«Too big to fail» – Nachbesserungen nötig
Der Bundesrat hat unlängst seinen lange erwarteten «Too big to fail»-Bericht veröffentlicht. Was von den darin enthaltenen Vorschlägen zu Kapital, Liquidität und Abwicklung zu halten ist.
Die Operationalisierung der geordneten Liquidation ist die Pièce de Résistance der «Too big to fail»-Regulierung.
Der am 10. April 2024 vom Bundesrat publizierte «Too big to fail»-Bericht ist mit einem Umfang von 339 Seiten, mit 22 Empfehlungen und 15 zur Prüfung empfohlenen bzw. nicht weiterzuverfolgenden Themen ausserordentlich umfangreich ausgefallen. In diesem Beitrag soll der Fokus auf die Bereiche Kapital, Liquidität und Abwicklung gerichtet werden.
Kapitalanforderungen
Genügend hohe Kapitalanforderungen sind das Rückgrat einer stabilen Bank und wesentlich für eine wirksame prudenzielle Aufsicht. Dies trifft im Besonderen für eine bedeutende, global systemrelevante Finanzgruppe wie die UBS zu. Vor diesem Hintergrund sind die Vorschläge des Bundesrates zur punktuellen Erhöhung der Kapitalanforderungen zu begrüssen. Einige Massnahmen sind zweckmässig und wenig bestritten. So könnte die Finma durch den Einsatz dynamischer Kapitalanforderungen inskünftig nach Massgabe der Entwicklung gewisser Indikatoren (Credit-Default-Swap-Spread, Marktbewertung von Aktien oder Anleihen, Resultate von Stresstests) Kapitalzuschläge anordnen. Darüber hinaus sollen gewisse im Krisenfall nicht werthaltige Aktiven, wie aufgeschobene Steuergutschriften («deferred tax assets»), zu Recht nicht mehr zum anrechenbaren Kapital zählen.
Kritischer sind die Vorschläge zur Kapitalunterlegung des Stammhauses (Parent-Bank) zu beurteilen. Dies nicht etwa deshalb, weil eine Verschärfung der falsche Weg wäre, sondern weil die Vorschläge noch keine klaren Konturen haben. Unklar ist etwa das Ausmass der Verschärfung: Reden wir vom vollständigen Abzug der Beteiligungen vom Kapital der Parent-Bank, oder geht es lediglich um eine moderate Anhebung der Risikogewichte?
Ferner ist unklar, ob das zusätzliche Kapital durch hartes Kernkapital, AT1-Instrumente oder Bail-in-Bonds erbracht werden muss. Im Grundsatz ist dem Vorschlag der Verschärfung des ParentBanken-Regimes zuzustimmen, denn zu «schwachbrüstig» kapitalisierte Parent-Banken haben sich in der Vergangenheit bei den global systemrelevanten Banken als problematisch erwiesen. Überdies erwähnt der Bundesrat ganz am Rand ein nicht unwesentliches Phänomen, nämlich dass auch regionale wirtschaftliche Risiken die Finanzstabilität gefährden können. Die Steuerzahler der Kantone tragen je nach Grösse der Bilanzsumme ihrer Kantonalbank im Verhältnis zum kantonalen Bruttoinlandprodukt erhebliche Risiken.
Einen Beitrag zur Risikoreduktion könnten Bail-in-Bonds leisten. Die Inhaber solcher Instrumente tragen im Fall einer finanziellen Krise zuerst die Verluste und entlasten die Staatsgarantie. Das Bankengesetz sieht zwar die Möglichkeit der Ausgabe von Bail-in-Bonds nicht nur für die systemrelevante ZKB, sondern für sämtliche Staatsinstitute vor. Nur: Es fehlt der Anreiz zur Ausgabe dieser Instrumente, da sie nicht an das regulatorische Kapital angerechnet werden. Mit einer Revision der Eigenmittelverordnung liesse sich diese Lücke schliessen, und die Finanzstabilität könnte in einem wichtigen Bereich gestärkt werden.
Notfall-Liquidität
Bei den Vorschlägen zur Liquidität sind Nachbesserungen angebracht. Die CS-Krise hat mehr als deutlich gezeigt, dass aus sich rasch verschärfenden Liquiditätsengpässen ein bedrohlicher BankRun entstehen kann. Die SNB ist neuerdings bereit, sämtlichen Schweizer Banken bei entsprechender Vorbereitung und auf freiwilliger Basis NotfallLiquidität (Emergency Liquidity Assistance, ELA) zu gewähren. Fraglich ist allerdings, ob die ELAVorbereitungen für grössere, nicht systemrelevante Banken auf reiner Freiwilligkeit beruhen sollten und ob die ausschliessliche Akzeptanz von Hypotheken als Sicherheiten ausreichend ist. Letzteres schliesst die Vermögensverwaltungsbanken faktisch von der ELA aus, zumal es ihnen an Hypothekenbeständen mangelt. Bei dieser Bankengruppe ist deshalb zu erwägen, Lombardkredite anstatt Hypotheken als ELA-Sicherheiten zu akzeptieren, sofern die betroffenen Banken für das Finanzsystem bedeutsam sind.
