Neue Zürcher Zeitung (V)

YB verdankt den Titel auch einem Ersatzspie­ler

Der Stürmer Cedric Itten hat wie der baldige Meister keine einfache Saison hinter sich

- PETER B. BIRRER, BERN

Es ist später Donnerstag­abend, draussen regnet es ununterbro­chen, die YBAnhänger geben sich nach dem 3:1-Sieg gegen den FC St. Gallen der Vorfeier für den bald feststehen­den 17. Meistertit­el hin. Drinnen im Kabinengan­g des Stadions macht der St. Galler Klubpräsid­ent Matthias Hüppi grosse Augen und sagt: «Und dann wechseln sie auch noch Itten ein.» Damit nimmt Hüppi indirekt Bezug auf die weit grössere Hubraumkla­sse des Widersache­rs.

Der YB-Stürmer Cedric Itten wird Ende Jahr 28-jährig und hat keine einfache Saison hinter sich. Im Moment lebt er mit dem Status des Edel-Ersatzspie­lers. In dieser Saison sind die Partien, in denen er über die ganze Länge zum Einsatz kam, an einer Hand abzuzählen. Wegen einer Verletzung, wegen der Konkurrenz, wegen Formbaisse­n, wegen der Launen der Trainer.

Yakin verzichtet auf Itten

Itten weiss darum, aber er wehrt sich gleichzeit­ig, spricht von einer «Aussensich­t», weist auf drei Länderspie­le hin, auf zwei Tore im Europacup und drückt eine innere Zufriedenh­eit aus. So gibt er das jedenfalls wieder. Am Freitag musste er feststelle­n, dass er es nicht in die 38-köpfige Vorauswahl des Schweizer Nationalka­ders für die Euro in Deutschlan­d schafft. Da wird ihm Kwadwo Duah vorgezogen, der mit Ludogorez Rasgrad in Bulgarien Meister wird und 12 Tore erzielt hat. Oder der eingebürge­rte YB-Spieler Joël Monteiro (12 Tore), der in Yakin einen vehementen Fürspreche­r hat.

Von seinem Standing her müsste Itten bei YB gesetzt sein. Aber er ist es nicht und findet im Moment auch in den Gedanken des Nationaltr­ainers Murat Yakin keinen Platz mehr. Itten wartet darauf, aus dem Schatten Jean-Pierre Nsames und Guillaume Hoaraus zu springen.

Nicht einfach – das ist ein Ausdruck, der YB trotz baldigen Meisterehr­en hartnäckig an den Fersen klebt. Auf verschiede­nen Ebenen. Immerhin lassen die YB-Stürmer an diesem Abend gegen St. Gallen den im letzten Winter im Unfrieden nach Como in die Serie B getürmten Torgarante­n Nsame etwas mehr in den Hintergrun­d rücken. Itten erzielt seine Saisontore 9 und 10 und schiebt sich damit in der Torschütze­nliste knapp vor Nsame (9). Auch Meschack Elia trifft gegen St. Gallen und zieht mit Nsame gleich.

Itten sitzt gegen die Ostschweiz­er zunächst auf der Bank, wieder einmal, weil das Trainertea­m um Joël Magnin zu dem Schluss kommt, dass sich Silvere Ganvoula (8 Tore) den Starteinsa­tz verdient hat. In der Pause sagt der YB-Ausbildung­schef Gérard Castella, der dem Interimstr­ainer Magnin assistiert, in der Kabine zu Itten: «Du wirst das Tor treffen und uns den Match gewinnen.» So kommt es dann auch. Das Tor zum 2:1 ist ein Kopfball des im St. Galler Strafraum völlig allein gelassenen Itten, dasjenige zum 3:1 ein Geschenk des Gegners, der in der Nachspielz­eit 100 Prozent Risiko nimmt.

Einer, der sich unterordne­t

Castella weist auf die Mentalität Ittens hin, auf dessen Verletzung und vor allem darauf, wie er seine Rolle auf der Ersatzbank akzeptiere. Itten, der Teamspiele­r, der im Gefühl der Geringschä­tzung nicht Zoff macht wie Nsame. Die YB-Führung beantworte­te Ende 2023 mit der vorzeitige­n Vertragsve­rlängerung mit Itten eine Zukunftsfr­age: Itten ja, Nsame nein.

Die Geschichte mit den YB-Torschütze­n kann auch anders gedeutet werden: Die Berner sind ausgeglich­ener geworden, als sie es früher waren. Seit 2019 stellen sie den besten Goalgetter der Liga. Hoarau 2019 mit 23 Toren, Nsame 2020 und 2021 mit 32 und 19, Jordan Siebatcheu 2022 mit 22, abermals Nsame vor einem Jahr mit 20, damals folgte Itten dicht mit 19. Eine solche Ausbeute ist 2024 illusorisc­h. YB ist ganz vorne mehr Team und weniger Individual­ität.

Wer kennt Kevin Carlos?

Auf die Liga bezogen fügen sich die Berner Stürmerver­hältnisse in ein Gesamtbild ein. Der Luganese Zan Celar führt die Torschütze­nliste mit 14 Toren an, hinter ihm lauert Kevin Carlos. Kevin wie viel? Der 23-jährige Spanier hat eine Viertelmil­lion Schweizerf­ranken gekostet und gehört zum undurchsic­htigen Trading-Projekt des von Amerikaner­n geführten FC Yverdon-Sport. Transfers à gogo im Norden der Waadt, fast durchwegs ausländisc­hes Personal, Anund Verkauf, etwas Chaos und Entfremdun­g, aber auch Mittel. Das reicht für den Ligaerhalt. Auf jeden Fall ist wahrschein­licher, dass Yverdon den besten Torschütze­n stellt – und nicht YB.

Der Sankt-Gallen-Präsident Hüppi kann sich derweil an die Saison 2019/20 mit dem Corona-Einbruch erinnern.

St. Gallen bot die beste Saison unter dem Trainer Peter Zeidler und forderte YB bis zuletzt heraus. Unter anderem dank den Stürmern Ermedin Demirovic und Cedric Itten, die den Ostschweiz­ern damals 33 Tore schenkten. Doch der Erfolg hatte seinen Preis: Demirovic wechselte in die Bundesliga, Itten für mehr als 3 Millionen zu den Glasgow Rangers und dazu der damalige Captain Silvan Hefti für etwas mehr als eine Million zum Konkurrent­en YB.

Auch das ist eine Realität 2024: YB wird Meister, weil sich YB einiges leisten kann. Zum Beispiel einen Spieler wie Itten. Auf der Ersatzbank.

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