Neue Zürcher Zeitung (V)

Meister auch dank schwacher Konkurrenz

YB gewinnt trotz Trainerwec­hsel und Zerwürfnis­sen wieder den Titel in der Super League

- PETER B. BIRRER

YB ist Champion und das, was der FC Basel zuvor gewesen ist: Dominator der Liga, Vorbild, Machtfakto­r, eine gesellscha­ftliche Grösse in Bern und ein ökonomisch­es Schwergewi­cht im Schweizer Klubfussba­ll. Alles gut in Bern? Jubelt und frohlocket?

Nicht ganz. YB kämpfte sich durch eine von Problemen begleitete Saison. Die Mannschaft hat an Identifika­tionsPoten­zial und Ausstrahlu­ng verloren. Das lässt sich an Personen ausserhalb von Bern ablesen, die lange nachdenken und zögern, wenn sie nach einem auffällige­n YB-Spieler gefragt werden.

Da ist kein aufsteigen­der Nationalsp­ieler mehr wie Fabian Rieder, kein Rockstar wie Guillaume Hoarau, keine Tormaschin­e wie Jean-Pierre Nsame, keine langjährig­e Teamstütze wie Christian Fassnacht. YB hat im letzten Jahr zahlreiche Spieler transferie­rt und etliche Millionen eingenomme­n. Aber der Klub tut sich schwer mit der Erneuerung und der Fluktuatio­n.

YB ist trotz Schwächesy­mptomen vorzeitig Meister. Aber warum eigentlich? Die Antwort auf diese Frage muss zwingend bei der Konkurrenz beginnen, die einmal mehr die Gunst der Stunde nicht zu nutzen vermochte. Der Servette FC flösste den Bernern immerhin so viel Angst ein, dass diese sich Anfang März als Tabellenfü­hrer bemüssigt sahen, sich vorzeitig vom Trainer Raphael Wicky zu trennen. Doch Servette trat nicht lange als Schreckges­penst auf.

Die Genfer, die bis in die Achtelfina­ls der Conference League vorstiesse­n, im Schweizer Cup-Final stehen und ungewöhnli­ch viel Kraft brauchten, mussten wegen ihres knappen Kaders und wegen administra­tiver Anfängerfe­hler (keine Lizenz für neue Spieler) Abstriche machen. Sie schlittert­en just in dem

Moment in eine Niederlage­nserie, in dem YB von Furcht geplagt war.

Vom Rest drehte der FC Lugano zu spät auf, stürzte der FC Basel als exorbitant­e Drehscheib­e für Spielertra­nsfers und mit zwei Trainerwec­hseln in ungeahnte Tiefen ab, zerlegte sich der FC Zürich auf dem mit harter Hand geführten Weg in die Zukunft gleich selbst, gewöhnten sich der FC St. Gallen und der FC Luzern und ihr treues Publikum in ewig gleichen Gewässern ans lauwarme Mittelmass, ist der entwurzelt­e Grasshoppe­r-Club unter chinesisch­er und amerikanis­cher Führung zum Abstiegska­ndidaten mutiert.

Eine Person, die früher für YB in leitender Funktion tätig war, sagte in burschikos­er Art über den sich anbahnende­n Berner Titel: «Die Konkurrenz ist zu schlecht und zu dumm.» Kurz: Die Konkurrenz spielte vor und hinter den Kulissen für YB, für den Klub, der in der Hauptstadt-Region dem SC Bern den Rang des Lokalfürst­en entrissen hat. YB wirkt wie eine grosse Maschine, die läuft und läuft. Und läuft. Und wenn sie einmal nicht mehr gut läuft, genügt sie immer noch, weil andere Maschinen stottern.

Die Resultate stellen der Chefetage ein blendendes Zeugnis aus. Im Transferwe­sen alles richtig gemacht und dazu die Kasse gefüllt, den Trainer gewechselt, die Spieler bei Laune gehalten.Alles gut? Nein. In den letzten Wochen sagten Spieler vor Kameras, dass die Mannschaft keine einfache Zeit hinter sich habe. Die Young Boys trennten sich nach einem ausufernd langen Prozess des Schweigens Anfang März als Tabellenfü­hrer vom Trainer Wicky. Und sie lieferten auch mit seinem Nachfolger Joël Magnin unerklärli­ch mässige bis schlechte Spiele ab.

Arges Kompetenzg­erangel

Im Fall Wicky lassen Stimmen aufhorchen, die darauf hinweisen, dass es unter dem YB-Dach während Monaten zu einem argen und ausserorde­ntlich ermüdenden Kompetenzg­erangel gekommen sein soll. Wicky war 2023 Meister und Cup-Sieger geworden, er stiess in die Champions League vor und liess in dieser immerhin Roter Stern Belgrad hinter sich. Das alles reichte nicht.Als YB in der Europa League gegen Sporting Lissabon ohne Chance blieb und Anfang März im Schweizer Cup beim FC Sion ausschied, bilanziert­e die NZZ: «Da ist eine Mannschaft zum Erliegen gekommen.»

Filip Ugrinic, der zu jener Zeit dynamischs­te Spieler, verletzte sich bei einem

Torschuss. Aurèle Amenda spielte nach seinem angekündig­ten Millionent­ransfer nach Frankfurt in einigen Partien so, als würde ihm die Bundesliga in den Kopf steigen und die Sinne vernebeln. Auf der Goalie-Position wurde Anthony Racioppi nach ein paar schlimmen Abspielfeh­lern das Vertrauen entzogen, nachdem er Anfang der Saison zulasten von David von Ballmoos noch zur Nummer 1 befördert worden war.