Überdies wäre etwas mehr Augenmass bei der Verteilung der Kosten für die ELA-Vorbereitungen angebracht. So verlangt die SNB konsequent die aufwendige Ex-ante-Verbriefung nicht handelbarer Unternehmens- und Lombardkredite, um diese im Bedarfsfall ohne grosse eigene Aufwände und Risiken verwerten zu können. Ohne Verbriefung ist sie zur Entgegennahme der erwähnten Kredite als ELA-Sicherheiten nicht bereit. Die SNB sollte sich im Interesse einer ausgewogeneren Verteilung der Lasten der ELA-Vorbereitungen überlegen, gewisse verkraftbare Risiken der Verwertung von Sicherheiten selber zu übernehmen.
Als eigentliche Neuerung im System der Notfall-Liquidität soll der Public Liquidity Backstop (PLB) ins ordentliche Recht übergeführt werden. Im Nachgang zur CS-Rettung hat der Bundesrat dem Parlament einen entsprechenden Antrag unterbreitet. Mit dem PLB soll der SNB ermöglicht werden, notleidenden Banken auf gesicherter Basis (der Bund deckt einen Kreditausfall der SNB) Liquidität zuzuführen, sofern keine von der SNB akzeptierten Sicherheiten mehr vorhanden sind. In den «Genuss» des PLB sollen ausschliesslich systemrelevante Banken kommen. Diese Bankengruppe stellt unbestritten das grösste volkswirtschaftliche Risiko dar. Die Einführung des PLB – insbesondere für die UBS – ist daher zweckmässig. Es bleiben jedoch Fragezeichen hinsichtlich des Geltungsbereichs des PLB. Im Interesse der Finanzstabilität vorteilhafter wäre die Ausweitung des PLB auf einen nicht im voraus bestimmten Kreis von Banken.
Ein flexiblerer Einsatz des PLB würde dem Bundesrat je nach Bedrohungslage ein bedarfsund situationsgerechtes Handeln ermöglichen, ohne wiederum Notrecht anwenden zu müssen. Mit wenigen Eingriffen liesse sich der vom Bundesrat vorgelegte Gesetzesvorschlag entsprechend anpassen. Darüber hinaus könnte das bundesrätliche Ermessen im Zusammenhang mit der Aktivierung des PLB durch den Erlass von Leitplanken beispielsweise in der Bankenverordnung eingegrenzt werden. Denn auch eine (grosse) nicht systemrelevante Bank kann in eine existenzielle, die Finanzstabilität bedrohende Liquiditätskrise geraten und den Einsatz des PLB erfordern.
Geordnete Liquidation
Ein bekanntes Zitat aus Friedrich Dürrenmatts «Die Physiker» besagt, dass eine Geschichte erst dann zu Ende gedacht sei, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen habe. Übertragen auf die Abwicklung der UBS (hier verstanden als Sanierung der Finanzgruppe oder als deren geordnete Liquidation) heisst dies, dass insbesondere die geordnete Liquidation als Ultima Ratio überzeugend und möglichst wasserdicht vorbereitet sein muss. Die Entscheidungsträger sollen so in die Lage versetzt werden, diese Option wirklich zur Anwendung zu bringen, falls es erforderlich wird. Der Einwand, es seien damit unkalkulierbare und für das inländische und globale Finanzsystem nicht verantwortbare Risiken verbunden, soll zur Rechtfertigung des Verzichts auf die geordnete Liquidation nicht mehr erhoben werden können.
Was ist nun erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen? Der Bundesrat schlägt zutreffend vor, es brauche spezielle Normen zur geordneten Abwicklung im Bankengesetz. In der Tat ist das Gesetz heute lückenhaft und eine Ergänzung des Bankeninsolvenzrechts zielführend. Im Rahmen einer geordneten Liquidation wird das bestehende Geschäft in Etappen heruntergefahren und veräussert, bis nichts mehr übrig bleibt. Neugeschäfte werden nicht mehr abgeschlossen. Man spricht im Fachjargon von einem «run-off». Die auf diese Weise zu liquidierende Bank verfügt nach wie vor über eine ihrem Zweck entsprechende Bankenbewilligung und erhält bei Bedarf Zugang zu den SNBLiquiditätsfazilitäten.
Entscheidend für die Glaubwürdigkeit der «Too big to fail»-Regulierung ist der Nachweis der Abwickelbarkeit bis zu einem im Gesetz festgelegten, realistisch bemessenen Endtermin. Gelingt dieser Nachweis nicht, erhält die Finma die Kompetenz zur Anordnung struktureller Massnahmen. Diese könnten zum Beispiel darin bestehen, die Aufgaben der Parent-Bank als zentrale Steuerungseinheit zu reduzieren bzw. zu dezentralisieren oder den Konzern durch Verkäufe oder die Verselbständigung von Einheiten zu entflechten.
Angesichts der Tragweite eines solchen Entscheides sind aus rechtsstaatlicher Sicht konkrete Vorgaben im Bankengesetz unerlässlich. Zur Überprüfung der Praxistauglichkeit der Sanierungs- und Liquidationsvorbereitungen sind von den Behörden regelmässig Tests, auch grenzüberschreitende, durchzuführen, deren Resultate veröffentlicht werden. Die Operationalisierung der geordneten Liquidation ist die Pièce de Résistance der «Too big to fail»-Regulierung. Wenn sie nicht gelingt, sind auch drastische Eingriffe der zuvor dargestellten Art gerechtfertigt. Andernfalls laufen wir Gefahr, dass ein Marktaustritt der UBS nicht möglich ist und im Krisenfall als einziger Ausweg die Verstaatlichung der gesamten Gruppe verbleibt. Dass dies mit unwägbaren Risiken für unser Land und seine Steuerzahler verbunden wäre, ist evident.