Ein Technokrat für Russlands langen Krieg
Der künftige Verteidigungsminister Andrei Belousow ist ein Ökonom mit Nähe zu Präsident Putin
So viele Uniformträger hätten noch nie an einer Amtseinführung des russischen Präsidenten teilgenommen, hiess es im Staatsfernsehen vor Wochenfrist. Das reflektiere den Zeitgeist, sagte die Kreml-Korrespondentin mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine. Ihr Eindruck trügt nicht: Ein patriotisch verstandener Militarismus breitet sich mit vehementer Unterstützung des Staates in einer Gesellschaft aus, die sich vom Militärischen ohnehin leicht begeistern lässt.
Der «Weissschnauz»
Ausgerechnet der künftige Verteidigungsminister Andrei Belousow aber ist ein Fremdkörper in dieser Welt. Das dürfte Präsident Wladimir Putin mit seinem überraschenden Personalvorschlag auch angestrebt haben. Belousows Aufgabe ist es, mit ökonomischem Sachverstand das von Klüngel und Korruption durchdrungene Ministerium auf Effizienz zu trimmen und zugleich Putin viel direkter als bis anhin verfügbar zu machen. Belousow ist der asketische Statthalter des Kremlchefs ohne eigene Machtbasis.
Die meisten Amtsträger in Russland sind keine Politiker, sondern Funktionäre. Auf Belousow – sein Name bedeutet übersetzt «Weissschnauz» und wird «Belo-Usow» ausgesprochen – trifft das in besonderer Weise zu. Bis der 1959 geborene Ökonom im Jahr 2006 in den Staatsdienst eintrat und stellvertretender Wirtschaftsminister wurde, hatte er eine wissenschaftliche und beratende
Karriere verfolgt. In gewissem Sinne setzte er damit eine familiäre Tradition fort: Sein Vater, Rem Belousow, war ein führender sowjetischer Wirtschaftstheoretiker, der unter anderem als Berater der kommunistischen Regime in Laos und Vietnam gearbeitet hatte.
Nach dem Besuch einer als renommiert und innovativ geltenden Schule mit mathematischem Profil im Südwesten von Moskau und dem Studium der Volkswirtschaft an der Moskauer Staatsuniversität arbeitete Belousow in Unterabteilungen des Instituts für Wirtschaft und wissenschaftlich-technischen Fortschritt der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Im Jahr 2000 gründete er sein eigenes Institut, das Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognose. Dieses erhielt, wie Recherchen russischer Journalisten ergaben, zeitweise amerikanische Fördermittel und beriet unter anderem den russischen Ministerpräsidenten. Seine Studie von 2005 über langfristige Trends in der russischen Wirtschaft bis 2020 sagte richtigerweise für 2008 eine Wirtschaftskrise voraus.
Vollkommen loyal
Als Putin 2008 ins Amt des Regierungschefs wechselte, traf er Belousow als Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung im Apparat des Kabinetts an und fand schnell Gefallen an der nüchternen, präzisen und zuverlässigen Arbeitsweise dieses Chefbeamten. Nach einem kurzen Intermezzo als Wirtschaftsminister wurde er von Putin nach dessen Rückkehr ins Präsidentenamt als Wirtschaftsberater in den Kreml geholt. In der Präsidialverwaltung, die in den Gebäuden des einstigen Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion untergebracht ist, bezog er das Büro des einstigen Generalsekretärs Leonid Breschnew. Die Landkarte an der Wand sei nie abgehängt worden, schreibt der Journalist Maxim Tovkaylo im Telegram-Kanal Faridaily.
Die Anekdote hat Symbolgehalt. Während all der Jahre, in denen Belousow in führender Stellung Russlands
Wirtschaftspolitik beeinflusste – erst als Berater Putins, dann als für Wirtschaftspolitik zuständiger erster stellvertretender Regierungschef seit Januar 2020 –, erwies er sich als Freund staatlicher Interventionen, Pläne und freigebiger Ausgabenpolitik. Im Unterschied zu vielen anderen russischen Wirtschaftspolitikern ist er kein Liberaler – weder wirtschaftsnoch gesellschaftspolitisch.
Er ist in gewissem Sinne eine Verkörperung der Spätphase von Putins Herrschaft: ein staatsgläubiger, kirchennaher und konservativer Bürokrat, der seinem Chef gegenüber vollkommen loyal ist. Belousows Sicht auf die Welt wirkte in seiner Rolle als oberster Wirtschaftspolitiker zuweilen fremd. Zum künftigen Amt passt sie fast besser. In einem Interview mit der Wirtschaftsplattform «RBK» im Juni 2023 sagte er, er sehe für Russland die Rolle als Bewahrer der traditionellen Werte des Westens. Für diejenigen in der Elite westlicher Länder, die diesen Werten nicht entsagt hätten, könne Russland ein rettender Strohhalm werden. Kritisch äusserte er sich zum Versuch Russlands, Teil der globalisierten Welt zu werden. Es habe sich so den Regeln der Anführer dieser Welt unterworfen. Russland müsse auch technologisch souverän werden – ein Lieblingsgedanke Putins.
Dieses Ziel, das er als Vizeregierungschef unter anderem mit der Förderung einer eigenen Produktion von Drohnen für den militärischen Gebrauch verfolgte, wird nun für seine neue Aufgabe zentral sein. Mit dem für Industrie und Rüstungswirtschaft zuständigen ersten Vizeministerpräsidenten Denis Manturow muss er sicherstellen, dass die Wirtschaft für die Bedürfnisse der Armee produziert und dass die Mittel auch ihren Zweck erfüllen. Er soll dafür sorgen, dass die Streitkräfte besser mit der Wirtschaft verzahnt werden. Putin geht es um den Sieg in dem langen Krieg, den er gegen den Westen führt. Belousow ist sein Erfüllungsgehilfe.