Die Resultat-Krise milderte zudem das Gefühl von Aussensteh­enden nicht, wonach Wicky und die vom Sportchef Christoph Spycher geprägte YB-Führung nicht mehr richtig zusammenfi­nden und sich Ende Saison ohnehin trennen würden. Spieler gehen, Spieler kommen, Interessen verändern sich. Und plötzlich merkt der Trainer, dass die ganz oben es ganz gut fänden, wenn auf der Position x nicht der Spieler y, sondern der neue Spieler zum Einsatz käme. Da geht es um Signale ans Personal, um Transferwe­rte, ums Schaufenst­er, um Vertrauen, um Misstrauen, um Förderung, um Verabschie­dungen.

Der Stürmer Jean-Pierre Nsame behauptete nach seiner Ausmusteru­ng, dass er in gewissen Momenten in den Augen Wickys erkannt habe, dass dieser auch fremdbesti­mmt sei. Nicht nur, aber auch. YB gängelt den Trainer? Nsame ist mit seiner Mutmassung nicht allein. Zur Erinnerung: Hier wird YB verhandelt, nicht der FC Zürich und dessen Sportchef, der frühere Spielerage­nt Milos Malenovic, der im Zürcher Klub den Trainern detaillier­te Aufstellun­gen diktieren soll.

Der Bruch mit Nsame ist komplex, von Missverstä­ndnissen durchsetzt und belastet wie die Zäsur mit Wicky das Zeugnis der für den Sport zuständige­n YB-Führung. Natürlich sind Gespräche mit einem fordernden Spieler wie Nsame und dessen Berater nicht einfach. Sie können Verantwort­ungsträger auf die Palme bringen. Trotzdem: Der aufreibend­e Fall Nsame ist weder ein Meisterstü­ck des Spielers noch der YB-Chefetage. Obschon: Rückblicke­nd lag der Klub aus YB-Sicht richtig, Nsame den Abgang zum Servette FC zu verweigern. Dass die Genfer ihren besten Torschütze­n Chris Bedia mitten in der Saison in die Bundesliga ziehen liessen und nicht ersetzten, gilt als kleiner Baustein des YB-Titels.

Via Nsame sandte Spycher in Bern das Signal aus: Keine Personalie wird auf einen Thron gehievt. Oder in seinen Worten, auf die sich wandelnden Ansprüche des Spielers bezogen: «Es kann nicht sein, dass jemand das Gefühl

hat, er sei irgendwo – und der Rest der Gruppe an einem anderen Ort.» Der Satz steht für die Eindämmung eines möglichen Personenku­lts.

Einer wie seinerzeit Heusler

Der Berner Spycher ist im YB-Konstrukt über die Jahre in eine Machtposit­ion aufgestieg­en, die mit jener von Bernhard Heusler in den erfolgreic­hen Basler Jahren zu vergleiche­n ist. Spycher war nach seiner Karriere als Fussballer zuerst Talentmana­ger, wurde 2016 mitten in einer Klub-Misere Sportchef, war seit 2022 Delegierte­r des Verwaltung­srats und stieg Anfang 2024 zum YB-Teilhaber auf. Mit diesem Schritt band die Besitzer- und Geldgeber-Familie Rihs Spycher «strategisc­h in die Unternehmu­ng ein», wie sie in einem Communiqué schreiben liess.

Mit anderen Worten: Mehr Einfluss kann man fast nicht haben, auch wenn es nur eine Minderheit­sbeteiligu­ng ist. Trainer- und Transferen­tscheide laufen massgeblic­h über Spycher. Auch wenn das der Klub gegen aussen manchmal anders verkaufen will. Der 46-Jährige ist das Gesicht des YB-Erfolgs. Es gibt Leute in Bern, die mit Vehemenz bei zwei Personen kein Prozent Kritik zulassen: Da geht es um Kuno Lauener, den Leader der Band Züri West. Und um Spycher, den YB-Leader.

Die von Spycher angeführte YBCrew hat abermals vieles richtig gemacht. Ihr fliegen weder der Trainerwec­hsel und dessen Begleitmus­ik noch die Trennung von Nsame oder sonstige Personalen­tscheide um die Ohren. Das ist das Verdienst Spychers und seiner Mitstreite­r. Aber auch jenes der Konkurrenz, die den Fuss nicht in die offene Türe gehalten hat.

Die bald zu Ende gehende Saison hat veranschau­licht, dass das Imperium YB nicht so schnell zusammenbr­icht. Der neue Trainer Patrick Rahmen, der aus Winterthur kommen wird, löst in Bern keinen «Wow-Effekt» aus, steht aber für Erdung, Solidität und Pflegeleic­htigkeit. Auch der sonderbar abrupte Abgang des langjährig­en CEO Wanja Greuel, wenige Tage vor Saisonschl­uss vollzogen, schlägt verhältnis­mässig kleine Wellen. Zwischen ihm und Spycher soll ein wellenarti­ges Spannungsv­erhältnis geherrscht haben. Es versteht sich von selbst, wer zu weichen hatte.

Auch bei YB menschelt es, auch YB zeigt Schwächen. Meistens ohne Folgen. Wach auf, liebe Konkurrenz! Auch in Bern wirken keine Götter.

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VALENTIN FLAURAUD / KEYSTONE Ein knapper Sieg in Genf reicht den Young Boys zum sechsten Triumph in der Fussballme­isterschaf­t seit 2018.
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