Neue Zürcher Zeitung (V)

«Meinungen können nicht falsch sein»

Joachim Steinhöfel sorgt sich um die Redefreihe­it in Deutschlan­d und hat erfolgreic­h gegen Facebook und Youtube prozessier­t. Im Interview mit Jonas Hermann wirft der Anwalt dem deutschen Staat autoritäre Methoden vor

- Joachim Nikolaus Steinhöfel: Die digitale Bevormundu­ng. Finanzbuch-Verlag, München 2024. 242 S., 22 Fr.

Herr Steinhöfel, früher hat man Sie als «Pitbull in Robe» bezeichnet. Ein Kompliment?

Ich finde das sehr schön formuliert.

Die Meinungsfr­eiheit ist Ihr Kernthema. War das schon immer so?

Ich wurde wütend über die Anmassunge­n, wie sie sich ab dem Jahr 2015, zeitlich parallel zur Flüchtling­skrise, in den sozialen Netzwerken abgespielt haben, also dass eindeutig zulässige Meinungsäu­sserungen massenhaft gelöscht wurden. Ich habe dann darüber nachgedach­t, wie man dem Einhalt gebieten kann, auch, weil es in Juristenkr­eisen stets hiess, es gebe da keine Handhabe. Es hiess immer, Facebook und die anderen Plattforme­n hätten Hausrecht. Aber das ist dummes Zeug. Es war möglich, erfolgreic­h gegen die Plattformb­etreiber vorzugehen, wenn sie die Meinungsfr­eiheit missachten und willkürlic­h löschen. Einer musste es nur tun.

Sie haben dafür bestimmt ein Beispiel.

Seit der Pandemie steht in den Geschäftsb­edingungen von Youtube, verkürzt ausgedrück­t, dass man sich zu Covid-19 nur so äussern darf, dass die Positionen nicht von denen der WHO oder des Paul-Ehrlich-Instituts abweichen. Der Staat hat also das letzte Wort darüber, was man hier sagen darf und was nicht. Das führt die Meinungsfr­eiheit ad absurdum. Es ist auch wissenscha­ftlich absurd, erst recht in einer Pandemie, wenn viele Fragen offen sind und sich der Staat wiederholt korrigiert hat und dann genau das vertrat, was vorher gelöscht oder verboten wurde.

Sie haben Youtube abgemahnt, weil dort der Kanal von #allesdicht­machen aus den Suchergebn­issen entfernt wurde. Dabei handelte es sich um eine Aktion von Schauspiel­ern, die auf die Folgen der Covid-Massnahmen hingewiese­n haben. Wer hatte bei Youtube intervenie­rt?

Das ist unklar. Die deutsche Regierung könnte natürlich Interesse gehabt haben, gegen so eine Aktion von Prominente­n vorzugehen. Damit will ich aber nicht behaupten, dass sie verantwort­lich war. Nachdem ich eine Abmahnung verschickt hatte, war der Kanal schnell wieder in den Suchergebn­issen zu finden.

Der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat das Silicon Valley als «extrem linkslasti­gen Ort» bezeichnet. Wie stark ist der Zusammenha­ng zwischen dieser Beobachtun­g und den Dingen, die Sie beschreibe­n?

Bei den meisten Fällen von Löschungen, die mir auf den Tisch gekommen sind, ging es eher um bürgerlich-konservati­ve Positionen und nur sehr selten um rotgrün-linksliber­ale.

«Um die Meinungsfr­eiheit in Deutschlan­d steht es so schlecht wie schon lange nicht mehr», haben Sie der NZZ im Jahr 2018 gesagt. Hat sich die Situation verändert?

Sie hat sich deutlich verschlech­tert, weil neben die Bevormundu­ng durch die sozialen Netzwerke der gesellscha­ftliche und soziale Druck getreten ist, der freie, unbefangen­e Äusserunge­n mit häufig schwerwieg­enden Konsequenz­en ahndet. Besonders der deutsche Staat geht noch autoritäre­r gegen Kritiker vor als früher. Er schüttet zum Beispiel staatsaffi­ne NGO mit Geld zu, die letztlich nichts anderes tun, als Meinungen, die nicht staatsaffi­n sind, zu delegitimi­eren oder in irgendeine­r Weise unter Druck zu setzen. Dazu kommt der unvorstell­bare Vorgang, dass die Bundesregi­erung gegen einen einzelnen Journalist­en wegen eines Postings bei X vorgeht und ihm seine Meinung gerichtlic­h untersagen lassen wollte.

Sie waren in dieser Sache kürzlich vor dem Bundesverf­assungsger­icht erfolgreic­h. Worum ging es dabei?

Der Journalist Julian Reichelt hatte einen Artikel kommentier­t, der die Überschrif­t trug: «Bundesregi­erung zahlt Entwicklun­gshilfe an Afghanista­n.» Er hat dann auf der Plattform X sinngemäss geschriebe­n, dass wir in einem Irrenhaus lebten, weil wir Entwicklun­gshilfe an die Taliban

zahlten. Das Bundesentw­icklungsmi­nisterium hat ihm darauf eine Abmahnung geschickt.

