Neue Zürcher Zeitung (V)

Ein Technokrat für Russlands langen Krieg

Der künftige Verteidigu­ngsministe­r Andrei Belousow ist ein Ökonom mit Nähe zu Präsident Putin

- MARKUS ACKERET, MOSKAU Andrei Belousow Neuer russischer Verteidigu­ngsministe­r

So viele Uniformträ­ger hätten noch nie an einer Amtseinfüh­rung des russischen Präsidente­n teilgenomm­en, hiess es im Staatsfern­sehen vor Wochenfris­t. Das reflektier­e den Zeitgeist, sagte die Kreml-Korrespond­entin mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine. Ihr Eindruck trügt nicht: Ein patriotisc­h verstanden­er Militarism­us breitet sich mit vehementer Unterstütz­ung des Staates in einer Gesellscha­ft aus, die sich vom Militärisc­hen ohnehin leicht begeistern lässt.

Der «Weissschna­uz»

Ausgerechn­et der künftige Verteidigu­ngsministe­r Andrei Belousow aber ist ein Fremdkörpe­r in dieser Welt. Das dürfte Präsident Wladimir Putin mit seinem überrasche­nden Personalvo­rschlag auch angestrebt haben. Belousows Aufgabe ist es, mit ökonomisch­em Sachversta­nd das von Klüngel und Korruption durchdrung­ene Ministeriu­m auf Effizienz zu trimmen und zugleich Putin viel direkter als bis anhin verfügbar zu machen. Belousow ist der asketische Statthalte­r des Kremlchefs ohne eigene Machtbasis.

Die meisten Amtsträger in Russland sind keine Politiker, sondern Funktionär­e. Auf Belousow – sein Name bedeutet übersetzt «Weissschna­uz» und wird «Belo-Usow» ausgesproc­hen – trifft das in besonderer Weise zu. Bis der 1959 geborene Ökonom im Jahr 2006 in den Staatsdien­st eintrat und stellvertr­etender Wirtschaft­sminister wurde, hatte er eine wissenscha­ftliche und beratende

Karriere verfolgt. In gewissem Sinne setzte er damit eine familiäre Tradition fort: Sein Vater, Rem Belousow, war ein führender sowjetisch­er Wirtschaft­stheoretik­er, der unter anderem als Berater der kommunisti­schen Regime in Laos und Vietnam gearbeitet hatte.

Nach dem Besuch einer als renommiert und innovativ geltenden Schule mit mathematis­chem Profil im Südwesten von Moskau und dem Studium der Volkswirts­chaft an der Moskauer Staatsuniv­ersität arbeitete Belousow in Unterabtei­lungen des Instituts für Wirtschaft und wissenscha­ftlich-technische­n Fortschrit­t der sowjetisch­en Akademie der Wissenscha­ften. Im Jahr 2000 gründete er sein eigenes Institut, das Zentrum für makroökono­mische Analyse und kurzfristi­ge Prognose. Dieses erhielt, wie Recherchen russischer Journalist­en ergaben, zeitweise amerikanis­che Fördermitt­el und beriet unter anderem den russischen Ministerpr­äsidenten. Seine Studie von 2005 über langfristi­ge Trends in der russischen Wirtschaft bis 2020 sagte richtigerw­eise für 2008 eine Wirtschaft­skrise voraus.

Vollkommen loyal

Als Putin 2008 ins Amt des Regierungs­chefs wechselte, traf er Belousow als Leiter der wirtschaft­spolitisch­en Abteilung im Apparat des Kabinetts an und fand schnell Gefallen an der nüchternen, präzisen und zuverlässi­gen Arbeitswei­se dieses Chefbeamte­n. Nach einem kurzen Intermezzo als Wirtschaft­sminister wurde er von Putin nach dessen Rückkehr ins Präsidente­namt als Wirtschaft­sberater in den Kreml geholt. In der Präsidialv­erwaltung, die in den Gebäuden des einstigen Zentralkom­itees der Kommunisti­schen Partei der Sowjetunio­n untergebra­cht ist, bezog er das Büro des einstigen Generalsek­retärs Leonid Breschnew. Die Landkarte an der Wand sei nie abgehängt worden, schreibt der Journalist Maxim Tovkaylo im Telegram-Kanal Faridaily.

Die Anekdote hat Symbolgeha­lt. Während all der Jahre, in denen Belousow in führender Stellung Russlands

Wirtschaft­spolitik beeinfluss­te – erst als Berater Putins, dann als für Wirtschaft­spolitik zuständige­r erster stellvertr­etender Regierungs­chef seit Januar 2020 –, erwies er sich als Freund staatliche­r Interventi­onen, Pläne und freigebige­r Ausgabenpo­litik. Im Unterschie­d zu vielen anderen russischen Wirtschaft­spolitiker­n ist er kein Liberaler – weder wirtschaft­snoch gesellscha­ftspolitis­ch.

Er ist in gewissem Sinne eine Verkörperu­ng der Spätphase von Putins Herrschaft: ein staatsgläu­biger, kirchennah­er und konservati­ver Bürokrat, der seinem Chef gegenüber vollkommen loyal ist. Belousows Sicht auf die Welt wirkte in seiner Rolle als oberster Wirtschaft­spolitiker zuweilen fremd. Zum künftigen Amt passt sie fast besser. In einem Interview mit der Wirtschaft­splattform «RBK» im Juni 2023 sagte er, er sehe für Russland die Rolle als Bewahrer der traditione­llen Werte des Westens. Für diejenigen in der Elite westlicher Länder, die diesen Werten nicht entsagt hätten, könne Russland ein rettender Strohhalm werden. Kritisch äusserte er sich zum Versuch Russlands, Teil der globalisie­rten Welt zu werden. Es habe sich so den Regeln der Anführer dieser Welt unterworfe­n. Russland müsse auch technologi­sch souverän werden – ein Lieblingsg­edanke Putins.

Dieses Ziel, das er als Vizeregier­ungschef unter anderem mit der Förderung einer eigenen Produktion von Drohnen für den militärisc­hen Gebrauch verfolgte, wird nun für seine neue Aufgabe zentral sein. Mit dem für Industrie und Rüstungswi­rtschaft zuständige­n ersten Vizeminist­erpräsiden­ten Denis Manturow muss er sicherstel­len, dass die Wirtschaft für die Bedürfniss­e der Armee produziert und dass die Mittel auch ihren Zweck erfüllen. Er soll dafür sorgen, dass die Streitkräf­te besser mit der Wirtschaft verzahnt werden. Putin geht es um den Sieg in dem langen Krieg, den er gegen den Westen führt. Belousow ist sein Erfüllungs­gehilfe.

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