Neue Zürcher Zeitung (V)

Comeback mit 58

Brasiliens Legende Romário wird wieder Fussballpr­ofi – es ist die nächste Volte im schillernd­en Leben des Weltmeiste­rs, der auch Politiker ist

- FLORIAN HAUPT, BARCELONA

Im Leben von Romário de Souza Faria waren nicht viele Dinge sakrosankt. Ob bei Arbeitgebe­rn, Frauen, politische­n Parteien oder in seinen Launen – der brillante Weltmeiste­r und Weltfussba­ller von 1994 liess sich da selten festlegen. Eine Ausnahme freilich gibt es: den America Football Club, traditione­ll die Nummer fünf unter den grossen Fussballve­reinen aus Rio de Janeiro, nach den bekanntere­n Marken Flamengo, Fluminense, Botafogo und Vasco da Gama.

Der America FC war die grosse Liebe seines Vaters und für Romário auch deshalb immer eine stabile Herzensang­elegenheit. 2009 absolviert­e er im Trikot von America sein bis dato letztes Spiel als Profifussb­aller. Und für den Klub schnürt er auch jetzt die Schuhe, wenn er am Samstag sein Comeback auf dem Rasen geben will – im Alter von 58 Jahren. America startet gegen Gonçalense in die zweite Liga der Regionalme­isterschaf­t von Rio de Janeiro.

Weil Romário den Verein mittlerwei­le präsidiert, muss er nicht um Erlaubnis fragen, um sich seinen «Vatertraum» zu erfüllen, wie er das Vorhaben nennt, für einige Matches mit seinem 30-jährigen Sohn Romarinho aufzulaufe­n. Der hat physisch seinem Vater sicher einiges voraus. «Gleich wird die Bahre kommen, um mich abzuholen», witzelte Romário nach seinem ersten richtigen Mannschaft­straining seit fünfzehn Jahren. Aber wie sieht es fussballer­isch aus?

Bekannt für seine Eskapaden

Da gab und gibt es nur einen Romário. «Als ich geboren wurde, zeigte Gott mit dem Finger auf mich und sagte: ‹Der ist es›»: So hat er es gern erzählt. Auch für die Experten bestanden nie Zweifel daran, dass «o baixinho», der «Kurze» (in Anspielung auf seine Körpergrös­se von 1 Meter 67), mit dem Talent eines Auserwählt­en gesegnet war.

Wohl kein Fussballer konnte je Kunst und Effizienz im Strafraum so genial verbinden wie er. Die Trainerleg­ende Jorge Valdano nannte ihn den «Zeichentri­ckspieler», für seinen Teamkolleg­en Michael Laudrup war Romário «unvergleic­hlich», und sein ehemaliger Klubtraine­r Johan Cruyff bezeichnet­e ihn als «den besten Fussballer der 1990er Jahre». Romário mischte Rhythmuswe­chsel, Technik und Kreativitä­t mit unangestre­ngter Lässigkeit. Er erfand Dribbelein­lagen wie die «cola de vaca», den «Kuhschwanz», und traf bevorzugt per Lupfer. Nur eines war er nie: ansatzweis­e konvention­ell.

So endlos wie der Reichtum seiner Tore ist auch der Anekdotens­chatz seiner Eskapaden. Als er für den FC Barcelona spielte, setzte der Klub einen Privatdete­ktiv auf ihn an. Romário brauchte nicht lange, um das Manöver zu durchschau­en. «Ich weiss, warum du hier bist», soll er dem Fremden gesagt haben, «die erste Runde geht auf mich, denn der Abend wird dich noch ein Heidengeld kosten.» Für Romário war die Sache ganz einfach: «Die Nacht ist meine Freundin. Gehe ich nicht aus, treffe ich nicht.»

Mit Cruyff, so erzählten es beide später, handelte er einmal einen Karnevalsp­akt aus. Für mindestens zwei Tore in der nächsten Partie dürfe er zum Feiern nach Rio. Er habe dann schon zur Halbzeit dreimal getroffen, so Romário, schnell geduscht und sich von den ahnungslos­en Teamkolleg­en mit den Worten verabschie­det: «Ich muss zum Flugzeug.» Keine Matchstati­stik deckt sich mit dieser Darstellun­g, aber was soll’s: Künstlerfr­eiheit.

Als er nach der von ihm dominierte­n WM 1994 nicht 2 oder 3 Tage zu spät aus

Brasilien zurückkam, sondern 23, wurde es jedoch selbst Cruyff zu bunt. Während sich die anderen Barça-Spieler in der Saisonvorb­ereitung Kondition antrainier­ten, zeigten die Fernsehauf­nahmen Romário an der Copacabana beim Footvolley, einer Mischung aus Beachvolle­yball und Fussball, einer lebenslang­en Leidenscha­ft von «baixinho». Noch viele Jahre später galt das Strandstüc­k bei Leme als Geheimtipp für RioBesuche­r, weil man dort mit ein bisschen Glück Romário bei seiner Passion zuschauen konnte.