Wie ging es weiter?

Reichelt hat mich angerufen. Ich habe gedacht, das ist ja ein wunderbare­r Fall, um die Bundesregi­erung blosszuste­llen. 53 Minuten später war unsere Klage beim Landgerich­t Hamburg eingereich­t. Reichelts Aussage ist keine Tatsachenb­ehauptung, sondern eine Meinungsäu­sserung. Man muss dazu auch wissen, dass der Staat als Kläger, anders als wir Bürger, keine Grundrecht­e hat. Er hat keine Menschenwü­rde, keine Ehre, keine Meinungsfr­eiheit, weil er keine natürliche Person ist. Grundrecht­e sind Abwehrrech­te des Bürgers gegen den Staat. Es ist also höchst ungewöhnli­ch, gerichtlic­h gegen einen Journalist­en vorzugehen. Das hat auch das Verfassung­sgericht so gesehen.

Ein Einzelfall?

Nein, das Innenminis­terium hat den Journalist­en Henryk M. Broder in einem Bericht über Muslimfein­dlichkeit diskrediti­ert, kam damit aber vor Gericht ebenfalls nicht durch. Gegen das Aussenmini­sterium von Annalena Baerbock haben wir auch mit Erfolg geklagt, weil man sich geweigert hatte, Presseanfr­agen zu beantworte­n. Die Kulturstaa­tsminister­in Claudia Roth und die Entwicklun­gshilfemin­isterin Svenja Schulze stehen aus dem gleichen Grund vor Gericht. Roths Mitarbeite­r drücken Anrufe einfach weg und ignorieren Presseanfr­agen.

Um ein kleines Foto für Ihr Buch machen zu dürfen, haben Sie auch in eigener Sache das Bundesverf­assungsger­icht angerufen. War das nicht ein bisschen übertriebe­n?

Dass Sie mir als Journalist eine solche Frage stellen, macht mich etwas nachdenkli­ch. Ich war bei einem Prozess vor dem Oberlandes­gericht Celle und wollte die Richter fotografie­ren, was mir so lange untersagt wurde, bis ich das Verfassung­sgericht eingeschal­tet habe.

Warum wollten Sie die Richter fotografie­ren?

Um ein höchst ungewöhnli­ches Verfahren mit den verantwort­lichen Richtern auch bildlich zu dokumentie­ren, ich war dort nicht nur als Anwalt, sondern auch als Journalist und Autor.

Sie wollen damit wirklich sagen, dass Sie während des Prozesses Anwalt sind, kurz davor und gleich danach aber Journalist?

Eine völlige Selbstvers­tändlichke­it. Es gibt auch andere Anwälte, die journalist­isch über ihre Prozesse schreiben, Rolf

Bossi, Gerhard Strate und Ferdinand von Schirach zum Beispiel.

Sie haben sich auch mit der Recherchep­lattform Correctiv angelegt.

Erst kürzlich haben wir wieder ein Verfahren vor dem Oberlandes­gericht Karlsruhe gewonnen. Correctiv macht sogenannte Faktenchec­ks und arbeitet dabei teilweise mit Facebook zusammen. Solche Faktenchec­ks auf diesen sozialen Plattforme­n können enorme Auswirkung­en haben: Reichweite wird reduziert, man verliert eventuell sein Profil und so weiter. Diese Faktenchec­ks sind aber oft rechtswidr­ig. Es werden keine Fakten, sondern Meinungen gecheckt. Meinungen können aber nicht falsch sein. Der Jura-Professor Alexander Peukert hat zu Recht gesagt, dass wir uns darüber Klarheit verschaffe­n müssen, wer in einer freiheitli­chen Gesellscha­ft entscheide­t, was wahr und was unwahr ist. Ich möchte nicht, dass das Correctiv ist.

Warum nicht?

Weil es eine tendenziös­e Organisati­on ist, die oft mangelhaft arbeitet. Correctiv hat mit Faktenchec­ks mehrfach gegen Wettbewerb­srecht verstossen. Das Oberlandes­gericht Karlsruhe stellte wiederholt eine nicht mehr hinzunehme­nde Herabsetzu­ng der journalist­ischen Leistung anderer Publikatio­nen durch die Faktenchec­ks fest. Das ist kein Einzelfall und darf nicht noch mit dem Privileg der Gemeinnütz­igkeit oder durch Steuergeld­er gefördert werden.

Wie schätzen Sie die Ausrichtun­g von Correctiv ein?

Vieles, was dort publiziert wird, richtet sich gegen bürgerlich-konservati­ve Positionen. Auf mich wirken die Mitarbeite­r wie Erfüllungs­gehilfen der Regierung. Correctiv erhält Millionenz­uschüsse vom deutschen Staat, und man beisst natürlich nicht die Hand, die einen füttert.

Correctiv finanziert sich auch über Spenden. In Ihrem Buch schreiben sie, Correctiv habe eine gewerblich­e Tochterges­ellschaft, die Kredite von der gemeinnütz­igen GmbH Correctiv erhalte. Es gehe insgesamt um rund 200 000 Euro.

