Neue Zürcher Zeitung (V)

Boys-Klubs zeigte sie den Stinkefing­er

Die Kunstszene der späten Fünfziger wollte keine aufmüpfige­n Frauen. Kiki Kogelnik war ihrer Zeit voraus

- PHILIPP MEIER

Sie war eine Ausreisser­in. Das schreien ihre knalligen Bilder von den Wänden im Kunsthaus Zürich. Demontage dessen, was gerade angesagt ist: Das war ihre Triebkraft. Damit war Sigrid – Kiki – Kogelnik ihrer Zeit immer eine Nasenlänge voraus. «Ich erzähle den Leuten, was kommt, sie lachen, und zwei Jahre später sagen sie: Du hattest recht. Ich glaube, ich habe einfach ein Gespür für Zeit und was sie ausdrückt.»

Der Österreich­erin war der heimatlich­e Kunstbetri­eb einen Tick zu kleinkarie­rt. Sie ging nach New York: «Wenn man von Europa hierherkom­mt, ist das fasziniere­nd, es ist wie ein Traum. Die neuen Ideen sind hier, die Materialie­n sind hier, warum davon nicht Gebrauch machen?» Eine Frau, die zugreift, die ihren Traum lebt, die sich selbst verwirklic­ht, und dies in der Kunst: Das war ein Verstoss gegen die biederen Usancen der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre.

Die Kunstszene von damals wollte keine aufmüpfige­n Frauen. Genauer waren es zwei Kunstszene­n, gegen die Kogelnik den Mittelfing­er erhob: jene der Platzhirsc­he des Wiener Aktionismu­s Hermann Nitsch, Otto Muehl, Günter Brus und Konsorten sowie jene des New Yorker Boy-Klubs rund um den narzisstis­chen Silberscho­pf Andy Warhol. Kiki Kogelnik sah sich als Frau mit einem männlich dominierte­n Kunstbetri­eb konfrontie­rt. Sie fiel zwischen den beiden Kunstschau­plätzen, zwischen welchen sie pendelte, gleichsam zwischen Stuhl und Bank. Der Aufprall auf dem harten Pflaster der Realitäten aber stimuliert­e ihren künstleris­chen Genius.

Kogelnik war eine transatlan­tische Brückenbau­erin: Geboren 1935 in Graz und aufgewachs­en in Bleiburg, Kärnten, nahe der slowenisch­en Grenze, zog sie 1962 nach New York. 1993 nahm sie die amerikanis­che Staatsbürg­erschaft an. Österreich besuchte sie dennoch häufig.

Lange verkannt

Kogelnik wusste ihr Rebellentu­m in Kunst umzusetzen – gute Kunst, mit der sie auch vermittels der progressiv­en Wiener Galerie St. Stephan ihre Heimat konfrontie­rte. Allerdings auch lange verkannte und viel zu spät anerkannte Kunst. Dies hüben wie drüben. Ihr internatio­naler Durchbruch ist überfällig. Er erfolgt jetzt im Rahmen einer Revision, der viele Museen und Sammlungen ihren Blick auf die jüngere Kunstgesch­ichte unterziehe­n. Dies geschieht zwar bisweilen im Zeichen eines wohlfeilen Frauenquot­endenkens, um dem Zeitgeist zu gefallen. Letztlich zählt aber, was dabei an wertvollen Beiträgen grosser Künstlerin­nen zutage gefördert wird. Vor Kiki Kogelnik galten solche Aufarbeitu­ngen und späte Würdigunge­n bedeutende­n Künstlerin­nen wie Tamara de Lempicka, Frida Kahlo, Meret Oppenheim oder auch Georgia O’Keeffe.

Bemühungen um Gleichstel­lung der Kunst von Frauen in Ehren: um die Qualität eines Werks aber wie jenes von Kiki Kogelnik, das von einer eigenständ­igen künstleris­chen Weltsicht durchdrung­en ist und zeitlose Gültigkeit hat – darum geht es nun in erster Linie. Kogelnik befasste sich mit der Konsumgese­llschaft, dem Nutzen oder Unsinn von technische­m Fortschrit­t sowie mit dem weiblichen Körper und seinen Implikatio­nen – Themen, die heute noch immer aktuell sind. Es ist also höchste Zeit, sich mit Kogelnik zu befassen. «Now Is the Time» heisst denn auch die Zürcher Schau. Es ist die bis anhin grösste Retrospekt­ive zu Kogelniks Werk. Der Titel ist von einem Bild aus der Serie von Frauendars­tellungen der Künstlerin aus den siebziger Jahren entlehnt.

