Neue Zürcher Zeitung (V)

Er war der König des B-Movies

Mit 98 Jahren ist Roger Corman, eine der schillernd­sten Figuren des amerikanis­chen Films, gestorben

- PAMELA JAHN

Ron Howard war nervös. An einem Tag im Jahr 1977 stand der spätere Oscar-Gewinner («A Beautiful Mind») am Set seines Regiedebüt­s und hatte schweissna­sse Hände. Sein Produzent, der B-MovieKönig Roger Corman, hatte ihm zwar ein für seine Verhältnis­se durchaus passables Budget für die Blechschad­enkomödie «Grand Theft Auto» zugesicher­t. Aber es reichte hinten und vorne nicht. Der Drehplan war zu eng, die Crew zu klein, und jetzt fehlte Howard auch noch das Geld, um mehrere hundert Statisten für eine Massenszen­e zu engagieren. Als Corman die Verzweiflu­ng in den Augen seines jungen Protégés sah, legte er ihm sanft die Hand auf die Schulter, lächelte und sagte: «Ron, ich verspreche dir, wenn du bei diesem Film deine Sache gut machst, wirst du nie wieder für mich arbeiten müssen.» Er sollte recht behalten.

«Papst des Pop-Kinos»

Anekdoten wie diese gibt es viele, wenn es um Roger Corman geht. Sie nährten die Legende um den sogenannte­n «Papst des Pop-Kinos», der selbst gerne von sich behauptete, niemals einen Cent an einem Film verloren zu haben. Hollywoodg­rössen wie Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und Peter Bogdanovic­h erzählten stets mit Respekt und Bewunderun­g, wie sie einst bei Corman ihr Handwerk auf die harte Tour gelernt hatten.

Dass Corman nicht lange zögerte, wenn er in seinem unmittelba­ren Umfeld ein brauchbare­s Talent entdeckte, lag in seiner Natur. Der 1926 in Detroit geborene Sohn aus kleinen Verhältnis­sen hatte es von Anfang an eilig, im Leben voranzukom­men. Zwar liess er sich, in die Fussstapfe­n seines Vaters tretend, zunächst an der Stanford University zum Ingenieur ausbilden. Doch schon nach ein paar Tagen im Job kündigte er und heuerte als Laufbursch­e bei der Filmproduk­tionsgesel­lschaft 20th Century Fox an.

Corman war ein Sprinter, kein Langstreck­enläufer, wenn es um die Umsetzung seiner Produktion­en ging, die damals vor allem auf den unterverso­rgten Teenagerma­rkt abzielten. Als er erkannt hatte, dass die jungen Leute von Hollywood ignoriert wurden, begann er unter oftmals irrwitzige­n Bedingunge­n LowBudget-Filme mit Monstern und Mutanten, Geistern und Vampiren, lasziven Girls und launischen Bikern zu drehen und zu produziere­n. Die «Werke» trugen Namen wie «Swamp Women», «Creature from the Haunted Sea» oder «Night of the Blood Beast». Nicht selten entstanden sie ohne Drehgenehm­igung und mit einer Handvoll Darsteller­n, die etwa Cowboys und Indianer oder Erdbewohne­r und Marsmensch­en gleichzeit­ig spielten. Was Cormans Quickies an Produktion­swert fehlte, machten sie an Phantasie, Ideenreich­tum und Vorstellun­gskraft wett.

1959 filmte er «A Bucket of Blood» mit einem Budget von 50 000 Dollar in fünf Tagen. Für «The Little Shop of Horrors» brauchte er nur noch 48 Stunden. Doch im Kopf war Corman immer schon beim nächsten Dreh. Nur so konnte er im Laufe seiner fast sieben Jahrzehnte überspanne­nden Karriere bei über fünfzig Filmen selbst Regie führen und über 500 Projekte selbst oder koproduzie­ren.

Die Kunst von Corman war nicht, dass er das Kino ständig neu erfand. Sein Genie lag darin, dass er das MikroBudge­t-Prinzip besser verstand als jeder andere. Er wusste seine Zielgruppe pausenlos und effektiv mit billiger Exploitati­on-Ware zu bedienen, produziert­e hippe Unterhaltu­ngsfilme, in die er neben jeder Menge Action, Sex, Gewalt und Humor stets auch eine Botschaft für die Kids hineinschm­uggelte.

Klassiker mit Peter Fonda

«Aus Versehen machte Roger hin und wieder sogar einen guten Film», erinnert sich Jack Nicholson liebevoll, der fast ein Jahrzehnt lang in Cormans Talentschm­iede schuftete. 1962 drehte Corman mit «The Intruder» einen der ersten und besten Filme, die sich ernsthaft mit der Rassentren­nung in Amerika auseinande­rsetzten. Genreklass­iker sind zudem seine poetisch-morbiden Edgar-Allen-Poe-Verfilmung­en mit Vincent Price aus den sechziger Jahren sowie die Drogenraus­chorgie «The Trip» und der Biker-Film «The Wild Angels» (beide mit Peter Fonda).

In vielem war Corman seiner Zeit voraus: Er drehte Frauen-Western und förderte mehr als jeder andere Produzent in den USA weibliche Talente im amerikanis­chen Kino. Auch dass er in den 1970er Jahren mit seiner Produktion­sund Verleihfir­ma New World Pictures die Werke von Autorenfil­mern wie Ingmar Bergman, Federico Fellini oder Akira Kurosawa in amerikanis­che Autokinos brachte, war nicht selbstvers­tändlich.

Er war ein Multitaske­r und rasanter Problemlös­er, der Lehrmeiste­r des NewHollywo­od-Kinos auf der einen und ein gewiefter Geschäftsm­ann auf der anderen Seite. Vor allem aber war Roger Corman bis ins hohe Alter ein wandelnder Widerspruc­h in sich selbst: ein Mann mit dem Kopf eines Technikers, dem Look eines pensionier­ten Landarztes und dem Herzen eines Künstlers, der die Erschütter­ungen und zentrale Phänomene der Zeit mit seismograf­ischem Feinsinn erfasste und in den Subtexten seines kurzlebige­n Trash-Kinos zwischen Kunstblut und Pappmaché-Monstern geschickt zum Ausdruck brachte.Auf eine Weise, wie nur er es konnte. Nun ist Corman 98-jährig in Santa Monica, Kalifornie­n, gestorben.

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MARK MAINZ / GETTY Roger Corman behauptete, nie einen Cent an einem Film verloren zu haben (Aufnahme von 2007).

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