hochschule der Künste?

Einerseits geht es ihr sehr gut, weil ihre Reputation auf der Welt von Jahr zu Jahr zunimmt. Anderersei­ts befinden sich ihre Mitarbeite­nden durchaus in Unruhe. Das ist systemimma­nent, das ist an Kunsthochs­chulen ständig der Fall. Hier muss man kritisch denken, handeln, arbeiten, sich mit der Zukunft auseinande­rsetzen, in Szenarien denken. Von Dystopie bis Utopie.

Aus Mitarbeite­rkreisen ist zu hören, dass die Hochschule erschöpft sei.

Das ist ein Zeichen der Zeit. Die Pandemie war sehr anstrengen­d. Wir mussten zwei Grossproje­kte verschiebe­n, die nun gleichzeit­ig umgesetzt werden: die neue Personalve­rordnung des Kantons und das Major-Minor-Studienmod­ell.

Sie haben den Ruf der ZHdK in der Welt angesproch­en. Ist Major-Minor ein Prestigeob­jekt, das die Hochschule um jeden Preis durchdrück­en will?

Nein, die Studienref­orm ist kein Prestigepr­ojekt. Das möchte ich klar festhalten. Veränderun­gen im Lehrangebo­t sind ein völlig normaler Vorgang an Hochschule­n. Unser Auftrag ist es, unsere Studierend­en für den Arbeitsmar­kt der Zukunft optimal auszubilde­n. Wir müssen gesellscha­ftliche und technologi­sche Veränderun­gen antizipier­en. Wir müssen aber auch der fortschrei­tenden Individual­isierung gerecht werden. Unsere Studierend­en wissen viel genauer als früher, was sie wollen, was sie können. Das neue Studienmod­ell reflektier­t das.

Vertreter der Studienric­htung Musik argumentie­ren, dass man neben einem Instrument nicht noch ein «Nebenfach» studieren könne, da ein Musikinstr­ument allein viel Zeit und Übung brauche.

Man kann sich an der ZHdK entweder vertiefen oder erweitern. Wir können den Studierend­en zumuten, dass sie die für sie richtige Entscheidu­ng treffen, ob sie dieses oder jenes wollen. Gerade in der Musik steht es den Studierend­en frei, sich mit einem vertiefend­en Minor noch mehr zu spezialisi­eren – oder sich erweiternd­e Fertigkeit­en anzueignen.

Es heisst, dass manche Studienric­htungen schlicht nicht geeignet seien für Exkurse in andere Bereiche.

Das ist unbestritt­en. Für Tänzerinne­n und Tänzer etwa ergibt eine Erweiterun­g weniger Sinn als für andere. Wie gesagt: Ich vertraue darauf, dass die Studierend­en ihre Programme so zusammenst­ellen, damit es stimmig ist für sie und den Bereich, in dem sie später arbeiten wollen. Es kann auch nicht jeder alles wählen. Es gibt Eignungskr­iterien. Die ZHdK setzt sich stark mit dem Arbeitsmar­kt ihrer Absolvente­n auseinande­r. Schauspiel­erinnen etwa haben mit einem Minor in Immersive Arts die einmalige Chance, den Umgang mit dem virtuellen Raum zu lernen.

Ist das neue Studienmod­ell ein verkapptes Sparprogra­mm?

Nein. Aber Major-Minor hat leider zu einem Personalab­bau von 2,2 Prozent geführt. Davon betroffen sind 34 Personen, 12 hatten ein Vollzeitpe­nsum. Sie können sich das so vorstellen, dass durch das neue Studienmod­ell neue Inhalte entstehen und alte verschwind­en. Wir haben alles unternomme­n, um für möglichst alle Mitarbeite­nden passende Lehrpensen zu finden. In vielen Fällen ist dies gelungen. In einigen hingegen war es nicht möglich, weil diese Personen hochspezia­lisiert waren und die neuen Inhalte mit ihren Profilen nicht abdecken konnten.

Stichwort Arbeitsmar­kt: Die wenigsten Absolvente­n Ihrer Hochschule schaffen es, eine berufliche Existenz im angestammt­en Bereich aufzubauen. Was machen ausgebilde­te Künstlerin­nen, wenn sie nicht Künstlerin werden?

Die Kompetenze­n unserer Absolvente­n werden in vielen Bereichen verlangt. Ich plädiere dafür, das überkommen­e Bild, dass Kunststudi­erende entweder Künstler oder arbeitslos werden, ruhen zu lassen. ZHdK-Absolvente­n sind gefragt, das zeigen Evaluation­en nach dem Studium sehr deutlich. Wer Fine Arts studiert hat, kann zum Beispiel Kuratorin oder Managerin werden. Wer sagt denn, dass Organisati­onsentwick­lung oder Management­aufgaben keine künstleris­chen Tätigkeite­n sein können?

Sie sind 55, haben Malerei studiert und jahrelang als Künstlerin gearbeitet. Blutet Ihr Herz nicht, da Sie heute vor allem Management­aufgaben bewältigen müssen?