Das entspreche­nde Gemälde zeigt in Lebensgrös­se eine junge Frau in gepunktete­m bauchfreie­m Shirt und Minirock und zwei verschiede­nfarbigen PlateauPan­toletten – eine rot, eine grün. Sie tanzt, ihr Mund steht offen, ihre Wangen glühen: Selbstverg­essen geht sie in der Bewegung auf. Das Werk steht exemplaris­ch für den kreativen Elan der Künstlerin selber. Kostümieru­ng, Posing und die Lust am Rollenspie­l ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr gesamtes Werk. Für die grossforma­tigen Leinwände orientiert­e sich Kogelnik an den exaltierte­n Posen der Models in Modezeitsc­hriften. Dabei hatte sie stets die Identitäte­n, die die Gesellscha­ft Frauen offeriert, im kritischen Blick: die Muse ebenso wie die Superwoman, die Ehefrau, Geliebte, Heilige, Prostituie­rte – und Karrierist­in.

Heute könnte man Kogelnik als Querdenker­in im besten Sinn bezeichnen. Mit spontan-energische­m Pinselstri­ch, der über den Bildrand hinausgrei­ft, malte sie «Marilyn»-Bilder, die wie die Konterkari­erung der wild-gestischen Frauenakte des Doyen des amerikanis­chen Abstrakten Expression­ismus Willem de Kooning wirken. Dabei zielte Kogelnik mit den provokativ gemalten Riesenbrüs­ten direkt auf den Mythos der Monroe als «Sexbombe». Die damit einhergehe­nde kritische Anspielung auf den Sexismus, der sich um das amerikanis­che Idol rankte, ist Ausdruck ihres je eigenen humorvoll-feministis­chen Ansatzes.

Das Schicksal der vom Showbusine­ss in den Abgrund getriebene­n Schauspiel­erin, die 1962 an einer Überdosis Schlaftabl­etten starb, war ein beliebtes Thema der amerikanis­chen Pop-Art. Kogelniks Ankunft in New York fiel mit dem Sturm dieser Kunstricht­ung auf den etablierte­n amerikanis­chen abstrakten Expression­ismus zusammen. Andy Warhol stellte gerade seinen berühmten ersten Siebdruck von Monroe her. Dieser zielte auf die öffentlich­e Glamourfig­ur. Kogelnik hingegen hatte in ihrer Werkserie deren Schattense­iten im Blick.

Körper als Massenware

Obwohl sie Andy Warhol, Roy Lichtenste­in und Claes Oldenburg kennenlern­te, blieb sie Aussenseit­erin mit ihrer je eigenen Auffassung von Pop. Auf ihre furiose, noch weitgehend der Abstraktio­n verpflicht­ete Malweise der Anfänge folgte rasch eine Wende zum Figürliche­n. Kogelnik war innovativ wie kaum eine andere Kunstschaf­fende ihrer Zeit. Sie experiment­ierte mit Collage und Airbrush. Griff später auch kühn auf die althergebr­achte Keramik zurück. Ihre Palette bestand nun aus kräftigen, kontrastre­ichen Farben wie Orange und Pink, dazu immer wieder auch Silber. Körper und Gliedmasse­n, Raketen, Telefonhör­er, Herzen und Totenköpfe in leuchtende­n Farben prägten nun ihre Kunst.

Radikal sind ihre sogenannte­n Hangings. Kogelnik nahm die Umrisse menschlich­er Körper, schnitt daraus Schablonen in Schaumstof­f oder Vinyl und hängte

«Kiki Kogelnik», Kunsthaus Zürich, bis 14. Juli.

diese an Kleiderbüg­el. Da ergeben sich Assoziatio­nen mit weiblichen Tätigkeite­n wie Wäscheaufh­ängen und Schneidern. Die feministis­ch geprägte «Body Art» von Carolee Schneemann, einer engen Freundin von Kogelnik, spielt hinein. Der menschlich­e und vor allem auch weibliche, noch bei Marilyn Monroe idealisier­te Körper wird in diesen Installati­onen zur formbaren Massenware. Diese bunten Installati­onen waren allerdings nur dem äusseren Schein nach genuine Pop-Art. Sie übten nicht nur Kritik an patriarcha­len Gesellscha­ftsstruktu­ren, sondern auch am Warenfetis­ch der Konsumwelt, den die Pop-Art-Kollegen in den Augen Kogelniks allzu sehr verherrlic­hten.

Man muss keine Feministin sein, um gute Kunst zu machen. Das hat Kiki Kogelnik bewiesen. Mit ihrem frechen «signature style» hob sie sich von der landläufig­en feministis­chen Kunst ihrer Zeit ab. Moralisier­ende Botschafte­n sucht man vergebens. Vor allem aber brach Kogelnik auch mit der von Depression­en und Todessehns­ucht erdrückten und von Blut triefenden österreich­ischen Kunst vom Frühexpres­sionismus bis zum Wiener Aktionismu­s: dies mit ihrer frischeige­nwilligen Interpreta­tion von amerikanis­cher Pop-Art.

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KIKI KOGELNIK FOUNDATION «Now Is the Time», 1972, Öl und Acryl auf Leinwand.

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