YB verdankt den Titel auch einem Ersatzspieler
Der Stürmer Cedric Itten hat wie der baldige Meister keine einfache Saison hinter sich
Es ist später Donnerstagabend, draussen regnet es ununterbrochen, die YBAnhänger geben sich nach dem 3:1-Sieg gegen den FC St. Gallen der Vorfeier für den bald feststehenden 17. Meistertitel hin. Drinnen im Kabinengang des Stadions macht der St. Galler Klubpräsident Matthias Hüppi grosse Augen und sagt: «Und dann wechseln sie auch noch Itten ein.» Damit nimmt Hüppi indirekt Bezug auf die weit grössere Hubraumklasse des Widersachers.
Der YB-Stürmer Cedric Itten wird Ende Jahr 28-jährig und hat keine einfache Saison hinter sich. Im Moment lebt er mit dem Status des Edel-Ersatzspielers. In dieser Saison sind die Partien, in denen er über die ganze Länge zum Einsatz kam, an einer Hand abzuzählen. Wegen einer Verletzung, wegen der Konkurrenz, wegen Formbaissen, wegen der Launen der Trainer.
Yakin verzichtet auf Itten
Itten weiss darum, aber er wehrt sich gleichzeitig, spricht von einer «Aussensicht», weist auf drei Länderspiele hin, auf zwei Tore im Europacup und drückt eine innere Zufriedenheit aus. So gibt er das jedenfalls wieder. Am Freitag musste er feststellen, dass er es nicht in die 38-köpfige Vorauswahl des Schweizer Nationalkaders für die Euro in Deutschland schafft. Da wird ihm Kwadwo Duah vorgezogen, der mit Ludogorez Rasgrad in Bulgarien Meister wird und 12 Tore erzielt hat. Oder der eingebürgerte YB-Spieler Joël Monteiro (12 Tore), der in Yakin einen vehementen Fürsprecher hat.
Von seinem Standing her müsste Itten bei YB gesetzt sein. Aber er ist es nicht und findet im Moment auch in den Gedanken des Nationaltrainers Murat Yakin keinen Platz mehr. Itten wartet darauf, aus dem Schatten Jean-Pierre Nsames und Guillaume Hoaraus zu springen.
Nicht einfach – das ist ein Ausdruck, der YB trotz baldigen Meisterehren hartnäckig an den Fersen klebt. Auf verschiedenen Ebenen. Immerhin lassen die YB-Stürmer an diesem Abend gegen St. Gallen den im letzten Winter im Unfrieden nach Como in die Serie B getürmten Torgaranten Nsame etwas mehr in den Hintergrund rücken. Itten erzielt seine Saisontore 9 und 10 und schiebt sich damit in der Torschützenliste knapp vor Nsame (9). Auch Meschack Elia trifft gegen St. Gallen und zieht mit Nsame gleich.
Itten sitzt gegen die Ostschweizer zunächst auf der Bank, wieder einmal, weil das Trainerteam um Joël Magnin zu dem Schluss kommt, dass sich Silvere Ganvoula (8 Tore) den Starteinsatz verdient hat. In der Pause sagt der YB-Ausbildungschef Gérard Castella, der dem Interimstrainer Magnin assistiert, in der Kabine zu Itten: «Du wirst das Tor treffen und uns den Match gewinnen.» So kommt es dann auch. Das Tor zum 2:1 ist ein Kopfball des im St. Galler Strafraum völlig allein gelassenen Itten, dasjenige zum 3:1 ein Geschenk des Gegners, der in der Nachspielzeit 100 Prozent Risiko nimmt.
Einer, der sich unterordnet
Castella weist auf die Mentalität Ittens hin, auf dessen Verletzung und vor allem darauf, wie er seine Rolle auf der Ersatzbank akzeptiere. Itten, der Teamspieler, der im Gefühl der Geringschätzung nicht Zoff macht wie Nsame. Die YB-Führung beantwortete Ende 2023 mit der vorzeitigen Vertragsverlängerung mit Itten eine Zukunftsfrage: Itten ja, Nsame nein.
Die Geschichte mit den YB-Torschützen kann auch anders gedeutet werden: Die Berner sind ausgeglichener geworden, als sie es früher waren. Seit 2019 stellen sie den besten Goalgetter der Liga. Hoarau 2019 mit 23 Toren, Nsame 2020 und 2021 mit 32 und 19, Jordan Siebatcheu 2022 mit 22, abermals Nsame vor einem Jahr mit 20, damals folgte Itten dicht mit 19. Eine solche Ausbeute ist 2024 illusorisch. YB ist ganz vorne mehr Team und weniger Individualität.
Wer kennt Kevin Carlos?
Auf die Liga bezogen fügen sich die Berner Stürmerverhältnisse in ein Gesamtbild ein. Der Luganese Zan Celar führt die Torschützenliste mit 14 Toren an, hinter ihm lauert Kevin Carlos. Kevin wie viel? Der 23-jährige Spanier hat eine Viertelmillion Schweizerfranken gekostet und gehört zum undurchsichtigen Trading-Projekt des von Amerikanern geführten FC Yverdon-Sport. Transfers à gogo im Norden der Waadt, fast durchwegs ausländisches Personal, Anund Verkauf, etwas Chaos und Entfremdung, aber auch Mittel. Das reicht für den Ligaerhalt. Auf jeden Fall ist wahrscheinlicher, dass Yverdon den besten Torschützen stellt – und nicht YB.
Der Sankt-Gallen-Präsident Hüppi kann sich derweil an die Saison 2019/20 mit dem Corona-Einbruch erinnern.
St. Gallen bot die beste Saison unter dem Trainer Peter Zeidler und forderte YB bis zuletzt heraus. Unter anderem dank den Stürmern Ermedin Demirovic und Cedric Itten, die den Ostschweizern damals 33 Tore schenkten. Doch der Erfolg hatte seinen Preis: Demirovic wechselte in die Bundesliga, Itten für mehr als 3 Millionen zu den Glasgow Rangers und dazu der damalige Captain Silvan Hefti für etwas mehr als eine Million zum Konkurrenten YB.
Auch das ist eine Realität 2024: YB wird Meister, weil sich YB einiges leisten kann. Zum Beispiel einen Spieler wie Itten. Auf der Ersatzbank.