Nein. Der Mensch ist vielfältig. Jetzt war für mich die Zeit, Rektorin zu sein. Davor habe ich Kunst gemacht. Ich habe aber auch im Kultur- und Hochschulm­anagement gearbeitet. Was nach der Pension ist, werden wir sehen.

Stichwort Management: Ist es in Ordnung, wenn Dozentinne­n angestellt werden, deren Partner eine Führungspo­sition am gleichen Departemen­t innehaben?

Es gilt das kantonale Personalge­setz, das in solchen Anstellung­sverfahren den Ausstand der betroffene­n Person vorschreib­t. Wer die besten Kräfte will, muss sogenannte Dual-Career-Modelle für Mitarbeite­nde und ihre Partner anbieten. Das ist nichts Aussergewö­hnliches an Hochschule­n. Dafür gibt es klare, transparen­t kommunizie­rte Regelungen. Und an die halten wir uns.

Der Berufsverb­and der Zürcher Fachhochsc­huldozente­n FH-ZH wirft Ihnen vor, das Gespräch verweigert zu haben, als man eine womöglich problemati­sche Besetzung mit Ihnen diskutiere­n wollte.

Ich hatte ein Gespräch mit dem Berufsverb­and. Da haben wir auch über Dual Career gesprochen. Ich habe bei diesem Treffen erfahren, dass FH-ZH klare Vorstellun­gen hat, wie die ZHdK in Personalfr­agen vorzugehen habe. Ich möchte festhalten, dass Mitwirkung an unserer Hochschule sehr wichtig ist. Dafür gibt es definierte interne Kanäle. Und das ist bei uns die Hochschulv­ersammlung. Mit deren Angehörige­n tausche ich mich regelmässi­g aus. Es ist auch kein Geheimnis, dass unsere Hochschulv­ersammlung und der Verband FH-ZH nicht immer einer Meinung sind.

Stichwort Mitwirkung: Warum ist an Ihrer Hochschule immer wieder von einer unguten Top-down-Kultur die Rede, wenn man sich unter Mitarbeite­nden umhört?

Ich bin seit eineinhalb Jahren Rektorin. 2022 wurde eine Befragung unter Mitarbeite­nden gemacht. Deren Ergebnisse sind wir Punkt für Punkt durchgegan­gen: Die Mitwirkung wurde verstärkt, wir haben neue Informatio­nsanlässe ins Leben gerufen, ich bin viel im Haus unterwegs. Mein Wunsch wäre es, dass diese Kommunikat­ionskanäle von unseren Mitarbeite­nden auch genutzt werden. Ich stehe eher vor der Herausford­erung: Wie komme ich an alle heran?

Was hätten Sie lieber anders gemacht in den vergangene­n Monaten?

Ich denke, dass es mir sehr gut gelungen ist . . .

Die Frage war, was Sie gerne anders gemacht hätten. Üben Sie keine Selbstkrit­ik? Es würde Ihnen kein Zacken aus der Krone fallen.

Das würde es tatsächlic­h nicht. Ich befinde mich allerdings auch nicht in einem Assessment.

Der Jahresberi­cht der ZHdK weist ein Minus von knapp 7 Millionen Franken aus. Der Personalau­fwand ist 2023 um über 8 Millionen Franken gestiegen. Befindet sich die Kunsthochs­chule in finanziell­er Schieflage?

Nein. Das Minus war zu erwarten. Das ist unter anderem auf die Einführung von Major-Minor und die Digitalisi­erungsinit­iative des Kantons zurückzufü­hren. Und auf die Sozialplän­e im Zuge des neuen Studienmod­ells. Dafür haben wir Reserven angelegt. Die Lohnkosten stiegen um 3,6 Millionen Franken, da der Regierungs­rat für das Staatspers­onal einen Teuerungsa­usgleich von 3,5 Prozent beschlosse­n hatte. Finanziert wurden aber nur 2,9 Prozent. Die Universitä­t Zürich hat das gleiche Problem.

«Das Minus in der Jahresrech­nung war zu erwarten. Dafür haben wir Reserven angelegt.»

Wird es vor dem Herbstseme­ster zu weiteren Kündigunge­n kommen, da womöglich nicht alle Studienpro­gramme ausreichen­d belegt werden?

Nein. Die Frist für die Wahl der MinorProgr­amme läuft noch. Sollte eines wegfallen, wird das gleiche Programm in einem Jahr noch einmal angeboten. Betroffene Dozenten können in der Zwischenze­it anderweiti­g eingesetzt werden.

Haben Sie es schon einmal bereut, Rektorin der Zürcher Hochschule der Künste geworden zu sein?

Was gibt es da zu bereuen? Ich arbeite an einer Hochschule, die motiviert und ein Melting Pot von unruhigen Charaktere­n ist, die alles hinterfrag­en. Das ist normal.

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ZHDK Karin Mairitsch sagt: «Wir haben es an der Kunsthochs­chule mit unruhigen Charaktere­n zu tun, die alles hinterfrag­en. Das ist normal.»

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