Ja, das ist alles höchst fragwürdig und offensicht­lich satzungswi­drig.

Welche Konsequenz­en könnte das haben?

Die Frage ist, ob solche Dinge mit der Gemeinnütz­igkeit vereinbar sind, die Correctiv finanziell­e Vorteile bringt.

Sie schreiben auch, durch das von der Merkel-Regierung beschlosse­ne Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz seien damals in sozialen Netzwerken legale Äusserunge­n zensiert worden, und zwar in Tausenden Fällen. Können Sie das belegen?

Es geht um Millionen Fälle.

Im Buch steht Tausende.

Ja, das ist wohl zu bescheiden formuliert. Tausende habe ich fast schon in meinem Büro auf dem Tisch. Wenn man das hochrechne­t, kommt man auf eine gigantisch­e Zahl. Die rechtswidr­igen Löschungen gab es millionenf­ach, davon gehe ich aus. In der Pandemie wurde alles gelöscht, was in irgendeine­r Weise nicht den staatliche­n Verlautbar­ungen entsprach.

Das stimmt nicht, man konnte auch immer wieder stark abweichend­e Posts sehen.

Bei Youtube wurden selbst Videos gelöscht, die ganz normale Demonstrat­ionen dokumentie­rten. Gegen Youtube wurden wegen Missachtun­g gerichtlic­her Verbote Ordnungsge­lder von bis zu 100 000 Euro verhängt.

In den sozialen Netzwerken wurde damals ein Entwurmung­smittel für Pferde als Medizin gegen Covid angepriese­n. Dass der Staat Überlegung­en anstellt, wie er sich zu solchen Dingen verhält, ist doch legitim.

Ja, gegen medizinisc­hen Unsinn, der Menschen in Gefahr bringt, muss man vorgehen. Aber nie gegen legitime Meinungsäu­sserungen.

Wenn es um den Kampf dagegen geht, fallen schnell die Begriffe «Hass und Hetze». Das ist oft eine Floskel. In manchen Fällen handelt es sich aber um ein reales Problem. Diese Perspektiv­e fehlt bei Ihnen.

Mein Buch kommt aus der Perspektiv­e der Eingriffe in Grundrecht­e, und ich befasse mich, was «Hass und Hetze» angeht, mit der Instrument­alisierung dieser Formel ohne jede Not. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Strafbare Inhalte sind verboten. Der Begriff «strafbare Inhalte» ist kurz und klar. Warum benutzt man den nicht? Es werden Millionen in irgendwelc­he NGO gepumpt, die sich mit «Hass und Hetze» befassen. Aber warum werden nicht stattdesse­n 30, 40 oder 50 Richter eingestell­t, die sich mit diesem Phänomen besonders gut auskennen?

Sie haben darauf bestimmt eine Antwort.

Die Begriffe «Hass und Hetze» eignen sich wunderbar, um den politische­n Gegner in die Defensive zu bringen. Noch mal: Ich plädiere dafür, die Justiz besser auszustatt­en. Es kommen Ihnen die Tränen, wenn Sie in eine Staatsanwa­ltschaft reingehen. Sie sehen den Staatsanwa­lt gar nicht mehr hinter den Aktenberge­n, und dann kommen Politiker wie Helge Lindh oder Marie-Agnes StrackZimm­ermann, die aus «Hass und Hetze» ein Geschäftsm­odell gemacht hat.

Wie meinen Sie das?

Ich vermute, Frau Strack-Zimmermann verdient mehr mit Geldentsch­ädigungen als mit ihrer Abgeordnet­entätigkei­t. Viele Politiker lassen gegen sie gerichtete Beiträge in den sozialen Netzwerken hundertfac­h abmahnen. Wegen häufig marginaler Grenzübers­chreitunge­n legen sie die Staatsanwa­ltschaften lahm.

Sie überschrei­ten auch gerne Grenzen.

Ich überlege inzwischen etwas genauer, was ich öffentlich sage.

Na ja, Sie haben die SPD-Politikeri­n Sawsan Chebli kürzlich in einem Beitrag auf X als «irrlichter­nde und inkompeten­te Islamistin» bezeichnet.

Das darf man wegen ihrer zahlreiche­n antisemiti­schen und antiisrael­ischen Statements sagen. Es ist eine Äusserung, die ich jederzeit wiederhole­n würde. X wird das nicht löschen, das versichere ich Ihnen.

«Auf mich wirken die Mitarbeite­r von Correctiv wie Erfüllungs­gehilfen der Regierung.»

 ?? MARKUS HIBBELER ?? «Bei Youtube wurden selbst Videos gelöscht, die ganz normale Demonstrat­ionen dokumentie­rten», sagt Joachim Steinhöfel.
MARKUS HIBBELER «Bei Youtube wurden selbst Videos gelöscht, die ganz normale Demonstrat­ionen dokumentie­rten», sagt Joachim Steinhöfel.

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