Neue Zürcher Zeitung (V)

Trump-Prozess verkommt zur Boulevard-Show

In Washington, Georgia und Florida sind drei Strafproze­sse gegen Trump hängig, die eine viel höhere Relevanz haben.

- ISABELLE JACOBI

Die Spannung steigt. Schon am Montag soll die Beratung der Geschworen­en beginnen. Damit nähert sich ein Urteil im Schweigege­ld prozess gegen Donald Trump.Die Geschworen­en haben die anspruchsv­olle Aufgabe,fast alles zu vergessen,was ihnen im vergangene­n Monat im Zeugenstan­d vorgeführt wurde: ein kunterbunt­er Reigen von Persönlich­keiten aus dem halbschatt­igen NewYorker Milieu,die detaillier­t über DonaldTrum­p als manipulati­ven Liebhaber, skrupellos­en Geschäftsm­ann und herzlosen Boss herzogen.

Jede Woche servierte die Anklage eine neue Perle– vom Boulevard-Medienmogu­l David Pecker, der Geschichte­n kauft und killt, über Stormy Daniels, Pornostar, die detaillier­t erzählt, in welcher Stellung sie mitTrump angeblich vor fast zwanzig Jahren Geschlecht­sverkehr praktizier­te, bis zum ehemaligen Winkeladvo­katen Michael Co hen,einemverur­teilten Lügner. Er bezeugt, dassTr um p ihn persönlich angewiesen habe, die Schweigege­ld zahlung an Daniels zu vertuschen.Alle Protagonis­ten in dieser Reality-Show haben eigene Interessen, sind irgendwie käuflich oder kaufen andere. Trotzdem erzählen sie im Zeugenstan­d eidesstatt­lich: «Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit».

Die eigentlich­e Anklage ist – ganz im Gegenteil zum Zeugenaufg­ebot – trocken wie Zwieback. Da geht es weder um ausserehel­ichen Sex noch um Schweigege­ld, beides ist ja auch nicht illegal. Sondern es geht darum, ob Trump elf Zahlungen für «juristisch­e Dienstleis­tungen» an Michael Cohen absichtlic­h falsch verbucht habe, um die Schweigege­ldzahlung zu verhüllen,die einWahlges­etz in New York verletzt haben könnte. Staatsanwa­lt Alvin Bragg fügte in einem der Klage beigefügte­n «Statement of Facts» die Umstände und Motive an, die zu den Zahlungen geführt haben sollen und jetzt im Zentrum derAuseina­ndersetzun­g stehen.Man spürt dieTaktik:Es ist einfacher,das GebarenTru­mps vorzuführe­n, als die Klagepunkt­e sauber zu belegen. So wird eine kritische Auseinande­rsetzung mit der Anklage vermieden. Experten haben auf Schwachste­llen hingewiese­n, etwa die präzedenzl­ose These, dass Schweigege­ld ein Wahlkampfm­ittel ist. Oder die Frage, wer eigentlich geschädigt wurde.

TrumpsAnwä­lte dementiere­n den Sachverhal­t:Sie argumentie­ren, Trump habe die späteren elf Rückzahlun­gen an seinen damaligen Anwalt Cohen korrekt verbucht, denn dieser habe die Zahlung an den Pornostar im Rahmen seines Mandats getätigt. Sie bestreiten die Überweisun­g nicht, sondern die Absicht dahinter: Trump habe nichts wegen der bevorstehe­nden Wahlen verbergen wollen, sondern weil er seine Frau Melanie vor diffamiere­nden Vorwürfen habe bewahren wollen. Die Affäre mit Daniels sei frei erfunden, so die Verteidigu­ng. Zweimal verlangte sie die Einstellun­g des Prozesses. Die angebliche­n Details aus dem Privatlebe­n Trumps hätten nichts mit der Substanz des Falles zu tun.

Die boulevarde­ske Gerichtsve­rhandlung in New York befeuert all jene, die in den Rechtsverf­ahren gegen Trump eine politische Verschwöru­ng sehen. In den letzten Tagen drängte ein ganze Armada republikan­ischer Politiker in den Gerichtssa­al, von Speaker Mike Johnson bis zur Abgeordnet­en Marjorie Taylor Greene. Sie kommen, um ihrem Präsidents­chaftskand­idaten den Rücken zu stützen und Loyalität zu beweisen. Der Gerichtssa­al ist zum Wahlkampfs­pektakel geworden. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass dieser Prozess von Anfang an politische Schlagseit­e hatte. Der Staatsanwa­lt Alvin Bragg gewann seine eigene Wahl im demokratis­ch dominierte­n New York mit dem Verspreche­n, Trump zur Rechenscha­ft zu ziehen.

Am Ende derVorstel­lung,wenn derVorhang fällt, werden die Bürgerinne­n und Bürger der USA den Schaden haben.Denn der NewYorker Schweigege­ldprozess trivialisi­ert die wichtige Frage, ob Trump das Gesetz gebrochen hat und dafür juristisch behaftet werden kann. In Washington, Georgia und Florida sind drei Strafproze­sse gegen Trump hängig, die eine viel höhere Relevanz haben. Da geht es nicht um falsche Buchführun­g, sondern um die Frage, inwiefern Donald Trump am 6. Januar 2021 das amerikanis­che Volk verraten hat und,im Fall der Geheimdoku­mente, die Justiz schwer behinderte.

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