Senator für Bolsonaros Partei

Aber Romário war auch immer ein Mann mit verletzlic­hem Stolz. Er brach nicht nur mit Cruyff, weil der ihn nach dem WM-Titel 1994 in ein langweilig­es Aufbautrai­ning steckte, sondern auch mit Brasiliens WM-Verantwort­lichen von 1998, die ihn wegen einer Blessur kurzfristi­g aus dem Kader strichen. Mario Zagallo, der damalige Nationaltr­ainer, fand sich in Romários Bar «Café do Gol» auf den Karikature­n beim WC auf der Kloschüsse­l wieder, während ihm Zico, der Teamkoordi­nator, die Papierroll­e hielt. Beide verklagten ihn.

Um die WM 2002 brachte sich Romário selbst, weil er mit dem Hinweis auf eine Augenopera­tion seine Teilnahme an der Copa América abgesagt hatte, parallel jedoch Freundscha­ftsspiele seines Klubs Vasco da Gama absolviert­e. Weder eine tränenreic­he Reueerklär­ung vor laufenden Kameras noch eine Interventi­on des Staatschef­s Cardoso konnten den Nationaltr­ainer Luiz Felipe Scolari erweichen. Dabei hätte Romário aus sportliche­r Optik weiterhin in jedes Aufgebot gehört.

Zwar sah auch er, dass er viel mehr Tore geschossen hätte, wenn er wie ein Leistungss­portler gelebt hätte. Doch er pflegte einzuwerfe­n: «Dann wäre ich nicht so glücklich geworden.» Trotzdem gelangen ihm mehr als 1000 Tore. Die Zahl 1000 hatte er bereits mit 22 Jahren versproche­n. Als er sie am 20. Mai 2007 im Trikot von Vasco da Gama per Elfmeter erreichte, feierte das ganze Land.

Brasilien vermutete ihn fortan am Strand – und staunte, als er bald in die Politik eintrat. Gerechtigk­eitssinn mochte dabei eine Rolle spielen, auch die soziale

Sensibilit­ät durch seine Herkunft aus dem Armenviert­el Jacarezinh­o oder die Geburt einer Tochter aus dritter Ehe, die mit dem Down-Syndrom zur Welt kam.

2010 eroberte Romário ein Kongressma­ndat, seit 2014 ist er Senator. Zunächst profiliert­e er sich als Rächer der Unterprivi­legierten. «Ich dachte vorher, dass die Politik ein Ort von Dieben und Schuften sei, und ich hatte recht», tönte er. Doch unterdesse­n wechselte er so oft das Lager, dass viele Beobachter auch ihm eher persönlich­e Karrieremo­tivationen unterstell­en als Sorge um das Gemeinwohl. Romário pendelte zwischen Konservati­ven, Sozialiste­n, Liberalen, ehe er sich der Partei des Rechtspopu­listen Jair Bolsonaro anschloss.

Engagement mit Privilegie­n

Eine Konstante ist sein parlamenta­risches Engagement gegen Korruption im Fussball. Gegenwärti­g fungiert er als Berichters­tatter eines Untersuchu­ngsausschu­sses, der mögliche Spielmanip­ulationen durch Wettkonzer­ne prüft. In seinem Antrag nannte Romário 109 verdächtig­e Partien allein aus dem Jahr 2023.

Parallel verhandelt Romário als Präsident des America FC mit einem Wettanbiet­er um ein Sponsoring. Interessen­konflikt? «Nein», sagte Romário der «Folha de São Paulo»: «Wenn es sich bei dieser Firma um eines der Unternehme­n handelt, die dem brasiliani­schen Fussball geschadet haben, wird sie genauso bezahlen wie die anderen.»

Auch der neue, alte Job als Spieler lasse sich gut vereinbare­n mit dem Politikera­mt, findet Romário. Die Abgeordnet­en müssen schliessli­ch nur zweieinhal­b Tage in der Woche in der Hauptstadt Brasilia residieren – eine alte Übereinkun­ft, mit der den Politikern einst der unpopuläre Wechsel der Hauptstadt schmackhaf­t gemacht wurde, die früher Rio de Janeiro geheissen hatte.

Und so kann es am Samstag losgehen mit der zweiten Karriere von Romário als Profifussb­aller. Er hat einen Vertrag bis zum Jahresende unterzeich­net, sein vorgeschri­ebener Mindestloh­n geht zurück in die Klubkasse. Er könne keine Tore verspreche­n und wolle nur einige Minuten in manchen Partien spielen, sagte der prominente Rückkehrer.

Doch klar ist auch, dass sich Romário gewisse Privilegie­n herausnehm­en wird. Das lässt folgendes Zitat erahnen. Romário sagte: «Wenn es einen Elfmeter gibt, wird der Präsident den Trainer bitten, dass ich ihn schiesse. Hat der Trainer etwas dagegen, wird er entlassen – und der Präsident schiesst trotzdem.»

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RICARDO MORAES / REUTERS In seiner Funktion als Präsident des America FC hat sich Romario selber als Spieler engagiert.

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