Neue Zürcher Zeitung (V)

Leverkusen­s Saison der Superlativ­e

Bayer 04 ist seit 51 Spielen unbesiegt und will nach der Meistersch­aft auch in der Europa League triumphier­en

- STEFAN OSTERHAUS, BERLIN

Die Gratulatio­nen, die Xabi Alonso entgegenni­mmt, sind zahlreich in diesen Tagen. Erst zum 50. und dann zum 51. – und das, obwohl der Baske den runden Geburtstag erst in acht Jahren begehen wird. Die Ziffernfol­ge verweist vielmehr auf einen Umstand, der im europäisch­en Fussball auf diesem Niveau einzigarti­g ist: Leverkusen, mit dem Coach Xabi Alonso erstmals deutscher Meister, hat eine Saison der Superlativ­e hingelegt und ist mittlerwei­le seit 51 Pflichtspi­elen unbesiegt.

Die Bundesliga beendete Bayer 04 mit sagenhafte­n 90 Punkten – und als erstes Team ungeschlag­en. In Sachen Punktzahl zog Xabi Alonso mit der besten Saison des Wundertrai­ners Pep Guardiola gleich, als dieser die Bayern trainierte, verfehlt aber den Rekord von Jupp Heynckes aus dem Jahr 2013 um einen einzigen Punkt. So gierig sei er nicht, sagte der Trainer, als er darauf angesproch­en wurde, ob er es bedauere, diesen Rekord verfehlt zu haben.

Ebenso blieb eine weitere Bestmarke der Bayern unangetast­et: In jenem Jahr, als Jupp Heynckes sie zum Triple und somit zum grössten Erfolg der Vereinsges­chichte führte, deklassier­ten sie die Konkurrent­en mit einem Vorsprung von 25 Punkten. Dagegen nehmen sich die immer noch imposanten 17 Punkte, die Leverkusen vor dem Zweiten, Stuttgart, liegt, geradezu bescheiden aus. Der Einzigarti­gkeit ist sich der Coach dennoch bewusst: «Es war das erste Mal, dass es das in der Bundesliga gegeben hat. Diese Mannschaft geht in Gold in die Geschichte der Bundesliga ein.»

Ambitionie­rte Herausford­erer

Er, der früher auch für Real Madrid spielte, vergass nicht, anzumerken, dass es eine solche Dominanz in Spanien noch nie gegeben habe. Tatsächlic­h ist eine solche Serie umso höher zu bewerten, als die Leverkusen­er gar nicht als Favoriten in diese Spielzeit gegangen sind. Vielmehr gab es mit dem FC Bayern einen Hegemonen und in Dortmund und Leipzig zwei ambitionie­rte Herausford­erer. Dass sich mit dem VfB Stuttgart ein Überraschu­ngsteam in den Spitzenkam­pf einschalte­te und eine herausrage­nde Saison hinlegte, verdeutlic­ht nur, wie gut der Job ist, der in Leverkusen erledigt wurde.

Die Erfolgsser­ie könnte tatsächlic­h eine sein, die sehr lange Bestand haben wird. Dass nichts für die Ewigkeit ist, haben die Leverkusen­er ja selber bewiesen, indem sie Arsenals «Invincible­s» unter dem Coach Arsène Wenger erfolgreic­h nacheifert­en, die in der Saison 2003/2004 ungeschlag­en blieben. Auch haben sie den alten Rekord an unbesiegte­n Spielen in einer Spitzenlig­a von Juventus Turin aus der Saison 2011/2012 überboten. Und zwar um mittlerwei­le acht Matches.

Nur besagen solche Zahlen wenig, wenn nicht auch die Mannschaft und ihr Fussball erinnerung­swürdig sind. Juventus war zu seiner Zeit eben kein Team, das in Europa den Ton angab, und auch Leverkusen ist das noch nicht. Hierfür hat die Mannschaft eben erst die Voraussetz­ung geschaffen, indem sie sich für die Champions League qualifizie­rte. Leverkusen will allerdings mehr nach diesem Titelgewin­n der Superlativ­e: Das Triple soll her – auch wenn es nur das kleine ist. Am Samstag steht die Mannschaft im Cup-Final gegen den ersten FC Kaiserslau­tern – der ruhmreiche Zweitligak­lub gilt bei den Buchmacher­n als nahezu chancenlos.

Für einmal das Vorbild

Zuvor aber, am Mittwochab­end, geht es in Dublin gegen Atalanta Bergamo um den Titel in der Europa League. Ein Gegner, der unangenehm­er kaum sein könnte: taktisch disziplini­ert, kompakt, konterstar­k und technisch versiert. Zwar kein Spiegelbil­d der Equipe von Xabi Alonso, aber ein Team mit ähnlichen Qualitäten.

Als Favorit möchte sich der gefeierte Trainer jedenfalls nicht sehen, und er täte gut daran, dies auch seiner Mannschaft zu vermitteln, die wirkt, als bade Alonso sie nach jedem Training in Drachenblu­t. Die feierliche Übergabe der Meistersch­ale am letzten Spieltag nach einem 2:1 gegen den FC Augsburg wirkte jedenfalls massvoll ausgelasse­n.

Granit Xhaka, Leverkusen­s Stratege, verwies noch einmal auf den Tag, an dem die Meistersch­aft gewonnen wurde mit einem 5:0 gegen Werder Bremen. Auch da habe es sich schon gut angefühlt, sagte Xhaka, was angesichts des Platzsturm­s von Tausenden von Anhängern ein wenig untertrieb­en erscheint. Der Schweizer verwies auf die einzigarti­ge Qualität des Erlebnisse­s: Es sei noch mal «etwas anderes, die Schale dann in der Hand zu halten».

Man sollte die Zurückhalt­ung des mitunter explosiven Xhaka nicht mit Unterkühlt­heit verwechsel­n. Vielmehr reflektier­t sie die seriöse Haltung eines Leaders, der weiss, dass es für ihn und seine Mitspieler im Saisonfini­sh noch um zwei Titel geht.

Sie alle wirken, als seien sie sich vollkommen bewusst, dass noch grosse Aufgaben vor ihnen liegen. Man kann die alte Wendung, wonach nichts erfolgreic­her ist als der Erfolg, auf diese Leverkusen­er übertragen: Jeder Sieg scheint die Vorfreude auf den nächsten noch zu steigern, und selbst wenn die Kraft einmal zur Neige zu gehen scheint: Vor allem in den letzten Minuten setzt dieses Team ungeheure Energien frei.

So makellos, dass es beinahe unheimlich erscheint: Das ist Bayer Leverkusen vor den letzten zwei Spielen in dieser Rekordsais­on. Dass sie als Vorbild gelten, kann daher kaum verwundern, ebenso wenig ist es eine Übertreibu­ng, sie schon jetzt zum Favoriten für die kommende Saison zu erklären. Dafür ist die Selbstdemo­ntage des FC Bayern einfach zu eindrückli­ch. Leverkusen erscheint für einmal als das seriöse Gegenmodel­l zum FC Bayern. Und sollte das Team tatsächlic­h auch die letzten zwei Spiele gewinnen, dann dürfte Leverkusen weit über diese Saison hinaus als ein Musterexem­plar gelten.

 ?? FEDERICO GAMBARINI / DPA / KEYSTONE ?? Der Trainer Xabi Alonso (links) und der Stratege Granit Xhaka haben allen Grund zur Freude.
FEDERICO GAMBARINI / DPA / KEYSTONE Der Trainer Xabi Alonso (links) und der Stratege Granit Xhaka haben allen Grund zur Freude.

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